Energie-Branche warnt vor Naturschutz-Abstimmung
Zieht diese Initiative dem Stromgesetz den Stecker?

Die Gegner der Biodiversitätsinitiative warnen: Ein Ja bei der Abstimmung im September würde die Umsetzung des Stromgesetzes verhindern. Alles nur Angstmacherei?
Publiziert: 21.06.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2024 um 11:17 Uhr
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Céline ZahnoPraktikantin Politik

Lange jubeln konnte Albert Rösti (56) nicht. Nach dem Ja zum Stromgesetz steht für den Umwelt- und Energieminister schon der nächste Abstimmungskampf an. Er setzt sich gegen die Biodiversitäts-Initiative ein, über die die Schweiz am 22. September abstimmt.

Rösti warnte: Die Initiative wäre ein Rückschritt für den eben beschlossenen Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Biodiversitäts-Initiative würde dem Stromgesetz den Stecker ziehen, fürchten auch Stromverbände und Energiepolitiker.

Türen auf einen Schlag geschlossen

Die Initiative will mit einem neuen Verfassungsartikel den Schutz der Natur und die Artenvielfalt stärken. Konkret sollen Bund und Kantone mehr Schutzgebiete festlegen, um die Biodiversität zu sichern und zu fördern. Damit würde zum Beispiel die Umsetzung von Wasserkraft-Projekten erschwert, warnt FDP-Nationalrätin Jaqueline de Quattro (63). Denn: Naturschützer könnten sich bei Einsprachen auf den neuen Verfassungsartikel stützen und so mehr Gewicht erhalten.

Kaum hat Bundesrat Rösti die Abstimmung zum Stromgesetz gewonnen, brachte er sich schon wieder in Kampfbereitschaft.
Foto: keystone-sda.ch
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Michael Frank (60) vom Dachverband der Strombranche VSE wird noch deutlicher: Sämtliche Türen, die das Stromgesetz für das Voranbringen der Energiewende öffnet, würden auf einen Schlag geschlossen.

«Das ist Angstmacherei»

Einmal mehr werden die Naturschützer als Verhinderer der Energiewende dargestellt. Für Landschaftsschützer Raimund Rodewald (65) ist das «reine Angstmacherei». «Die Gegnerschaft beschwört einen Konflikt, wo es keinen gibt», sagt er.

Um das zu beweisen, haben die Initianten ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Gemäss Umweltrechts-Experte Peter M. Keller steht nicht fest, dass die Biodiversitäts-Initiative neue Stromprojekte zwangsläufig in Bedrängnis bringt. Die Initiative verlangt, dass der «Kerngehalt» der geschützten Objekte «ungeschmälert erhalten bleibt». Was das genau bedeutet, definiert sie aber nicht.

Theoretisch könnte das so ausgelegt werden, dass der Bau von Kraftwerken in einigen Landschaften praktisch unmöglich wäre, so das Rechtsgutachten. Eine zurückhaltende Auslegung würde dem Stromgesetz hingegen nicht in die Quere kommen. 

Eine grosse Blackbox

«Wir können nur hoffen, dass die Umsetzung der Biodiversitäts-Initiative mit dem Stromgesetz kompatibel wäre. Klarheit haben wir nicht», sagt Michael Frank vom Stromverband. Die Initiative sei eine grosse Blackbox. Frank betont: «Eine Annahme würde mindestens enorme Verunsicherung für angelaufene und neue Projekte bedeuten und sie weiterhin verzögern oder im schlimmsten Fall verunmöglichen.»

Rodewald stellt hingegen klar: Unter Kerngehalt von Schutzgebieten verstehe er den zentralen Kern von Landschaftsperlen, wie etwa den Rheinfall. Solche Landschaften würden auch heute nicht der Energiegewinnung geopfert. Ausserdem sei das Parlament fürs Festlegen der genauen Kriterien in einem Gesetz verantwortlich. Tatsächlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass das bürgerlich dominierte Parlament die Initiative so umsetzen würde, dass Energieprojekte verhindert würden.

Viel bleibt also schwammig. Was klar ist: Kommt das Ja im September, hat Rösti keinen Grund zum Jubeln, sondern viel Arbeit vor sich.

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