Gegner versuchen, Einführung zu torpedieren
Geheimgutachten gefährdet «Ehe für alle»

Sie stand schon kurz vor der Ziellinie. Doch nun könnte die «Ehe für alle» wieder in weite Ferne rücken. Grund dafür sind ein geheimes Gutachten und Ständeräte, die sich damit vor den Karren der Gegner spannen liessen.
Publiziert: 09.11.2020 um 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 22.02.2021 um 10:00 Uhr
Braucht es für die «Ehe für alle» eine Verfassungsänderung? CVP-Ständerat Beat Rieder wollte das noch einmal diskutieren. Auslöser für die Unsicherheit: ein geheimes Gutachten.
Foto: Keystone
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Lea Hartmann

Die Gegner der «Ehe für alle» stehen auf verlorenem Posten. 82 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sind dafür, dass Frauen Frauen und Männer Männer heiraten können. Die Samenspende für Lesben befürworten 70 Prozent. Das zeigt eine Umfrage von GFS-Zürich im Auftrag der Schwulenorganisation Pink Cross, die BLICK exklusiv vorliegt.

Sich öffentlich gegen die Ehe von Schwulen und Lesben zu stellen, wagt darum kaum mehr einer. Rechtskonservative und evangelikale Kreise kämpfen stattdessen still und heimlich gegen die «Ehe für alle». Das aber nicht minder erfolgreich.

Verfassungsänderung oder nicht?

Im Juni hatte der Nationalrat Ja zur gleichgeschlechtlichen Ehe und zur Samenspende für Lesben gesagt. Darum bearbeiten die Gegner nun den Ständerat. Seine Rechtskommission machte im August überraschend einen Schritt zurück. Einen entscheidenden Einfluss hatte dabei ein mysteriöses Gutachten, das bis heute unter Verschluss gehalten wird.

Da die «Ehe für alle» in der Bevölkerung unbestritten ist, befasst sich das Gutachten mit einem Nebengleis, das aber die Heirat von Schwulen und Lesben in eine Sackgasse führen soll. Es behandelt die Frage: Kann man bloss das Gesetz ändern, um die «Ehe für alle» einzuführen? Oder braucht es dazu eine Verfassungsänderung?

Knackpunkt Ständemehr

Unter der Leitung des konservativen Wallisers Beat Rieder (57) macht die Rechtskommission des Ständerats dieses Fass wieder auf – obwohl ein Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz längst geklärt hat, dass keine Verfassungsänderung nötig ist.

Mit dem Vorgehen von Rieders Kommission könnte die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in weite Ferne rücken. Denn entscheidet man sich für eine Verfassungsänderung, geht die Debatte im Parlament noch einmal von vorne los. Kommt hinzu: Bei einer Abstimmung bräuchte es später nicht nur eine Mehrheit der Stimmenden, sondern auch eine Mehrheit der Kantone. Dass die gleichgeschlechtliche Ehe am Ständemehr scheitert, ist die einzige halbwegs realistische Chance, die die Gegner haben, um sie abzuwürgen.

Auch Absender hält Gutachten geheim

Das Gutachten, das Rieder den Vorwand für die erneute Verfassungsdiskussion liefert, soll der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Nicht nur den Inhalt, auch dessen Verfasser will Rieder auf mehrfache Nachfrage von BLICK mit Verweis auf das Kommissionsgeheimnis nicht nennen. Doch selbst gegenüber Politikern der schwesterlichen Rechtskommission des Nationalrats weigerte er sich, Transparenz zu schaffen.

BLICK-Recherchen schaffen nun Klarheit. Es ist eine Gruppe mit dem Namen «Überparteiliches Komitee gegen die verfassungswidrige Einführung einer ‹Ehe für alle›», die hinter dem mysteriösen Gutachten steht. Anführer der Gruppe ist der einstige Jung-SVP-Präsident Anian Liebrand (31), der sich inzwischen in der EDU engagiert. Die Gruppe hat gezielt bürgerlich-konservative Politiker mit Auszügen aus dem Gutachten versorgt.

Üblicherweise geben politische Akteure Gutachten in Auftrag, um damit dann Abstimmungskampf zu betreiben. Ganz anders in diesem Fall. Auch die Auftraggeber halten es geheim. «Ich möchte mich dazu im Moment nicht äussern», sagt Liebrand auf BLICK-Nachfrage nur.

Ständeräte bekamen nur einen Auszug

Aus dem Umfeld der Gegner wird allerdings bestätigt, wer die Autorin des Gutachtens ist: Rechtsanwältin Isabelle Häner (62). Häner hat bereits in der Vergangenheit Papiere für das rechtskonservative Lager verfasst. 2019 gaben die Gegner der Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm – das sind weitgehend dieselben Kreise wie heute – bei ihr ein Gutachten dazu in Auftrag. Schon damals weigerten sich die Auftraggeber, das Gutachten publik zu machen. Später zeigte sich, warum: Das Gutachten widersprach den Gegnern in zentralen Punkten.

Mit dem «Ehe für alle»-Gutachten könnte es sich ähnlich verhalten. Auch jetzt erhielten die Ständeräte offenbar nur einen Auszug aus dem Häner-Dokument. Die Autorin selbst will sich mit Verweis auf das Anwaltsgeheimnis nicht zur Sache äussern.

Entscheid fällt am Donnerstag

Die Gegner brüsten sich damit, mit ihrer Intervention das Parlament in ihrem Sinne beeinflusst zu haben. Auf einer rechtskonservativen Kampagnenplattform, auf der sie Unterschriften für eine Petition gegen die «Ehe für alle» gesammelt hatten, schreiben sie: «Die juristischen Argumente, untermauert mit der inzwischen fast 10'000-fach unterzeichneten Petition, haben die Rechtskommission offenbar überzeugt.»

Am Donnerstag entscheidet sich, ob die konservativen Kreise erneut jubeln können. Nachdem in den vergangenen Wochen mehrere Juristen angehört worden sind, beschliesst die Rechtskommission das weitere Vorgehen bei der «Ehe für alle». Sie beschäftigt das Parlament inzwischen seit sieben Jahren.

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