An Schulen und Kindergärten
Bundesrat ist gegen ein nationales Kopftuchverbot

Mitte-Nationalrätin Marianne Binder und ihre Mitstreiter wollen Kopftücher an Schulen verbieten. Sie sehen in der Verschleierung eine Diskriminierung der betroffenen Mädchen. Der Bundesrat kommt zu anderen Schlüssen.
Publiziert: 18.02.2023 um 10:11 Uhr
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Aktualisiert: 18.02.2023 um 11:31 Uhr

Nein, nein und nochmals nein! Nicht zum ersten Mal musste sich der Bundesrat mit der Forderung nach einem nationalen Kopftuchverbot an Schulen und Kindergärten befassen. Doch auch die neue Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (59) will davon nichts wissen.

Mit Mitstreitern aus mehreren bürgerlichen Parteien hat Mitte-Nationalrätin Marianne Binder (64) einen erneuten Anlauf genommen: Der Bundesrat soll ein Verbot prüfen. Gar nicht so einfach, immerhin garantiert die Bundesverfassung die Religionsfreiheit. Genau deshalb sollte die Regierung abklären, ob sich hier religiöses Recht nicht staatlichem unterzuordnen hat.

Denn für Binder ist das Kopftuch kein Zeichen der Religionsfreiheit. Vielmehr sei es Ausdruck der Unterdrückung und Diskriminierung muslimischer Mädchen.

Mitte-Nationalrätin Marianne Binder und ihre Mitstreiter wollen das Kopftuch an Schulen verbieten lassen.
Foto: Keystone
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Unverhältnismässig schwerer Eingriff in Religionsfreiheit

Der Bundesrat aber winkt einmal mehr ab. Für ihn ist kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf zu erkennen. Zudem wäre ein generelles Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen nach Praxis des Bundesgerichts verfassungswidrig. Zwar stützten die Richter in Lausanne 1997 die Entlassung einer Primarschullehrerin im Kanton Genf, die sich geweigert hatte, ihr Kopftuch während des Unterrichts abzulegen, aufgrund der konfessionellen Neutralität der Schule.

2015 aber kam das Gericht in einem St. Galler Fall zum Schluss, dass ein allgemeines Verbot für Schülerinnen, an öffentlichen Schulen ein Kopftuch zu tragen, ein unverhältnismässig schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit wäre. Ein störungsfreier Unterricht sei nicht abhängig vom Verzicht auf ein religiöses Symbol, genauso wenig wie die Integrationsfunktion der Schule oder die staatliche Neutralität in Religionsangelegenheiten.

Kommt hinzu, dass das Schulwesen ohnehin in der Kompetenz der Kantone ist. Diese Verteilung der Zuständigkeiten ermögliche es, zielgerichtete Antworten auf konkrete Situationen zu finden, zeigt sich der Bundesrat überzeugt. Sollten das Kindeswohl oder die Chancengleichheit eines Kindes gefährdet sein, verfügen die zuständigen Behörden schon heute über rechtliche Mittel, das Kind zu schützen und seine Interessen zu wahren. So liessen sich bessere Ergebnisse erzielen als mit einem nationalen Kopftuchverbot an der Schule.

Verbot habe in Frankreich Integration verstärkt

Damit aber gibt sich Nationalrätin Binder nicht zufrieden: «Der Bundesrat geht einmal mehr nicht auf meine zentrale Frage ein.» Er solle sich bei der Frage eines Kinderkopftuchzwangs eben nicht einzig auf die Religion abstützen, sondern sich mit den Gleichberechtigungsartikeln in der Verfassung befassen. «Religiöses Recht hat sich staatlichem unterzuordnen», zeigt sich Binder überzeugt.

Die Mitte-Nationalrätin stützt sich dabei auch auf eine Studie aus Frankreich. Diese hat untersucht, wie sich das seit 2004 geltende Verbot des Kopftuchs auf die Integration an Schulen ausgewirkt hat. Ihr Fazit: Das Kopftuchverbot habe nicht nur zu einer verbesserten Integration, sondern auch zu besseren Schulabschlüssen muslimischer Schülerinnen geführt.

Die Schule stehe für die Ideale unseres Staates: Freiheit und gleiche Rechte, betont Binder. «Diese haben wir doch für alle Mädchen gleichermassen zu schützen.» Auch wenn nur eine kleine Minderheit vom Kopftuchzwang betroffen sei: Sie dürfe nicht einfach übergangen werden. Es gehe hier nicht um Sonderrechte gegen Minderheiten, sondern um Recht für eine kleine Minderheit von Kindern. (dba)

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