Deutscher Lokführer-Boss Weselsky
«Herr Rösti hat es in Berlin mit Unverschämtheit zu tun»

Der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer liebt die SBB. Ein Gespräch über das Chaos bei der Deutschen Bahn, Ex-SBB-Chef Andreas Meyer – und die Schweizer Verhandlungen mit Brüssel.
Publiziert: 11.08.2024 um 09:41 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2024 um 08:39 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Wenn Claus Weselsky will, kann er Deutschland lahmlegen. Der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ist der bekannteste und umstrittenste Gewerkschaftsführer in Deutschland. Mit der Deutschen Bahn geht er hart ins Gericht, auf die SBB hingegen singt er eine Lobeshymne. Fast jedes Jahr kommt Weselsky zu den Generalversammlungen seiner Gewerkschaftskollegen in die Schweiz. Blick hat den scheidenden Gewerkschaftschef zum Interview getroffen.

Herr Weselsky, was denken Sie über die SBB?
Claus Weselsky:
Immer, wenn ich SBB fahre, fällt mir auf, wie entspannt, freundlich und höflich das Personal ist. Und wie pünktlich die Züge fahren! Das ist ja das Schlimme in Deutschland: Das Zugpersonal gibt sein Bestes, aber Pünktlichkeit ist leider die Ausnahme geworden.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd im Spass gefragt, ob die Schweiz nicht die Deutsche Bahn übernehmen wolle. Wäre das eine Lösung?
Wenn die Schweiz die Machtinstrumente bekäme, um das wild gewordene Management der Deutschen Bahn rauszuwerfen oder zu bändigen, wäre das ein kluger Ansatz. Allerdings ist das doch ein Offenbarungseid! Der Bundeskanzler ist mit seiner Regierung unfähig, dem Bahnmanagement die Grenzen aufzuzeigen. Peinlich!

Claus Weselsky ist Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer.
Foto: Amin Akhtar/laif
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Die Deutsche Bahn gehört dem Bund. Warum geht Scholz nicht auf die Barrikaden?
Der Bund nimmt seit Jahren seine Verantwortung nicht wahr. Das Management macht, was es will. Die Boni-Regelung wird nicht mehr nach der Pünktlichkeit gemessen, sondern nach der Frauenquote. Die Bahn schreibt rote Zahlen, die Managerlöhne steigen trotzdem. Das ist Tango pervers!

Sie sind CDU-Mitglied. Warum hat Angela Merkel Sie nicht zum Verkehrsminister gemacht, mit der Ansage: «Machen Sie es besser!»
Ich bin zu robust und zu unbequem. Man macht mich nie in der Politik zu einem Minister, weil ich viel zu straff auftreten würde. Ohne Rückendeckung haben Sie verloren.

Persönlich

Claus Weselsky (65) steht seit 2008 an der Spitze der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Mit knallharten Streiks hat er den deutschen Lokführern zu höheren Löhnen, weniger Arbeitszeit und besseren Arbeitsbedingungen verholfen. Weselsky stammt aus Sachsen und hört im Sommer als GDL-Chef auf. Künftig hat er mehr Zeit für seine zweite Ehefrau, seinen erwachsenen Sohn und die Enkelkinder.

Claus Weselsky (65) steht seit 2008 an der Spitze der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Mit knallharten Streiks hat er den deutschen Lokführern zu höheren Löhnen, weniger Arbeitszeit und besseren Arbeitsbedingungen verholfen. Weselsky stammt aus Sachsen und hört im Sommer als GDL-Chef auf. Künftig hat er mehr Zeit für seine zweite Ehefrau, seinen erwachsenen Sohn und die Enkelkinder.

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Als Minister hätten Sie aber aufgeräumt, oder?
Ich sehe mich nicht als Aufräumer, sondern ich würde konsequente Vorgaben machen. Ich würde als Erstes den 3500 Führungskräften der Deutschen Bahn die Dienstwagen wegnehmen. Kein Unternehmen auf der Welt meidet das eigene Produkt so konsequent wie die Führungskräfte der Deutschen Bahn.

Wie kann es sein, dass das Bahnmanagement der Politik auf der Nase herumtanzt?
Die Autolobby ist in Deutschland zu stark. Die Politik hat sich für Autos und Autobahnen interessiert, nicht für die Bahn. Und McKinsey hat sowohl die Deutsche Bahn als auch das Bundesverkehrsministerium beraten. Wir bräuchten in Berlin wie in der Schweiz ein Bundesamt für Verkehr, das den Tarif durchgibt. Ich fand es grossartig, wie die Schweiz den Eintänzer Andreas Meyer, der die SBB in Grund und Boden fahren wollte, aus dem Verkehr gezogen hat.

Was haben Sie gegen Herrn Meyer?
Ich mag Herrn Meyer. Ich fand es sympathisch, wie er aufgetreten ist, nach dem Motto: «Hoppla, hier bin ich.» Aber ich mochte nicht, dass er ein gut funktionierendes System mit Veränderungen um der Veränderung willen zerstören wollte. Herr Meyer war ja ein Zögling von Hartmut Mehdorn, der die Deutsche Bahn an die Wand gefahren hat. Ich habe bei Herrn Meyer den Unsinn erkannt, den Herr Mehdorn in Deutschland bereits umgesetzt hatte. Glücklicherweise waren die Schweizer klug genug, das zu verhindern.

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Der Schweizer Verkehrsminister Albert Rösti wollte sich in München beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder über die Unpünktlichkeit auf der Strecke Zürich–München beschweren. Doch Herr Söder hat Herrn Rösti gar nicht empfangen.
Dafür ist nicht München zuständig, sondern Berlin.

Welchen Tipp geben Sie Herrn Rösti?
Da endet meine Kraft und meine Kunst, weil Herr Rösti es in Berlin mit Unverschämtheit und Grössenwahnsinn zu tun hat. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Es gibt kein Heilmittel dafür, ausser Rauswurf des ganzen Bahnmanagements.

Verspätete Züge aus dem Ausland müssen an der Schweizer Grenze haltmachen. Wie finden Sie das?
Sehr gut. Das ist die einzige Sprache, die Berlin versteht. Es tut mir leid für die Reisenden, aber warum soll sich die Schweiz ihren gesunden Taktfahrplan durch ein krankes System aus Deutschland kaputt machen lassen?

Die Schweiz hat den Gotthardhunnel gebaut und den Ausbau nach Genua finanziert. Deutschland hat das Versprechen, die Trasse nach Rotterdam auszubauen, bislang nicht eingelöst.
Deutschland ist vertragsbrüchig – und die Schweiz ist machtlos. Das Schlimme ist: So etwas können Sie nicht von heute auf morgen korrigieren. Die Versäumnisse wurden vor Jahrzehnten gemacht. Wenn Sie sofort die Ärmel hochkrempeln, wird es trotzdem noch Jahre brauchen. Zum Teil fehlen sogar noch die Baubewilligungen.

Die SBB werben deutsche Lokführer ab. Ist das unkollegial?
Nein. Wir leben in einem freien Europa. Ich verstehe jeden Lokführer, der sagt: Ich will bessere Arbeitsbedingungen haben.

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