Jüngster Kanton erstmals in der Regierung
Königin Elisabeth

Elisabeth Baume-Schneider hat noch nie eine Wahl verloren. Am Mittwoch feierte sie den überraschendsten ihrer Siege – und brachte den Jura in den Bundesrat.
Publiziert: 11.12.2022 um 09:03 Uhr
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Adrien Schnarrenberger

«Ich sollte zwei Sätze auf Italienisch auf meinem Blatt haben ... Nun gut, beim nächsten Mal mache ich es besser.» Schon bei ihrer Dankesrede sorgte Elisabeth Baume-Schneider für Fröhlichkeit unter der Bundeshauskuppel – eine weitere Kostprobe der Spontanität, mit der sie am Mittwoch kurz zuvor 123 Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Bundesversammlung so verzaubert hatte, dass sie ihr die Stimme gaben. Ihr aufrichtig eingestandener Patzer zeigt aber auch: Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, Bundesrätin zu werden.

«EBS» war die Rolle der gefassten Verliererin zugedacht, während Eva Herzog den Kanton Basel-Stadt nach einem halben Jahrhundert endlich wieder in den Bundesrat bringen sollte.

Ehemann Pierre-André Baume, von Beruf Fahrlehrer, hatte sich für den Wahltag einen Anzug von seinem Sohn Luc leihen müssen. Sein Alltag wird sich radikal ändern – aber das Leben im Schatten seiner erfolgreichen Ehefrau ist er bereits gewohnt.

Elisabeth Baume-Schneider aus Les Breuleux ist die erste Bundesrätin ihres Kantons.
Foto: Keystone
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Elisabeth Baume-Schneider:«Wir müssen Brücken bauen»

Die jurassische Lobby am Werk

Der Sieg der Sozialdemokratin ist auch ein Triumph des «Teams Jura». Man brauchte nur in die Gesichter der jurassischen Mitte-Politiker Charles Juillard (59, Ständerat) und Jean-Paul Gschwind (70, Nationalrat) zu sehen, um zu ahnen, dass diese Wahl weit mehr als lediglich parteipolitische Aspekte besitzt. Der jüngste Kanton des Landes hat nur eine der kleinsten Delegationen im Bundeshaus, doch EBS-Anhänger leisteten im Hintergrund immense Lobbyarbeit, um die Parlamentarier einzeln zu überzeugen – insbesondere im Nationalrat, wo die Vizepräsidentin der SP Schweiz weniger bekannt ist.

Bundesratswahlen sind nicht zuletzt eine Sache der Vorbereitung und des Timings. Daniel Jositsch, Verursacher eines der spektakulärsten politischen Eigentore in der Schweizer Geschichte, hätte von seiner Parteigenossin lernen können: Elisabeth Baume-Schneider hat während fast 30 Jahren in der Politik noch nie eine Wahl verloren.

Stillen im Parlament

Im Alter von 30 Jahren zog die ausgebildete Sozialarbeiterin 1994 ins Parlement jurassien ein. Vier Jahre später stand sie bereits an der Spitze der SP-Liste, wurde wiedergewählt und präsidierte im Jahr darauf das Kantonsparlament. Über die Grenzen des Juras hinaus wurde sie bekannt, als sie ihren Sohn mitten unter den Abgeordneten stillte.

2003 wurde sie als erste Sozialistin in die jurassische Regierung gewählt. Damals war es für Maman Baume-Schneider (50 der 1500 Einwohner von Les Breuleux tragen den Familiennamen Baume) Ehrensache, einen freien Nachmittag für ihre Kinder zu reservieren.

Als Bundesrätin war sie bereits 2010 im Gespräch, verzichtete aber auf eine Kandidatur: «Der Zeitpunkt ist für mich nicht günstig.» Sie gab ihrem Mandat in der jurassischen Regierung den Vorzug.

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Radikal wie Daniel Vasella

Und wie war das mit ihrer Mitgliedschaft in der Sozialistischen Arbeiterpartei, der Nachfolgeorganisation der Revolutionären Marxistischen Liga? In Baume-Schneiders Worten vom Mittwoch ging das so: «Wenn man jung ist, hat man Utopien. Schlimm ist, wenn man gleichgültig ist.» Zur gleichen Zeit war übrigens auch ein gewisser Daniel Vasella in jener Splittergruppe aktiv. Sein Werdegang dürfte all jene beruhigen, die sich über den Lebenslauf der neuen Bundesrätin Sorgen machen.

Im Jura ist es schwierig, EBS-Gegner zu finden. Alle loben die Fähigkeit dieser Exekutivfrau, die 13 Jahre lang in der Kantonsregierung in der Minderheit war, «Brücken zu bauen». Nun hat sie das auch für den Bundesrat angekündigt. Die zehnte Bundesrätin, die erste mit grauem Haar, wird nicht die Amtsdauer der Königin von England erreichen, aber das Potenzial zu aussergewöhnlicher Popularität hat sie allemal.

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