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Ex-Botschafter Tim Guldimann zur besonderen Rolle im USA-Iran-Konflikt
Die Schweiz als Briefträgerin im Pulverfass

Als Schutzmacht der USA im Iran hat die Schweiz eine besondere Rolle im eskalierenden Konflikt im Nahen Osten. Eine Rolle, die man aber nicht überschätzen dürfe, sagt Ex-Botschafter Tim Guldimann.
Publiziert: 03.01.2020 um 18:17 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2020 um 23:06 Uhr
Lea Hartmann

Beide Seiten haben den Konflikt in den vergangenen Monaten angeheizt. Mit der Ermordung des iranischen Topmilitärs Qassem Soleimani (62) durch die USA droht aus dem Spiel mit dem Feuer der Erzfeinde USA und Iran nun ein Flächenbrand zu werden. Der General ist gestern bei einem Raketenangriff in der irakischen Hauptstadt Bagdad getötet worden.

In den Konflikt ist indirekt auch die Schweiz involviert. Seit 40 Jahren vertritt die Eidgenossenschaft als Schutzmacht die Interessen der USA im Iran. Bereits zum zweiten Mal innert einer Woche ist darum heute ein Vertreter der Schweizer Botschaft ins iranische Aussenministerium zitiert worden.

Dem Geschäftsträger der Schweizer Botschaft ist die Position des Irans klargemacht worden. Die Ermordung Soleimanis sei ein «eklatantes Beispiel für den amerikanischen Staatsterorrismus», hatte ein Sprecher des iranischen Aussenministeriums via Twitter mitgeteilt. Der Schweizer Diplomat überbrachte den Iranern umgekehrt auch eine Botschaft der USA.

Schweizer Ex-Botschafter: Tim Guldimann. (Archivbild)
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Die Schweiz selbst rief beide Parteien dazu auf, jegliche Eskalation zu vermeiden.

Übermittlerin, nicht Vermittlerin

Dass die Schweiz über den Botendienst und den Appell zur Deeskalation hinaus aktiv wird, davon ist nicht auszugehen. Man dürfe jetzt nicht die Erwartung haben, dass die Schweiz vermittle, betont der ehemalige Spitzendiplomat und Ex-SP-Nationalrat Tim Guldimann (69), der von 1999 bis 2004 Schweizer Botschafter in Teheran war.

Als Schutzmacht habe die Schweiz nur die Funktion einer Briefträgerin. Sie garantiert, dass die USA und Iran trotz gekappter diplomatischer Beziehungen zumindest minimal miteinander kommunizieren können. Guldimann: «Sie wird aber nur gebraucht, wenn die eine Seite der anderen etwas sagen will.»

Der Dienst werde von beiden Seiten explizit geschätzt, sagt er. Für die Schweiz ist er derweil ziemlich aufwendig. Markus Leitner, der Schweizer Botschafter im Iran, setzt bis die Hälfte seiner Arbeitszeit für das Schutzmachtmandat auf, wie er gegenüber der «NZZ» einst schätzte.

Rund um die Uhr erreichbar

Sind die Pöstler-Dienste der Schweiz gefragt, wird die Botschaft per Telefon informiert. Ein Mitarbeiter der diplomatischen Vertretung holt dann die Mitteilung beim iranischen oder amerikanischen Aussenministerium ab und schickt sie – über einen verschlüsselten Kanal – nach Bern und an die Schweizer Botschaft in Washington oder Teheran. Die Mitteilung wird entschlüsselt, ausgedruckt und dem einen oder anderen Aussenministerium übergeben.

Botschafter Leitner muss für den Dienst rund um die Uhr erreichbar sein. Für ihn sind brenzlige Situationen nichts Neues. Bevor er 2017 nach Teheran beordert wurde, vertrat er die Schweiz in Ägypten – dies ebenfalls während einer politisch äusserst schwierigen Zeit. So war er Botschafter, als das Militär Präsident Mohammed Mursi (†67) stürzte.

Erinnerungen an Revolution 1979

Und nun also die Krise im Iran und dem Nachbarstaat Irak. Der ehemalige Botschafter Guldimann schaut mit grosser Besorgnis auf seinen ehemaligen Arbeitsort. «General Soleimani war als Führer der Revolutionsgarden eine Schlüsselfigur in Iran. De facto war er mittlerweile nach dem Staatsoberhaupt Chamenei die einflussreichste Führungspersönlichkeit im Land», sagt er. «Ein Anschlag gegen ihn ist ein Kriegsakt gegen die Spitze des Regimes.»

«Mit dem Angriff auf Soleimani dreht sich die Eskalationsschraube weiter», sagt auch sein Nachfolger in Teheran, Ex-Botschafter Philippe Welti (70). Auslöser dafür waren gewaltsame Proteste pro-iranischer Demonstranten vor der US-Botschaft in Bagdad. «Die Bilder des Angriffs erinnern fatal an die Stürmung der US-Botschaft in Teheran 1979 während der islamischen Revolution», so Welti, der von 2004 bis 2009 in Teheran die Schweiz vertrat. «Das ist sehr symbolhaft.»

Unmittelbare wirtschaftliche Konsequenzen dürfte der Angriff für den Iran laut Welti, der die Wirtschaftskammer Schweiz-Iran präsidiert, nicht haben. Dies, weil die iranische Wirtschaft wegen des Scheiterns des Nuklearvertrags sowieso schon im Krisenmodus sei. US-Präsident Donald Trump (73) hatte den nach jahrelangen Verhandlungen unterzeichneten Deal 2018 gekündigt. «Den wirtschaftlichen Niedergang ihres Landes erleben die Iranerinnen und Iraner jetzt schon täglich», sagt Welti.

«USA schiessen sich ins eigene Knie»

Umso mehr Konsequenzen drohten laut Guldimann dagegen Irak beziehungsweise mit den USA dem Angreifer selbst. «Die USA schiessen sich mit dem Angriff ins eigene Knie», sagt Guldimann. «Sie behaupten seit Jahren, den Irak stabilisieren zu wollen. Doch mit der Tötung Soleimanis droht das Gegenteil: Die innenpolitischen Konflikte im Irak dürften weiter eskalieren.»

Das Land steckt tief in einer politischen Krise, Ministerpräsident Adil Abd al-Mahdi (78) gab im November nach Massenprotesten seinen Rücktritt bekannt. Auch Präsident Barham Salih (59) erklärte sich zum Rücktritt bereit. Hunderte Menschen sind bei der Protestwelle gegen die Regierung ums Leben gekommen. Nun droht dem Land ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Iran.

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