Anonyme Vorwürfe
Wie zwei FDP-Ständeräte das Kartellverbot aufweichen wollen

Ständeräte versuchen mit Anschwärzungen, das Kartellverbot aufzuweichen. Die Weko-Präsidentin und ihre Vorgänger halten dagegen.
Publiziert: 11.11.2023 um 01:05 Uhr
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Aktualisiert: 05.01.2024 um 11:37 Uhr
Andreas Valda
Handelszeitung

Hinter den Kulissen des Parlaments wird mit harten Bandagen gekämpft. Gegenstand sind Anpassungen im Kartellgesetz. Ständeräte und Gewerbevertreter operieren mit Anschwärzungen und Vorwürfen des Machtmissbrauchs einer Kartellbehörde. Es geht um Ideologie und die Frage, ob es Firmen wieder erlaubt werden soll, sich bei Preisen, Absatzgebieten, Mengen und Vertriebsverträgen einfacher untereinander abzusprechen.

Lange waren Kartelle erlaubt, sie gehörten zur Schweizer Wirtschaft. Das berühmteste war das Bierbrauerkartell. Es regelte, welche Marke in welcher Region in die Restaurants kommt. Dann, in der Wirtschaftskrise der 90er-Jahre, dämmerte es der Wirtschaft, dass Kartelle schädlich sind. Beteiligte erzielen garantierte Gewinne, Konkurrenz wird vom Markt gehalten, Innovation wird behindert und der Wohlstand gemindert.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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1995 machte das Parlament Schluss damit. Kartelle wurden im Grundsatz verboten, aber Ausnahmen blieben bestehen. Ein Bussenkatalog kam erst 2004 dazu. Seitdem darf die Weko auch Razzien durchführen und Whistleblower unter den Kartellisten strafmildernd belohnen.

Um die Weko (im Bild Patrik Ducrey, Direktor Sekretariat) ist ein Streit entbrannt.
Foto: Keystone
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2016 wurde die Rechtsprechung verschärft. Seither gilt fast jede Absprache als Vergehen – wie in den allermeisten Industrieländern. Das missfällt Teilen des Gewerbes, die den früheren Zustand wiederherstellen wollen. Zwei FDP-Ständeräte werfen sich in den Kampf: der Waadtländer Olivier Français und der Nidwaldner Hans Wicki.

Anonyme Vorwürfe zweier FDP-Ständeräte

Français berät das Baugewerbe, das häufig in Fälle verwickelt war. Wicki sitzt im Verwaltungsrat des Liftherstellers Schindler. Das erfolgreiche Unternehmen wurde vor zehn Jahren wegen Preisabsprachen in der EU zu einer Kartellbusse von 234 Millionen Franken verurteilt.

Français und Wicki diffamierten die Wettbewerbskommission (Weko) mit anonymen Vorwürfen. In seinem jüngsten Vorstoss zur Weko schreibt Français, die verdächtigte Person und ihr Unternehmen würden «durch (...) das Fehlen der Unschuldsvermutung in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt, was dazu führen kann, dass das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit und seine Entwicklung nicht fortsetzen kann». Welche Fälle er meint, schreibt er nicht.

Wicki klingt ähnlich. In einem Vorstoss behauptet er, die Weko verletze die «Unschuldsvermutung in krasser Weise». Ein Unternehmen werde «pauschal verurteilt», anstatt dass die Wettbewerbsbehörde nachweise, dass es tatsächlich der Volkswirtschaft geschadet habe. Erst im Ständerat nannte er ein einziges Beispiel. Den Skihersteller Stöckli. Dieser wurde wegen Absprachen mit seinen Händlern verurteilt. Sie durften die Preise untereinander nicht unterbieten. Wicki griff also den Fall eines rechtskräftig Verurteilten auf, der verbotene Preisbindung zweiter Hand betrieben hatte.

Français behauptet darüber hinaus, dass «die Zivilgesellschaft scharfe Kritik an der Funktionsweise der Wettbewerbskommission» erhebe. Wer diese «Zivilgesellschaft» ist, beschreibt er nicht. Eine solche gibt es auch nicht, ausser einigen Kartellanwälten, die die Haltung ihrer Mandanten ventilieren. Am Rande eines Anlasses diesen Sommer sagte Français zur «Handelszeitung», dass er mit dieser Motion der Weko eins auswischen wolle, bevor er zurücktrete.

Gewerbepolitiker gegen die Wettbewerbspolizei

Die Weko wird von der 37-jährigen Anwältin Laura Baudenbacher präsidiert. Gerade am Mittwoch hat sie bei drei Schweizer Stahlhändlern eine Razzia durchführen lassen. Der Verdacht: Preisabsprachen beim Armierungseisen. Zu einer solchen Razzia kommt es rund alle zwei Monate.

Sie weist die Vorwürfe von Wicki und Français zurück. Sie und ihre Vorgänger waren in den letzten Jahren vor Gerichten oft erfolgreich. Dies bestätigen selbst die Gegner. Am bekanntesten ist der Fall des Bündner Baukartells. Aber auch das Tessiner Asphaltkartell, das Sanitärhandelkartell und diverse Kies- und Betonkartelle waren in den Schlagzeilen.

Dieser Erfolg führte zu Widerstand. Betroffene haben sich politisch organisiert und zu wehren begonnen. Dahinter steht im Kern Henrique Schneider, stellvertretender Direktor des Gewerbeverbands. Er half laut Quellen den FDP-Ständeräten, diese Vorstösse mit zu formulieren.

Mithilfe von Schneider und Français liegt dem Parlament ein Vorschlag auf dem Tisch, der das heutige Kartellverbot schwächen soll. Konkret: Konkurrenten, die Preise, Mengen oder Gebiete miteinander absprechen, sollen ungestraft davonkommen, sofern sie den Wettbewerb mengenmässig nicht erheblich beeinträchtigen.

Die Folge einer solchen Neuregelung wäre: Kartellanten könnten sich damit herausreden, ihr Produkt sei auf dem Markt nicht sehr bedeutend oder die Wettbewerbsbehinderung nicht erheblich. Oder sie können davonkommen mit der Rechtfertigung, dass eine Absprache zwar gemacht, aber nie umgesetzt oder unterlaufen worden sei.

Die Wettbewerbspolizei, das Weko-Sekretariat, müsste dann mit Marktstudien und aufwendigen Analysen nachweisen, dass Kunden und Firmen ein erheblicher Schaden durch die Absprache entstanden sei. Solche Nachweise musste die Weko früher machen. Weil aber der Nachweis wirtschaftlicher, negativer Folgen keine exakte Wissenschaft ist, führten solche Marktanalysen der Weko öfters zum Fiasko vor höheren Gerichtsinstanzen.

Seit 2016 ist die Weko davon befreit. Dies entschied das Bundesgericht in einem wegweisenden Fall – es ging um die Zahnpasta Elmex. Seitdem gilt im Kartellrecht, was in der Verkehrskontrolle normal ist: Ein Radarbild genügt, das zeigt, dass ein Fahrzeuglenker zu schnell gefahren ist. Die Polizei muss nicht auch noch beweisen, dass übersetzte Geschwindigkeit Leben gefährdet.

Vergleichbares gilt im Wettbewerb: Die Weko muss nur beweisen, dass eine harte Absprache erfolgt ist. Sie muss aber nicht auch beweisen, dass das Kartell dem Wettbewerb geschadet hat. Dies wird bei einer harten Absprache gesetzlich vermutet. Seitdem gelten harte Kartelle ohne Wenn und Aber als strafbar. Dies hat die Effizienz der Weko erheblich vergrössert – zum Ärger der Betroffenen.

Eine Kampagne des Gewerbeverbandes

Schneider, selber von 2016 bis letzten September Kartellrichter bei der Weko, gab diesem Ärger eine Plattform. Einer, der diese Plattform nutzte, ist der Walliser Sanitärunternehmer Jean-Pierre Bringhen. Er beschrieb in der «Gewerbezeitung» die Hausdurchsuchung als traumatisch. «Etwa acht Personen, von zwei Polizisten eskortiert, überfielen mich förmlich, durchsuchten jeden Winkel in der Firma, beschlagnahmten alles Mögliche und hielten mich bis in die späteren Abendstunden fest.» Er sei wie ein Krimineller behandelt worden. Die Busse sei «exorbitant» ausgefallen und bedrohe sein Geschäft. Die Weko versuche dort, wo sie «wie in unserem Fall» nicht zum Ziel komme, «aus vielen Vermutungen eine Schuld zu konstruieren».

2015 kam es zum Urteil der Weko, was «Verfügung» heisst. Der Sanitärgrosshandel, der Verband und seine Mitglieder hätten sich unter anderem wegen der Festlegung von Bruttopreisen abgesprochen. Bussen wurden verhängt. Betroffene, darunter Bringhen, gingen in Berufung. Jetzt warten sie seit acht Jahren auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.

Schneider, durch Bringhen beeinflusst, sprach fortan abschätzig über die Arbeit seiner Behörde. Der Konflikt gipfelte in einem Diktaturvergleich, die Weko habe fast unbegrenzte Vollmachten. Guy Parmelin griff ein. Die «Handelszeitung» hatte darüber berichtet. Im Sommer dieses Jahres trat Schneider zurück, offiziell wegen anderen Gründen.

Fünf ehemalige Präsidenten fahren im Parlament ein

Am Dienstag nächste Woche beugt sich die zuständige Kommission des Ständerates zum zweiten Mal über das Geschäft. Vor einem Monat, anlässlich der ersten Beratung, habe ein Meinungs- und Begriffschaos geherrscht, sagte ein Beteiligter. Jetzt seien alle verwirrt darüber, ob tatsächlich Revisionsbedarf bestehe. Der Ausgang sei ungewiss.

Mit ein Grund sind die fünf bisherigen Weko-Präsidenten. Sie haben in einem scharfen NZZ-Beitrag vor einer Revision gewarnt. «Nun versuchen offenbar gewisse Kreise, mit der jüngsten Revision das Rad wieder zurückzudrehen und den Kartellen eine neue Verteidigungslinie zu eröffnen», so die Autoren Pierre Tercier, Roland von Büren, Walter Stoffel, Vincent Martenet und Andreas Heinemann. Das sei brandgefährlich: «Selbst bei harten Kartellen wären langjährige Gerichtsverfahren zu eigentlich längst geklärten Fragen zu erwarten. Die daraus entstehende Rechtsunsicherheit könnte den Kartellisten und Marktabschottern Tür und Tor öffnen.»

Noch härter formuliert es die aktuelle Präsidentin Baudenbacher: «Sollte die Gesetzesrevision, wie von Wirtschaftsverbänden und Anwaltschaft verlangt, im Parlament Erfolg haben, würde dies das Bilden von Kartellen begünstigen und ermuntern.»

Wicki und Français reagierten bis zum Redaktionsschluss nicht auf «Handelszeitung»-Anfragen.

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