Der politische Druck aus dem Bundeshaus steigt
Schweiz soll Iran-Sanktionen übernehmen

SP-Ständerat Daniel Jositsch hat die Übernahme der EU-Massnahmen gegen Teheran beantragt. Aber manche EDA-Diplomaten sehen das Schutzmachtmandat in Gefahr. Bundespräsident Cassis steht vor einem Dilemma.
Publiziert: 30.10.2022 um 00:29 Uhr
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Aktualisiert: 30.10.2022 um 09:31 Uhr
Reza Rafi

Vielleicht hat Ignazio Cassis (61) das falsche Departement für sein Präsidialjahr. Statt Festivals zu eröffnen und Sportlern zu gratulieren, muss der Aussenminister im Kriegsjahr 2022 die Nation durch ihren neutralitätspolitischen Selbstfindungstrip führen. Der russische Angriff auf die Ukraine hat den EDA-Vorsteher mitten in eine Debatte um Waffenlieferungen für Kiew und Sanktionen gegen Moskau geworfen.

Nun tut sich in Bundesbern eine neue politische Front auf, die Cassis zu einer Position zwingt. Im Iran lehnt sich die Bevölkerung gegen den brutalen Unterdrückungsapparat der Mullahs auf, deren Schergen gnadenlos vorgehen. Mehrere Hundert Tote, auch Minderjährige, und Tausende in den Folterknästen sind die Bilanz. Das hält die Frauen und Männer auch vierzig Tage nach dem Beginn der Proteste nicht von Demonstrationen ab.

Amerika und Europa reagieren mit Sanktionen gegen Angehörige der iranischen Sicherheitskräfte. Womit der Ball bei der Schweiz liegt. Im Parlament steigt der Druck auf den Bundesrat, mitzuziehen. SP-Ständerat Daniel Jositsch (57) hat diesen Donnerstag in der Aussenpolitischen Kommission (APK) den Antrag eingereicht, die EU-Sanktionen gegen Teheran zu übernehmen. Mehr noch: Der Zürcher verlangt, dass sich die Schweiz «aktiv für eine Uno-Menschenrechtsmission» einsetze, die, wie er mitteilt, «im Iran die Verbrechen des Regimes untersuchen und dokumentieren soll».

Zum 40. Todestag von Mahsa Amini strömten in Saqez in Iranisch-Kurdistan diese Woche Tausende zu ihrem Grab.
Foto: IMAGO/ZUMA Wire
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Die Schweiz als Briefträger

So weit, so unbestritten – oder doch nicht? Es gibt da nämlich ein Problem: Seit 1980 vertritt die Schweiz im Iran die Interessen der USA und umgekehrt. Diese Briefträgerfunktion zwischen den zwei verfeindeten Mächten ist das wichtigste Schutzmachtmandat der Eidgenossenschaft.

Im diplomatischen Korps sehen nicht wenige dieses Privileg gefährdet, wenn Bern sich den Sanktionen aus Brüssel anschliesst. Ein Bundesangestellter betont im Gespräch mit SonntagsBlick, dass man hinter den Kulissen einiges mehr erreichen könne als mit Sanktionen, die teils auch symbolischen Charakter haben, und erwähnt als Beispiel den Fall der Künstlerin Raziyeh Jalili, die ihre in Genf gewonnene Worldskills-Goldmedaille aus Solidarität mit ihren Landsfrauen ablehnte. In diesem Fall hat sich die Schweiz auch in Teheran für das Wohlergehen der jungen Iranerin eingesetzt.

Nun steht EDA-Vorsteher Cassis also früher oder später vor einem schicksalhaften Entscheid zwischen einer allfälligen Gefährdung des Schutzmachtmandats und der Kritik, untätig zu bleiben, wie sie schon nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs ertönt war. Mitte-Ständerat Pirmin Bischof (63) jedenfalls hat als Präsident der APK die Vorstösse für eine Sanktionierung Irans auf den 17. November traktandiert, wie dieser gegenüber SonntagsBlick bestätigt.

Sanktionen aus den eigenen Reihen gefordert

Pikanterweise sind auch Parteikollegen des Aussenministers für Sanktionen zu haben. «Neutralität bedeutet doch nicht, bei krassen Menschenrechtsverletzungen als Einzige die Augen zu verschliessen», sagt der Ausserrhoder FDP-Ständerat Andrea Caroni (42), der auch in der APK sitzt und der Meinung ist, dass es manche Einheiten des iranischen Sicherheitsapparats verdient hätten, sanktioniert zu werden.

Für Sanktionen gegen den Iran wäre das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im Wirtschaftsdepartement WBF zuständig. Dort ist man nach SonntagsBlick-Informationen daran, einen entsprechenden Antrag auszuarbeiten. Auf Anfrage teilt ein Seco-Sprecher mit: «Die Analysen bezüglich der neuen EU-Sanktionen gegenüber dem Iran werden aktuell im WBF und im Seco mit Hochdruck vorangetrieben.» Gut möglich also, dass der Bundesrat demnächst das Thema beraten wird.

Weil die hiesigen Banken die US-Sanktionen mittragen, ist die Schweiz für Mitglieder der iranischen Staatsmacht als Offshore-Fluchtort uninteressant. Trotzdem scheint die Alpenrepublik für die Familien aus der Obrigkeit attraktiv zu sein: Wie Iranwire, ein internationales Portal von oppositionellen iranischen Journalisten, berichtet, bemühen sich derzeit hochrangige Vertreter des Systems um westliche Pässe für ihre Familien. Im Fokus stehen Grossbritannien, Kanada – und die Schweiz.

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