Geklaut, missbraucht, endlos kopiert
Die irre Geschichte der SVP-Schafe

Die Organisation Campax treibt die FDP mit einem Kleber zur Weissglut. Träger der umstrittenen Botschaft ist ein Huftier, das seit 2007 dauernd abgekupfert wird.
Publiziert: 06.08.2023 um 11:28 Uhr
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

Ende Juli sorgte die Kampagnenorganisation Campax für Aufruhr – mit einem Briefkastenkleber, auf dem ein Schaf mit «Fuck Nazis»-Shirt die Parteilogos von SVP und FDP kickt.

Die SVP reagierte gelassen, die FDP weniger. Diverse Exponenten beschwerten sich. Ein Nationalrat drohte gar mit juristischen Schritten.

Seit 2007 in der Politik

Campax hat den Schriftzug wieder vom Kleber entfernt – das tretende Schaf aber bleibt. Denn Campax geht es um den «Rassismus der SVP». Im Zentrum stehe ein Schaf, «das Widerstand gegen die zunehmende Normalisierung von rechtsextremem Gedankengut in unserer Gesellschaft zeigt». Damit meint Campax die Kampagne der SVP gegen das «Zuwanderungs-Desaster», mit der die Volkspartei unter Einsatz von Nachrichtenschnipseln wie «Rumäne sticht zu» gerade den Wahlkampf eröffnet.

Ende Juli sorgte die Organisation Campax mit einem Briefkastenkleber für Aufruhr.
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Da bietet sich zumindest der Rückgriff auf das Huftier durchaus an: Mit dem Motiv weisser Schafe, die ein schwarzes aus ihren Reihen bugsieren, lancierte die SVP 2007 die Ausschaffungs-Initiative gegen «kriminelle Ausländer». Die Idee der Werbeagentur Goal AG verhalf der Volkspartei in den Wahlen 2007 zu einem Erdrutschsieg, die Initiative wurde 2010 angenommen. Daran knüpft die SVP im diesjährigen Wahlkampf an: Sie agitiert gegen unerwünschte Ausländer, die sie frei heraus als «Massenware» bezeichnet.

Dabei sind die SVP-Schafe selber Immigranten – vielleicht sogar illegale. Entworfen hat sie nämlich der britische Designer Dan Bailey. Und dieser wirft der Agentur Goal vor, ihm die Schafe geklaut zu haben. Die Agentur bestreitet das. Sicher ist: Seit ihrem Auszug aus Grossbritannien werden Baileys Schafe immer wieder entwendet, und zwar weltweit.

SVP-Schafe wandern durch Europa

Die SP reagiert schon im Herbst 2007 auf die SVP-Aktion – mit der Parodie «Abzotteln, SVP!». Dann werden die Schafe zum Exportschlager unter Europas Rechten. Die hessische Neonazi-Partei NPD bestreitet mit ihnen den Landtagswahlkampf. Der Slogan: «Sozial geht nur national.» 2008 benutzt die rechtsradikale Democracia Nacional in Spanien das Sujet. Motto: «Benimm dich oder verschwinde!»

Auch die italienische Lega Nord und die belgische Vlaams Belang machen mit den Schafen Werbung, in Tschechien tun es die Nationale Partei und die Populisten von Usvit, die eine «Endlösung für die Zigeunerfrage» fordern. 2018 taucht das Motiv im ostdeutschen Chemnitz auf, inmitten eines Neonazi-Mobs, der Ausländer durch die Stadt jagt. 2021 benutzt der libertäre Politiker Johannes Kaiser die Schafe im chilenischen Wahlkampf.

Auch die SVP greift noch einmal auf Baileys Schafe zurück. 2016 sollen sie der Durchsetzungs-Initiative zum Durchbruch verhelfen. Doch dieses Mal verfangen die Plakate nicht. Das Volksbegehren scheitert an der Urne.

Linke beanspruchen Schaf und Werbeagentur

2017 drehen die Jungen Grünliberalen den Spiess um. Im Abstimmungskampf zur Energiestrategie 2050 warnen sie – in Anspielung auf den SVP-Slogan der «Massenzuwanderung» – vor einer «Massenabhängigkeit» von ausländischer Energie und zeigen Schafe, die ein Ölfass über die Grenze stossen.

Im selben Jahr engagiert der Zürcher SP-Kantonsrat Fabian Molina für eine Kampagne gegen die Anti-Stau-Initiative der SVP ausgerechnet die Werbeagentur Goal. Worauf die SVP für die Selbstbestimmungs-Initiative auf die Dienste ihrer bewährten Agentur verzichtet und auf zurückhaltende Plakate in sanftem Orange setzt.

Die SVP verliert – die Goal AG darf im Wahlkampf 2019 wieder ran. Sie präsentiert Plakate mit «Linken und Netten» in Gestalt von Würmern, die den Schweizer Apfel zerfressen. Die Anlehnung an die Propaganda der Nationalsozialisten sorgt für Aufruhr. Zu den Würmern zählt die SVP auch die Mitglieder der FDP, die sich später über das Campax-Schaf empören.

Im Herbst 2022 ersetzen die Unterstützer der Massentierhaltungs-Initiative die Schafe durch rosa Schweinchen, die aus der Masse ins Freie springen. Damit wollen die Tierschützer die ländliche Stimmbevölkerung ansprechen. Doch die Initiative scheitert.

Schafe wieder aktuell

Schafe sind offenbar erfolgreicher. Das gilt zumindest für Schwarznasenschafe, die Ende 2022 einen Beitrag zur Wahl von SP-Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider in den Bundesrat leisten: Die Jurassierin lässt sich mit ihren Hoftieren im Blick ablichten und inszeniert sich erfolgreich als bäuerlich-bodenständige Alternative zur Stadtbaslerin Eva Herzog.

Mit den SVP-Plakaten hat Baume-Schneiders Auftritt nichts zu tun. Dafür derjenige von Sanija Ameti an einer Diskussionsveranstaltung über Europa im Februar 2023: Die Chefin der Operation Libero zeigt sich in einem roten Wollpullover mit weissen Schafen. Auf Brusthöhe sticht ein einzelnes schwarzes Schaf heraus.

Einen solchen Pulli hatte einst die junge Prinzessin Diana getragen – Ameti nimmt damit die SVP ins Visier: Natürlich habe ihre Kleiderwahl mit den Schaf-Plakaten zu tun, sagt Ameti. «Ich bin das schwarze Schaf der Schweizer Politik, genau wie Christoph Blocher.» Sie sei eine junge muslimische Frau und Politikerin mit Migrationshintergrund. Darum definiere die SVP sie als schwarzes Schaf – was auch auf Blocher zutreffe, der ja aus dem Bundesrat «ausgeschafft» worden sei.

Auch von Russland verwendet

Im Sommer 2023 geraten die Schafe schliesslich in die Hände der Russen. Deren Mission in Genf beklagt im Zusammenhang mit den Sanktionen die Diskriminierung russischer Bürger durch die Schweiz. Die Mission postet das Schaf-Sujet auf Twitter und macht damit die Tiere zum Instrument in Putins Informationskrieg.

Jetzt sind Dan Baileys Schafe zurück im Schweizer Wahlkampf. Gut möglich, dass sie ihren Auszug aus Grossbritannien bereuen.

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