Digitales Reisetagebuch
Neuer digitaler ÖV-Tarif stösst auf Widerstand

Die ÖV-Branche will ab 2027 mit «myRide» den Ticketkauf vereinfachen. Die Politik und der Konsumentenschutz fürchten nun Intransparenz.
Publiziert: 22.07.2023 um 15:33 Uhr

Sich im Tarifdschungel des öffentlichen Verkehrs zurechtzufinden, ist kompliziert. Die Preise sind oft unübersichtlich. Für dieselbe Strecke können je nach gewähltem Ticket unterschiedliche Kosten anfallen. Viele verstehen deshalb nur noch Bahnhof.

Aus diesem Grund hat der Branchenverband Alliance Swisspass im März das Pilotprojekt «myRide» ins Leben gerufen. Bald soll in der Schweiz ein neuer, digitaler ÖV-Tarif eingeführt werden. Der Billettkauf vor jeder Fahrt soll damit der Vergangenheit angehören.

Stattdessen zeichnet eine App ein sogenanntes «Reisetagebuch» auf und rechnet im Nachhinein den Tarif aus. Das Ziel ist es, einen neuen Basistarif einzuführen, der auf der gefahrenen Strecke basiert. Wer mehr fährt, reist günstiger. Es müssen keine Einzelbillette oder Abos mehr gelöst werden. Das aktuelle Billett-System mit GA und Halbtax soll hingegen beibehalten werden.

Ist der Billettkauf vor jeder Fahrt bald Vergangenheit?
Foto: Keystone
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«Das Tarifsystem von ‹myRide› ist undurchsichtig»

Doch nun regt sich Widerstand gegen den neuen Tarif. Ein Vorstoss von SP-Nationalrat Matthias Aebischer (55) beauftragte den Bundesrat abzuklären, ob das neue Tarifsystem die gesetzlichen Vorgaben überhaupt erfüllt.

«Das Tarifsystem von ‹myRide› ist undurchsichtig. Als Konsument kann ich nicht mehr nachvollziehen, wie die Preise entstehen», gibt Aebischer zu bedenken. Darüber stellen sich ihm datenschutzrechtliche Fragen: Er fürchtet, dass Reisende ohne Kreditkarte ausgeschlossen werden könnten.

Tatsächlich: In seiner Antwort auf einen Vorstoss von Aebischer verspricht der Bundesrat zumindest, diese Bedenken im weiteren Prozess zu berücksichtigen.

Geradezu empört zeigt sich der Konsumentenschutz: «Ich bin entsetzt über die Entwicklung. Das ist Vernebelung, Vertuschung und Verwirrung der Konsumentinnen und Konsumenten», sagte Geschäftsleiterin Sara Stalder im April zu «20 Minuten».

«Einzige Lösung, um Tarifdschungel zu lichten»

Dem widerspricht Bastian Bommer (49), Vorstandsmitglied von Pro Bahn Schweiz: «Wir setzen sehr grosse Hoffnungen in ‹myRide›. Es ist die einzige Lösung, um den Tarifdschungel zu lichten.» Für ihn ist klar, dass das System für mehr Transparenz sorgen würde.

Doch auch er gibt zu, dass es einen analogen Zugang zu ÖV-Tickets brauche – für Personen ohne Handy und Kreditkarte: «Smartphone-Verweigerer, Kinder und Touristen sollen in Zukunft ebenfalls das System nutzen können», meint Bommer leicht angesäuert. Die Alliance Swisspass war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Die Testphase für «myRide» dauert voraussichtlich bis 2024. Der Entscheid über die Umsetzung soll bis Ende des kommenden Jahres fallen. Eine mögliche Einführung würde dann frühestens 2027 erfolgen.

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