«Er hat den Bogen überspannt»
Der allmächtige Herr Ritter

Bauernpräsident Markus Ritter, der mächtigste Mann in Bundesbern, fordert alles für seine Bauern – und marschiert im Parlament durch. Wie macht er das? Und geht er zu weit?
Publiziert: 10.12.2023 um 02:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.12.2023 um 09:43 Uhr
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Markus Ritter ist zufrieden, die Woche war erfolgreich. «Die 3,5-Prozent hätten wir letzte Legislatur verloren. 100 Prozent.» Er meint das Ziel für Biodiversitätsförderflächen – ein wichtiges Umweltziel. Am Montag hat der Nationalrat dieses um ein weiteres Jahr verschoben. Mit 119 zu 68 Stimmen. «Welten» seien das, sagt Ritter, der «marge de manœuvre» sei viel grösser, der «touch» im Nationalrat ein ganz anderer.

Ritter (56), Mitte-Nationalrat, Biobauer, seit 2012 Bauernpräsident, ist Strippenzieher der schlagkräftigsten Schweizer Lobby. Und einer der mächtigsten Männer in Bundesbern.

Als Bauernpräsident bekämpft er unermüdlich Bestrebungen für mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft. Er bodigte die Pestizid-, Trinkwasser- und Massentierhaltungs-Initiative, blockierte die Agrarpolitik 22+ und schanzte der Landwirtschaft trotz Sparauftrag einen Millionenbetrag zu.

Markus Ritter, Mitte-Nationalrat und oberster Bauer, boxt erfolgreich jedes Anliegen seines Verbands durch.
Foto: Keystone
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Sieben Geheimnisse für seinen Erfolg

Wie macht er das? Sieben Geheimnisse gebe es, sagt Ritter.

Erstens: Habe ein Ziel, eine Strategie und vor allem die richtige Taktik, wie du das erreichen kannst. Ritters Ziel: Alles für «seine» Bauern. Er will die landwirtschaftliche Schweiz, wie sie ist, erhalten, die ökologische Wende verhindern. Was aus ökologischer Sicht vernünftig ist, sehen viele konventionelle Bauern primär als zusätzliche Bürokratie. Der Zweck heiligt ihm viele Mittel. 2022 schloss Ritter mit den Wirtschaftsverbänden – Economiesuisse, Gewerbeverband, Arbeitgeberverband – ein Bündnis, von den Linken als «Geld-und-Gülle-Allianz» verspottet. Die FDP half ihm, die grüne Agrarreform abzuschiessen. Im Gegenzug gab der Bauernverband die Nein-Parole zur Konzernverantwortungs-Initiative aus. Ein Kuhhandel.

Hinter dem höflichen Mann – er entschuldigt sich für zwei Minuten Verspätung – steckt einer, der gewinnen will, das merkt man schnell. Schon in der Schule wollte Ritter immer der Beste sein. Die wenigen, die sich mit ihm angelegt haben – wie beispielsweise der Grünen-Nationalrat und Präsident der Kleinbauernvereinigung Kilian Baumann –, sagen, Inhalte seien für Ritter sekundär.

Stets vorbereitet

Ritter ist ein Meister im Taktieren – das Fundament dazu gründet in seinem zweiten Geheimnis:Kenne die formellen Abläufe. «Du musst wissen, wie das Spiel läuft», sagt er. Wie funktionieren Debatten, Differenzbereinigungen, die Zusammenarbeit mit dem Bundesrat?

Ritter hat die Reformen in der Landwirtschaft verhindert – mit politischen Tricks und Gegengeschäften, aber auch mit Geheimnis Nummer drei: Kenne die Materie. «Wenn du wirklich stark auftreten willst, musst du im Idealfall zehnmal mehr wissen als deine Gegner.» Das Zauberwort heisst Fleiss, und Ritter hat es sich zum Befehl gemacht: Studiert jede agrarpolitische Vorlage bis in die Fussnote und rezitiert ganze Sätze mit Seitenangabe. Hat sich die Zahlen zur Waffe gespitzt. Lernt für den Verband fliessend Französisch, verliest die Dankesrede auf Romanisch. Steht um halb Sechs auf, ist während der Session meistens einer der ersten im Bundeshaus.

Interessiert an Mehrheiten und Lösungen

Auf Fleiss folgt Einigkeit. Viertes Geheimnis. Die Kunst sei es, den grössten gemeinsamen Nenner zu finden. Nur so könne man gewinnen. «Wenn man sich nicht einig ist, machst du besser nichts.»

Ritter rechnet gerne, vor allem in Mehrheiten. Das ist, was ihn in die Politik bringt. Mit 20 nimmt ihn sein älterer Bruder an eine CVP-Versammlung mit, Ritter wird Rechnungsrevisor (die Zahlen!), führt für einen Bauern einen Wahlkampf. Er merkt, das kann er gut. Mit 25 wird er Gemeinderat von Altstätten, studiert Wirtschaftsingenieurwesen, wird 2011 im dritten Anlauf nach Bern gewählt.

Im Gemeinderat ist er es, der die schwierigen Einspracheverhandlungen führt und fast immer eine Lösung findet. «Was mich faszinierte, war nicht meine Meinung durchzubringen, sondern Mehrheiten und Lösungen zu finden», sagt Ritter.

Was Ritter nicht sagt, aber auch zum vierten Geheimnis zählen dürfte: Halte deine Reihen geschlossen. Aus Landwirtschaftskreisen heisst es, seit der Allianz mit der Wirtschaft habe der Wind im Bauernverband gedreht. Wer auch nur entfernt eine andere Position vertrete, werde angefeindet. Erstes Bauernopfer ist Kilian Baumann, der aus der Konferenz der bäuerlichen Parlamentarier ausgeschlossen wurde – und davon aus den Medien erfahren hat. Das Signal an die Neuen sei klar, sagt Baumann: «Wenn ihr aus der Reihe tanzt, werdet ihr abgesägt.»

100% - immer

Einigkeit jedoch verpufft ohne Geschwindigkeit. «In diesem Haus frisst der Schnellere immer den Langsameren, nie der Grosse den Kleinen.» Sagt es und wiederholt es. Wolle man gewinnen, sagt Ritter, müsse man «das Spiel schnell machen»: die Antwort auf die neue Frage schon kennen. Am besten, bevor sie gestellt werde. Deshalb Geheimnis Nummer fünf.

Sein Tempo? «Vollgas, immer.» Ritter schreibt im Jahr um die 15'000 Mails, beantwortet sämtliche Anfragen innert weniger Stunden, auch nachts – denn er weiss: Arbeite mit den Medien. Geheimnis Nummer sechs. «Medien sind wichtig.» Aber unter Druck. «Darum ist wichtig, dass du in diesem Spielchen mitspielst.» Für Ritter heisst das: Geschichten erzählen. Wie er es vom Vater gelernt hat.

Fast jedes Porträt über ihn beginnt in Altstätten SG im 400 Jahre alten Bauernhaus. Postkartenschweiz. Ritter, frommer Katholik, ist nur 600 Meter den Hügel runter als mittleres Kind einer Bauernfamilie (die Mutter stammt aus Italien) aufgewachsen, der Bruder ist Rechtsanwalt, die Schwester Lehrerin. Ritter weiss um die Wirkung der bäuerlichen Bescheidenheit. Man erfährt, dass in der Stube ein Bauernschrank steht, den Ritter 1987 in der Lehre zimmerte. Aber auch, dass seine Frau Heidi den Grossteil der Arbeit zu Hause übernimmt. Wie sie für ihn die Hemden bügelt, ihm den Koffer packt – und fast entschuldigend sagt, es wäre schön, hätte er etwas mehr Zeit.

Letztes Geheimnis: Habe Respekt, aber nie Angst. Man müsse politisch Andersdenkende ernst nehmen, fair sein. «Aber hier ist es laut, man wird beschimpft, da darfst du keine Angst haben.» Sonst müsse man besser in eine Schulpflege.

Gegenstimmen formieren sich

Ritter gibt sich demütig – doch seine Aussagen sprechen zeitweise eine andere Sprache. Nächstes Jahr will er erneut fürs Präsidium des Bauernverbands kandidieren. Doch vielleicht ist Ritters nächste Rechnung bald auch: Wie lange noch? Denn die Stimmen, die sagen, er gehe zu weit, werden lauter. Kathrin Bertschy, GLP-Nationalrätin und mit Ritter in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben, sagt, seit der bürgerlichen Allianz trete Ritter – «der Bauernindustrielle» – noch forscher auf als bisher, fordere unverhohlen, diktiere den Bürgerlichen den Takt vor. Er bekämpfte selbst Vorstösse, die agronomisch sinnvoll wären – wie die Biodiversitätsförderflächen. Er lehne es ab, weil er es könne. Von «Machtrausch» sprechen Bertschy und Baumann. «Offenbar geht es ihm nur noch darum, seinen Freunden einen Gefallen zu tun und den Gegnern eins auszuwischen», sagt dieser.

Die Unzufriedenheit im Bauernstand und im Parlament wachse, sagt Bertschy: «Ritter hat den Bogen überspannt.» Denn draussen auf den Äckern bahnt sich eine Schlacht an, die man auch mit bestem Taktieren in Bundesbern nicht gewinnen kann: die gegen den Klimawandel. Viele Bauern haben das erkannt. Ritter auch?

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