Die Geflüchteten sollen mehr arbeiten
Finanzbeamte machen Ukrainerinnen Dampf

40 Prozent der erwerbsfähigen Ukrainer sollen bis Ende Jahr arbeiten. Den Anstoss für dieses Ziel gab die Finanzverwaltung, die sogar 50 Prozent anvisierte. Justizminister Beat Jans ist nun gefordert.
Publiziert: 26.02.2024 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 28.02.2024 um 21:50 Uhr
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Für rund 65'000 in die Schweiz geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer – die Mehrheit sind Frauen – gilt derzeit der Schutzstatus S. Bis mindestens März 2025 können sie im Land bleiben. Über eine Milliarde Franken jährlich kosten sie den Bund. Das soll sich ändern.

In Zeiten, wo der Bund den Gürtel enger schnallen muss, sollen auch die Ukrainer ihren Beitrag leisten – und mehr arbeiten! Häufig sind fehlende Sprachkenntnisse eine Hürde für den Arbeitsmarkt. Doch jetzt gibt der Bund Gas: Bis Ende Jahr soll die Erwerbstätigenquote unter den erwerbsfähigen Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren von aktuell 22 Prozent auf 40 Prozent gesteigert werden. Das hat die damalige SP-Asylministerin und jetzige Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) letzten November im Bundesrat beantragt. 

Finanzbeamte wollten 50-Prozent-Ziel

Der Anstoss zu diesem ehrgeizigen Ziel kam allerdings nicht etwa von Baume-Schneider selbst, sondern von Karin Keller-Sutters (60) Finanzbeamten. Das zeigen verwaltungsinterne Dokumente, welche Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat. Demnach brachte die Eidgenössische Finanzverwaltung in der Ämterkonsultation zum Status S gar ein 50-Prozent-Ziel auf den Tisch. 

Der Druck auf Ukrainerinnen zur Integration in den Arbeitsmarkt steigt.
Foto: keystone-sda.ch
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Durch eine verstärkte Arbeitsmarktintegration könne die Fürsorgeabhängigkeit der Geflüchteten vermindert und damit die Ausgaben gesenkt werden, ortete die Finanzverwaltung Sparpotenzial. Vizedirektor Martin Walker machte klar: Der Druck zur Erwerbsintegration müsse erhöht werden – «sowohl gegenüber den einzelnen Personen als auch gegenüber den Kantonen, welche die vom Bund für die Integration ausbezahlten Beiträge teilweise noch ungenügend einsetzen». 

Kritik an Kantonen

Die Finanzverwaltung giftelte nicht ohne Grund gegen die Kantone. Für Integrationsmassnahmen wie beispielsweise Sprachkurse oder Ausbildungsgänge erhalten diese vom Bund jährlich 3000 Franken pro Person – insgesamt also gegen 200 Millionen Franken. Bloss haben die Kantone dieses Geld bisher nicht vollständig in Integrationsmassnahmen investiert – im ersten Halbjahr 2023 nur etwa zu 60 Prozent, wie ein Fachbericht des Bundes zeigt. Offenbar engagieren sich die Kantone bisher unterschiedlich stark.

Immerhin: Sollte dereinst der Schutzstatus aufgehoben und die Ukraine-Integrationsprogramme auslaufen, müssen die Kantone nicht verwendete Gelder zurückzahlen, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) deutlich macht. 

Ein Bundesratsbrief an die Schutzsuchenden?

SP-Bundesrätin Baume-Schneider nahm den Ball aus der Finanzverwaltung mit einer leicht abgeschwächten Variante auf. Gefordert ist nun aber nicht die Jurassierin, sondern ihr Nachfolger als Justizminister, der Basler Beat Jans (59). Zusammen mit dem Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundesrat Guy Parmelin (64) soll er für eine höhere Erwerbsquote sorgen.

Einige Anregungen hatten die Finanzbeamten bereits parat: Vorstellbar sei etwa eine Sensibilisierungskampagne gegenüber den Arbeitgebern, ein verlängertes Bleiberecht für von der Sozialhilfe unabhängige Personen oder eine befristete Diplomanerkennung. Vorgeschlagen wird ebenso «ein Schreiben des Bundesrates an die noch nicht erwerbstätigen Schutzsuchenden».

Arbeitgeber in der Pflicht

Mit welchen Zusatz-Massnahmen die 40-Prozent-Quote tatsächlich erreicht werden soll, ist noch offen. «Es handelt sich um ein strategisches Ziel, welches alle Partner gemeinsam anstreben sollen – also eine Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und der Wirtschaft», sagt SEM-Sprecher Samuel Wyss gegenüber Blick.

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Die Botschaft sei klar: «Der Bundesrat erwartet von den Schutzsuchenden, dass sie arbeiten, und er fördert sie dabei, die Sprache zu lernen.» Doch auch die Wirtschaft wird stärker in die Pflicht genommen. «Die Arbeitgeber sind gebeten, den Ukrainerinnen und Ukrainern Chancen zu bieten», so Wyss. 

Derzeit fänden auf verschiedenen Ebenen Diskussionen statt und voraussichtlich Ende April werde über die Ergebnisse informiert. Wenn es mit der Umsetzung nicht klappt, muss sich trotzdem niemand Sorgen machen. Wyss: «Eine Nichterreichung des Zielwerts ist nicht mit Sanktionen verbunden.»

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