An Pfingsten soll der Gotthard kosten
Urner Nationalrat will Reisende zur Kasse bitten

Der Urner Nationalrat Simon Stadler will die Nord-Süd-Achse an Spitzentagen für Reisende unattraktiver machen. Die Einheimischen hätten genug vom Stau.
Publiziert: 27.05.2023 um 17:04 Uhr
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Aktualisiert: 27.05.2023 um 17:08 Uhr
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Peter AeschlimannRedaktor

Am Pfingstwochenende ist Stau vor dem Gotthardtunnel so sicher wie das Amen im «Chileli vo Wasse». Mitte-Nationalrat Simon Stadler, «Stieregrind» auf dem Anzugsrevers, hat ihm den Kampf angesagt. Der 35-Jährige, der seit 2019 den Kanton Uri in Bundesbern vertritt, will Reisende zur Kasse bitten, die zu Spitzenzeiten ins Auto steigen. «Die Zustände sind nicht mehr tragbar für die Menschen im Kanton Uri», sagt Stadler. Das Problem seien die Ungeduldigen, die, um dem Stau zu entkommen, in Göschenen, Amsteg oder Erstfeld die Autobahn verlassen – und dann die Dörfer verstopfen. Die Folgen: Urnerinnen und Urner erscheinen zu spät oder gar nicht zur Arbeit. Ambulanz, Feuerwehr oder Polizei kommen nicht mehr durch. Wenn oben ein Unfall passiert, sitzen die Rettungssanitäter unten im Stau.

Das Bundesamt für Strassen (Astra) arbeitet derzeit an einem Bericht, der Lösungen aufzeigen soll, wie das Verkehrsmanagement am Gotthard verbessert werden kann. Ein Erfolg für Stadler: Sein Vorstoss fand im letzten Herbst breite Unterstützung im Parlament. Um die Spitzen zu brechen, müsse man das Verkehrsaufkommen lenken können, ist Stadler überzeugt. «Vor und nach den Feiertagen ist das Verkehrsaufkommen jeweils kleiner.» Gemeinsam mit GLP und FDP will der Mitte-Mann jetzt prüfen, ob am Gotthard ein dynamisches Maut-System eingeführt werden kann: Wer fährt, wenn alle fahren, muss für die Tunnel-Querung oder die Passfahrt tiefer in die Tasche greifen. Für das Urner und Tessiner Gewerbe und Anwohnerinnen und Anwohner soll es eine Sonderregelung geben.

Dass endlich Bewegung in die Stau-Frage auf der Nord-Süd-Achse kommt, zählt Simon Stadler zu seinen grössten Erfolgen der vergangenen Legislatur. Um Lösungen zu finden, benötige es Weitsicht und Durchhaltevermögen, sagt er. Beides hätten ihn die Berge gelehrt. Manche finden, die steilen Wände, die den Urner Talboden umringen, seien einengend. Stadler geben sie Halt. Von seinem Elternaus aus, in dem er mit seiner Ehefrau wohnt, kann er sehen, wie sich das Grün der Wälder am Hang gegenüber von unten nach oben ausbreitet. Er sieht die Gipfel, die er bestiegen hat, und jene, die noch auf seiner To-do-Liste stehen. Ein Panorama, an dem er sich orientieren kann. Er wolle auf diese Gipfel, sagt Stadler. «Spazieren gehe ich nur selten.»

Die Urner leiden unter dem Verkehr am Gotthard.
Foto: keystone-sda.ch
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Vom höchsten Punkt des Schärhorns sieht man an klaren Tagen bis zum Schwarzwald. Das erste Mal war er als 15-jähriger Bursche auf dem Urner Hausberg, dessen zwei markante Erhebungen wie Klingen die Wolkenbänder durchtrennen. Sein Vater hatte ihn damals mitgenommen. Beim Abseilen fiel der Senior in die Seile und verletzte sich an der Achillessehne – sie riss sogar, wie sich erst später herausstellen sollte. Trotzdem brachte der Bergführer Vater und Sohn an diesem Tag noch bis auf den Gipfel. «Der Vater wollte unbedingt da hoch, und dafür biss er sich auf die Zähne», erinnert sich Simon Stadler.

Vom Maurer zum Primarlehrer

Seit ein paar Wochen ist Simon Stadler Präsident der Schweizer Wanderwege. 65'000 Kilometer misst das Netz, anderthalbmal um die Welt – ein wichtiger Posten. Da Uri nur einen Nationalratssitz hat, halte er sich sonst mit Mandaten zurück, sagt Stadler. «Aber hier hat es gepasst.» Die Natur, der Tourismus sind auch für Uri eine wichtige Einnahmequelle. Als sich der gelernte Maurer an der Pädagogischen Hochschule zum Primarlehrer weiterbilden liess, handelte seine Bachelorarbeit vom Wandern. Er erstellte ein Konzept, wie der Urner Sagenweg für den Unterricht in der Volksschule erschlossen werden kann.

Nachdem im letzten Frühling und Sommer innert kurzer Zeit mehrere Menschen auf Wanderungen tödlich verunglückt sind, entbrannte eine Kontroverse über das beliebteste Hobby der Schweizerinnen und Schweizer: Ist es sicher genug? Benötigt es mehr Regulierung? Simon Stadler wiederholt die Sätze, die schon damals zu lesen und hören waren: «Wandern ist eine Freizeitbeschäftigung, die sehr viel mit Eigenverantwortung zu tun hat.» Ein guter Unterhalt der Wege sei wichtig, für diesen sorgten unzählige Freiwillige.

Eine Materialschlacht in den Bergen, das Aufstellen von zusätzlichen Zäunen und ein Verbreitern der Pfade lehnt Stadler jedoch ab. «Das führt zu einer falschen Sicherheit.» Um Unfälle zu verhindern, setzt der neue Präsident der Wanderwege ganz auf die bewährten Sensibilisierungskampagnen: Nur mit gutem Schuhwerk in die Berge, sich vor der Sonne schützen, genügend Trinkwasser mitnehmen.

Stadler glaubt an Wiederwahl im Herbst

Im Herbst muss Simon Stadler seinen Sitz im Nationalrat verteidigen. Die SVP, die dem jungen Mitte-Kandidaten vor vier Jahren unterlag, greift mit der Unternehmerin Claudia Brunner an. Simon Stadler glaubt an seine Wiederwahl. Als Urner sei es wichtig, keine Scheuklappen zu haben. «In der Mitte kann man mit links und rechts das Gespräch suchen und geniesst auf beiden Seiten Sympathien.»

Mit Polemik und schrillen Töne hingegen erreiche man in Uri nichts, sagt Stadler. Das habe auch mit der Grösse des Bergkantons zu tun. Uri hat rund 36'500 Einwohner. Viele kennen sich seit Generationen, man ist aufeinander angewiesen. Dass das Miteinander funktioniere, zeigten die Fortschritte beim Lösen der Stau-Problematik am Gotthard, sagt Stadler. «Wenn es sein muss, kann ich als Urner aber stets auch Hörner zeigen.»

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