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Bund trödelt bei Sanierung von Wasserkraftwerken
Fische müssen auf Lift warten

Bis 2030 müssen aus ökologischen Gründen Hunderte Wasserkraftwerke in der Schweiz saniert werden – das schreibt das Gesetz vor. Doch die Betreiber hinken hinterher. Und der Bund hat nicht genug Geld. Das sorgt für Ärger von links bis rechts.
Publiziert: 30.09.2024 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2024 um 11:59 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Fischlift in Mühleberg hilft Forellen flussaufwärts
  • Bund finanziert Sanierungen, doch Geld und Zeit fehlen
  • Bis 2030 müssen 1000 Hindernisse beseitigt werden
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Bei Wasserkraftwerken müssen Massnahmen ergriffen werden, die die negativen Folgen auf Natur und Tierwelt abfedern.
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In Mühleberg BE fahren die Forellen Lift. Seit 2021 ist beim Wasserkraftwerk eine Anlage installiert, die Äschen, Forellen und andere Fische bei der Überwindung des Stauwehrs hilft und damit trotz Kraftwerk die Wanderung flussaufwärts ermöglicht.

Finanziert hat den Fischlift der Bund. Es ist eine Massnahme, mit der die negativen Folgen der Wasserkraft auf Natur und Tierwelt abgefedert werden sollen. Denn um die Biodiversität in den Gewässern ist es schlecht bestellt. Bis 2030 müssen schweizweit 1000 Hindernisse beseitigt werden. Das sieht das Gesetz vor.

Sanierungen hinken hinterher

Doch mit der Umsetzung haperts gewaltig. Der Fischlift in Mühleberg ist eines von wenigen Projekten, die bisher erledigt worden sind. Von den rund 1000 Projekten waren Ende 2022 gerade mal 111 oder rund 10 Prozent in Arbeit oder bereits fertig. Das zeigt ein neuer Bericht des Bundesamtes für Umwelt (Bafu). Wie die Zeitungen von «CH Media» berichteten, soll der Bericht schon Monate vor der Abstimmung über die Biodiversitäts-Initiative vorgelegen haben. Doch veröffentlicht wurde er erst am 25. September – drei Tage nach der Abstimmung.

SP-Nationalrätin Martina Munz (68) ärgert sich, dass die Sanierungen nicht schneller durchgeführt werden. Sie hat die Kraftwerksbetreiber im Verdacht: «Durch die Restwassersanierungen produziert das Wasserkraftwerk allenfalls weniger Strom, dadurch verdienen die Betreiber weniger Geld.»

Doch auch von bürgerlicher Seite gibt es Kritik. SVP-Nationalrat Lukas Reimann (42) ist enttäuscht. «Die ökologische Sanierung der Wasserkraftwerke war Teil des Gegenvorschlags zu einer Volksinitiative. Wenn der Bund die Volksrechte ernst nimmt, muss er auch die Sanierung ernst nehmen.»

Bundesamt für Umwelt betont Fortschritte

Das zuständige Bundesamt für Umwelt betont derweil die Fortschritte, die bereits gemacht wurden. So seien bei 45 Prozent der Sanierungsprojekte die Arbeiten gestartet worden und die Umsetzungsgeschwindigkeit der Sanierungen hätte sich im Vergleich zum letzten Bericht insgesamt verdoppelt. Zu Beginn der Arbeiten sei es notwendig gewesen, Know-how aufzubauen und Prozesse zu etablieren. «Zudem ist die Planung von Sanierungsmassnahmen komplex und benötigt Zeit.»

Auch die Behörden geraten in die Kritik. «Die Kraftwerksbetreiber stören sich daran, dass das Bafu jedes Detail überprüft, obwohl vorher die Kantone die Gesuche bereits inhaltlich geprüft haben», sagt FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (57). Sie ist die Präsidentin des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands. Grundsätzlich sei man aber zufrieden mit den Fortschritten, die die Sanierungen machen.

Geld fehlt

Selbst wenn es schneller geht: Das Geld fehlt. Der Bund finanziert die Sanierungen vollständig. Ein Teil des Strompreises – 0,1 Rappen pro Kilowattstunde – wird dafür in einen Fonds geleitet. Das bringt jährlich rund 50 Millionen Franken. Doch seit Jahren ist klar: Das Geld reicht nirgends hin, um alle erforderlichen Sanierungen zu zahlen. Es fehlen mehrere Milliarden.

Mehr Geld in Zeiten klammer Staatskassen? Das wird nicht einfach. Der WWF wünscht sich eine Kombination von Massnahmen: Im Fokus steht dabei der sogenannte Netzzuschlag, den alle Stromkunden zahlen. Dieser soll erhöht und ein grösserer Teil für die Wasserkraft-Sanierungen verwendet werden, schlägt WWF-Wasserkraftexperte Gabriel Cisarovsky vor. Er wünscht sich zudem einen Runden Tisch, um die Geldfrage zu klären. Die Zeit drängt: «Drei Viertel der einheimischen Fische sind bereits ausgestorben oder vom Aussterben bedroht.»

Wird der Netzzuschlag erhöht, könnten die Strompreise steigen. Für SP-Nationalrätin Munz ist das vertretbar. Wenn man den Beitrag für den Netzzuschlag verdoppelt, würde das für einen gewöhnlichen Haushalt etwa vier Franken pro Jahr ausmachen, rechnet sie vor. «So viel muss uns die Umwelt wert sein.» Die Erhöhung sei für die Endkonsumenten nicht spürbar, da der Strompreis durch den Stromhandel und andere Faktoren grösseren Schwankungen ausgeliefert sei. Munz fordert zudem, dass der Bundesrat Druck macht, Zwischenziele festlegt und Trödler sanktioniert.

Zeit wird knapp

FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher hingegen ist skeptisch: «Bevor wir über mehr Geld sprechen, muss geprüft werden, inwiefern Projekte abgespeckt werden können.» Nun müsse priorisiert und «allenfalls auf Maximallösungen verzichtet» werden.

Das Bafu hat bereits verschiedene Lösungsvarianten ausgearbeitet, über die sich nun das Parlament beugen muss. Doch das dürfte dauern. Dass die Frist bis 2030 eingehalten wird, glaubt kaum mehr jemand. So lange müssen viele Fische auf ihren Lift warten.

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