Die SP-Bundesrätin im Porträt
Letzte Chance für Elisabeth Baume-Schneider

Als Justizministerin schwänzte sie Sitzungen und ging im Bundeshaus verloren. Dazu hagelte es Dauerkritik von rechts. Der Neuanfang im Departement des Innern ist Elisabeth Baume-Schneiders letzte Chance.
Publiziert: 24.12.2023 um 08:58 Uhr
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Aktualisiert: 24.12.2023 um 20:01 Uhr
Symbolischer Akt: Elisabeth Baume-Schneider begrüsst Beat Jans in ihrem Büro zur Schlüsselübergabe.
Foto: keystone-sda.ch
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Peter AeschlimannRedaktor

Theater im Bundeshaus West: Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (59) empfängt ihren Nachfolger Beat Jans (59) und rund ein Dutzend Medienschaffende zur inszenierten Schlüsselübergabe. Lächeln für die Kameras, Fragen sind nicht erlaubt. Er schenkt ihr einen Strauss SP-roter Blumen, sie drückt ihm das Buch «Die unvollendete Direkte Demokratie» in die Hand – und obendrauf einen Stapel unvollendeter Dossiers.

Nach ein paar Minuten ist der traditionelle Spuk vorbei. Die Journalisten ziehen von dannen, die Bundesrätin wechselt hinüber in den Nationalratssaal, um dort ein letztes Mal in ihrer Rolle als Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) eine Schimpftirade von rechts über sich ergehen zu lassen. Dabei steht sie, wie eigentlich fast immer in den letzten zwölf Monaten, wegen ihrer Haltung in der Asylpolitik im Kreuzfeuer.

Wann Baume-Schneider endlich gedenke, systematische Grenzkontrollen anzuordnen, wie sie etwa Deutschland neuerdings praktiziere, will die Genfer SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz (44) wissen. Bislang lächelte die Jurassierin die stets gleichlautenden Fragen weg, parierte die Angriffe mit Charme.

Doch an diesem Mittwochnachmittag ist etwas anders: Baume-Schneider lupft es den Deckel. Sie lasse sich nicht vorwerfen, von Deutschland eine Ohrfeige kassiert zu haben, giftelt die Magistratin zurück. Kurz vor Weihnachten ist Elisabeth Baume-Schneiders Geduld aufgebraucht. Zeit für einen Neuanfang.

Ein Wechsel, der Sinn ergibt

Diesen versucht Baume-Schneider ab Januar als Vorsteherin des Innendepartements (EDI). Viele im Parlament sind überzeugt, dass dieser Wechsel von Anfang an ihr Plan gewesen sei. Das Büro des EJPD als Wartezimmer, bis sich die erstbeste Gelegenheit zur Flucht ergibt. Ihre Vorgängerinnen Karin Keller-Sutter (60) und Simonetta Sommaruga (63) haben den Weg des geringsten Widerstands für Baume-Schneider vorgespurt. Auch sie nahmen frühzeitig Reissaus.

Eigentlich passt es auch besser so: Baume-Schneider studierte Sozialwissenschaften an der Uni Neuenburg, arbeitete als Sozialarbeiterin und leitete die Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne VD. Als Regierungsrätin stand sie dem Departement für Bildung, Kultur und Sport vor. Eine Karriere, die so verläuft, kann logischerweise nur im EDI gipfeln.

Die Rochade im Bundesrat mag Sinn ergeben, überrascht hat sie trotzdem alle. Elisabeth Baume-Schneider hatte bei ihrer Wahl vor einem Jahr angekündigt, nicht übers Pensionsalter hinaus Bundesrätin bleiben zu wollen. Die Zeit, die Baume-Schneider im EDI bliebe, reicht vielleicht, um im Amt anzukommen und Projekte anzureissen. Für den grossen Wurf hingegen benötigte es mehr Ausdauer.

Zur Erinnerung: Ihr Vorgänger, SP-Bundesrat Alain Berset (51), liess zwölf Jahre lang nichts unversucht – und hat dennoch nur bescheidene Erfolge erzielt auf den komplizierten Baustellen des Gesundheitswesens oder in der Altersvorsorge. Bei der Schlüsselübergabe im EDI schenkte Berset seiner Nachfolgerin eine Sanduhr…

«Baume-Schneider ist führungsschwach»

Er würde sofort mit Elisabeth Baume-Schneider einen Kaffee trinken gehen, sagt SVP-Nationalrat Franz Grüter (60). Menschlich gebe es an der Bundesrätin nichts auszusetzen, umgänglich sei sie, man habe sie gern. «Deshalb wurde sie auch in die Regierung gewählt.»

Ihren Job habe sie jedoch bislang nur ungenügend erledigt, sagt Grüter. «Elisabeth Baume-Schneider ist führungsschwach und ignoriert die Sorgen der Bevölkerung», lautet das ernüchternde Verdikt des Luzerner Aussenpolitikers. Als Beispiel nennt er die Geschehnisse rund um das Asylzentrum in Chiasso TI im letzten Frühling: Missstände im öffentlichen Raum, eine Bevölkerung am Limit und ein Hilferuf, der in Bern viel zu lange nicht gehört worden ist.

Im Mai, als die Lage an der südlichen Grenze bereits sehr angespannt war, nahm Sozialarbeiterin Elisabeth Baume-Schneider an einem Aktionstag gegen Armut und Prekariat in Biel BE teil. Ins Tessin reiste die Justizministerin erst Monate später. Nach ihrem Besuch im November sagte Baume-Schneider, sie würde sehr gern in Chiasso wohnen. Was als Zuspruch für einen gebeutelten Ort gedacht war, empfanden ihre Gegner als Affront.

Einen Erfolg, wenn auch einen kleinen, feierte Elisabeth Baume-Schneider mit der Reform des Sexualstrafrechts. Dass das Bundesverwaltungsgericht vor ein paar Tagen die Beschwerde zweier Afghaninnen gegen ihre Ausweisung gutgeheissen hat, muss Balsam für Baume-Schneiders Seele gewesen sein. Ihr Staatssekretariat für Migration gewährt Afghaninnen seit dem Sommer grundsätzlich Asyl. Die Ratsrechte tobte – und wurde, als sie den Entscheid rückgängig machen wollte, in der vergangenen Wintersession abgewatscht.

Das Debakel mit den Wohncontainern

Überschattet wurde die kurze Amtszeit der EJPD-Vorsteherin aber vom Wohncontainer-Debakel. Das Parlament verwehrte dem Bundesrat im Frühling 130 Millionen Franken, die für den Bau temporärer Asylunterkünfte hätten verwendet werden sollen. Es hiess, die Bundesrätin sei schlecht vorbereitet gewesen. Erholt hat sich Baume-Schneider von dieser Niederlage nie.

Und jetzt also der Umzug ins EDI. In Baume-Schneiders Zügelkiste befindet sich vermutlich auch ein Erzählband, der bis letzte Woche noch in einem Büchergestell ihres alten Büros stand: «Douze Fables – Zwölf Fabeln». Unweigerlich kommt einem «Die fabelhafte Welt der Amélie» in den Sinn. Elisabeth Baume-Schneider hat viel mit Filmheldin Amélie Poulain gemein, die alle Menschen liebt, stets freundlich lächelt – und bisweilen etwas verpeilt wirkt.

Als jüngst ein wichtiges Bundesratsgeschäft in der Sicherheitskommission des Nationalrats besprochen wurde, blieb Elisabeth Baume-Schneider dem De-facto-Pflichttermin unbegründet fern. Für Irritation und einige Lacher sorgte ebenso die Episode, als EBS während der Sommersession minutenlang nicht zur Fragestunde im Parlament aufgekreuzt war und niemand genau wusste, wieso. «Wir warten auf die Bundesrätin – und wir finden sie nicht», rätselte der damalige Nationalratspräsident Martin Candinas (43).

Es gibt viel zu tun im Innendepartement

Wo ist Elisabeth Baume-Schneider in einem Jahr? Es heisst, dass sich die EDI-Vorsteherin schon seit Wochen in ihre neuen Dossiers vertieft. Ihre Partei sieht den Wechsel als Chance. «Vier Jahre reichen, um Pflöcke einzuschlagen», sagt die Basler SP-Nationalrätin Sarah Wyss (35). Sie hat grosse Hoffnungen, dass Baume-Schneider etwa bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen vorwärtsmacht. Und eine gute Falle bei den zahlreichen Abstimmungen, die der Neo-Innenministerin im nächsten Jahr bevorstehen. Schon im März geht es los mit der 13. AHV-Rente. Würde sie angenommen, wird es für die Sozialwerke teurer – und für die verantwortliche Bundesrätin damit nicht einfacher. Elisabeth Baume-Schneider bringe das Rüstzeug mit, das es für die Führung des EDI benötige, ist Wyss überzeugt. «Ein Spaziergang wird es nicht.»

Sicher ist: Der Schwarznasenschaf-Bonus ist verpufft, dieses Mal muss es klappen. Denn in Bundesbern gelten die gleichen Regeln wie beim Sprint: Ein Fehlstart ist erlaubt, nach dem zweiten scheidet man aus. 

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