Gesteuert vom Mullah-Regime
Spitzel unterwandern Iran-Proteste

Am Samstag findet auf dem Berner Bundesplatz erneut eine Demo gegen das iranische Regime statt. Dort dürften nicht nur bis zu 2000 Gegnerinnen und Gegner der Mullahs protestieren. Es werden auch Störenfriede erwartet. Das hat System.
Publiziert: 04.11.2022 um 17:24 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2022 um 08:33 Uhr
Pascal Tischhauser

Schon seit mehreren Wochen protestieren die Menschen im Iran gegen ihr Regime. Menschenrechtsorganisationen berichten von Hunderten Todesopfern unter den Demonstranten.

Auch in Europa gehen die Menschen solidarisch auf die Strasse. Für morgen Samstag ruft beispielsweise Free Iran Switzerland zur nationalen Kundgebung in Bern auf. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollen den Bundesrat auffordern, nicht länger zuzuschauen, sondern Sanktionen zu ergreifen. Schliesslich würden selbst Schulkinder verhaftet, vergewaltigt und brutal ermordet.

Wegen des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte hat die EU bereits Sanktionen verhängt. Die Schweiz beteiligt sich aber nicht daran. Einzig die Lieferung iranischer Kampfdrohnen nach Russland sanktioniert Bern.

Kundgebung für einen freien Iran am 8. Oktober vor der iranischen Botschaft in Bern. Wie die Sicherheitsbehörden bestätigen, setzte das Regime dort auch Spitzel ein.
Foto: keystone-sda.ch
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Regimetreue könnten Demo stören

Am Samstag werden in Bern bis zu 2000 Demonstranten erwartet. Und eine Handvoll Anhänger des Mullah-Regimes. Die Regimetreuen mischen sich unter die friedlichen Demonstrierenden, um für Unruhe zu sorgen. Erst kürzlich kam es auf einer Kundgebung zu einem lautstarken Streit. Auch in anderen europäischen Hauptstädten wie London, Paris und Berlin eskalierten die Proteste deswegen bereits.

In Berlin kam es gar zu einer Messerstecherei. Wie die «Berliner Zeitung» berichtet, haben drei unbekannte Männer in der Nacht auf letzten Sonntag eine Mahnwache von Exil-Iranern vor der iranischen Botschaft in Berlin-Dahlem attackiert und dabei mehrere Personen verletzt.

«Intensivierung der Aktivitäten»

Beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist man sich bewusst, dass es immer wieder zur Einflussnahme durch regimenahe Kreise kommt. Der NDB verweist auf Anfrage auf Passagen im Lagebericht «Sicherheit Schweiz» von 2020. Die aktuelle Einschätzung habe sich seit damals nicht verändert.

«Der NDB verfügt jedoch über Erkenntnisse, die auf eine Intensivierung der nachrichtendienstlichen Aktivitäten Irans in der Schweiz hindeuten», sagt Sprecherin Isabelle Graber zu Blick.

Selbst physische Gewalt

Gewisse Regierungen spionieren die eigenen Landsleute in Europa aus, wie es im Lagebericht heisst. Regimekritiker, Oppositionsmitglieder sowie Minderheiten stünden besonders im Visier, falls sie vom herrschenden Regime als Bedrohung angesehen werden. Die Landsleute werden nicht bloss überwacht, sondern auch bedroht und erpresst. «Dies kann bis zur Anwendung physischer Gewalt gehen», so der NDB.

Um die Diaspora zu überwachen, setzten die Regime oft Informanten aus diesen Gemeinschaften ein, die das aus Überzeugung tun oder aber mit finanziellen Mitteln dazu verleitet würden. Oder die in der Heimat verbliebene Verwandtschaft wird als Druckmittel eingesetzt, damit Personen sich dazu bereit erklären, Landsleute in Europa auszuspionieren. Schliesslich stellt der NDB regelmässig fest, dass Agenten mit Asylgesuchen eingeschleust würden.

«Was Iran angeht, so werden hauptsächlich die im Ausland lebenden Regimegegner überwacht – angesichts der wachsenden internationalen Spannungen und der Unzufriedenheit der Iraner mit ihrer Regierung wohl mit steigender Tendenz», so der NDB. In den letzten Jahren hätten iranische Dienste zudem nicht gezögert, mit aller Schärfe vorzugehen. So stünden diese unter starkem Verdacht, 2015 und 2017 in den Niederlanden zwei Attentate auf Oppositionelle verübt zu haben. In Frankreich und Dänemark konnten die Behörden 2018 Anschläge auf iranische Oppositionelle verhindern.

Mord in der Schweiz

Der Schweizer Nachrichtendienst betont, dass der Iran auch auf Schweizer Boden nicht vor Gewalt zurückschreckt: «1990 wurde der iranische Oppositionelle Kazem Rajavi von einem iranischen Kommando im Kanton Waadt ermordet.»

Wie NDB-Sprecherin Isabelle Graber sagt, würde unterdessen auch im Cyberspace spioniert: «Vom iranischen Geheimdienst unterstützte Cyberakteure haben in den letzten Jahren ihre Cyberspionageaktivitäten erhöht.» Sie zielten weltweit auf Universitäten, Forscher, Journalisten, Regierungsbeamte sowie auf die iranische Diaspora im Ausland ab. Auch Firmen im Petrochemie-Sektor, in der Maschinenindustrie und Hersteller von industriellen Steuerungssystemen würden durch Cyberaktionen iranischer Akteure ausspioniert. Graber: «Die Schweiz bildet als Ziel von derartigen iranischen Cyberangriffen keine Ausnahme.»

Kulturschaffende und Parlamentsmitglieder

Doch all das schreckt die Organisatoren der Kundgebung vom Samstag nicht. Von 14.30 Uhr bis etwa 16 Uhr protestieren sie auf dem Berner Bundesplatz. Als Redner treten Prominente wie Schriftsteller Lukas Bärfuss (50), Mitte-Nationalrätin Marianne Binder (64), SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (36), SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen (43) und Grünen-Nationalrätin Natalie Imboden (52) auf. Musikalisch begleiten werden den Anlass Rapperin Big Zis (46), Ella Ronen (35), die von der ersten Staffel von «The Voice of Switzerland» her bekannt ist und Arash Gharib.

Die Berner Kantonspolizei erwartet am Samstag eine friedliche Kundgebung. Deren Organisatoren stehen mit der Kapo in Kontakt und loben deren Bemühungen, damit sie auf dem Bundesplatz für ihre Anliegen protestieren können. Auch am Kundgebungstag wird die Kapo eigenen Aussagen zufolge den Kontakt mit den Organisatoren der bewilligten Kundgebung aufrechterhalten.

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