Infektiologe Huldrych Günthard fordert
«Eine Corona-Steuer für Ungeimpfte wäre nichts als fair»

Huldrych Günthard, Infektiologe am Unispital Zürich, spricht sich für die 2G-Regel aus. Und macht einen brisanten Vorschlag für ungeimpfte Personen.
Publiziert: 22.11.2021 um 10:23 Uhr
|
Aktualisiert: 22.11.2021 um 10:34 Uhr
Interview: Camilla Alabor

Noch steht die Schweiz vergleichsweise gut da. Während Bern am Freitag 6169 neue Corona-Ansteckungen meldete, musste Wien 15'809 Infektionen verkünden. Auch die coronabedingten Todesfälle stagnieren bei uns. In Deutschland sind die Fallzahlen umgerechnet auf die Bevölkerung etwa auf dem selben Niveau wie hier, die Todeszahl ist allerdings mindestens doppelt so hoch. Und bei den Spitalkapazitäten steht die Schweiz ebenfalls besser da. Doch der Zürcher Infektiologe Huldrych Günthard (60) gibt alles andere als Entwarnung. Er befürchtet, dass wir in die selbe Situation kommen wie unsere Nachbarn.

Blick: Österreich droht eine Überlastung der Spitäler. Die Impfquote in der Schweiz ist ähnlich tief wie in unserem Nachbarland – sind wir auf demselben Weg?

Huldrych Günthard: Wenn man sich den massiven Anstieg der Fallzahlen anschaut, erhält man den Eindruck: ja. Wir hinken Österreich ein paar Wochen hinterher. Es sieht so aus, dass wir in ein grosses Problem hineinlaufen. Denn wir unternehmen nichts, um den Anstieg aufzuhalten.

Infektiologe Huldrych Günthard hält die 2G-Regel – dass gewisse Aktivitäten nur Geimpften und Genesenen offen stehen – für einen gangbaren Weg.
Foto: Blick
1/5

Immerhin stehen für ältere Personen Booster-Impfungen bereit.

Das ist sehr gut, kommt aber spät. Bis der Booster in der Gesamtbevölkerung Wirkung zeigen wird, werden Wochen vergehen. Alleine aus logistischen Gründen wird es dauern, bis all jene die Auffrischungsimpfung erhalten, die das wünschen. Dabei hilft der Booster nicht nur, schwere Verläufe bei älteren Menschen zu verhindern, er reduziert auch das Infektionsgeschehen in der breiten Bevölkerung.

Teile Deutschlands haben die 2G-Regel eingeführt: Aktivitäten wie Restaurantbesuche sind nur noch für Geimpfte und Genesene zugänglich. Ist das aus epidemiologischer Sicht sinnvoll?

2G macht Sinn, weil man damit das Risiko von fehlerhaften Testresultaten eliminiert. Wie wir wissen, sind Antigentests bei Personen, die keine oder noch keine Symptome haben, wenig zuverlässig. Kommt hinzu, dass sich dank der 2G-Regel zusätzliche Personen impfen lassen, wie man in Österreich sieht. Klar ist aber: Ein Infektionsrisiko besteht auch mit 2G. Impfdurchbrüche und Erkrankungen von Genesenen sind weiterhin möglich.

Demnach sind Sie dafür, die 2G-Regel in der Schweiz einzuführen?

Im Moment geht hierzulande die Post ab; 2G alleine wird das Problem nicht lösen. Überhaupt tut sich die Politik schwer, zu reagieren. Die Leute müssen für sich selber schauen.

Wie denn?

Wir sollten – wo möglich – zurück ins Homeoffice, im Restaurant beim Herumlaufen eine Maske tragen und grosse Veranstaltungen meiden. Für das Weihnachtsessen mit 30 Leuten ist jetzt einfach nicht die richtige Zeit.

Was halten Sie von einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen wie das Pflegepersonal?

Da bin ich dagegen. Das Pflegepersonal hat eine hohe Impfquote, zudem schützen wir uns im Spital extrem gut. Von daher stellen die Pflegenden kein Risiko für die Patienten dar. Darüber hinaus müssen wir das Pflegepersonal – gerade in der jetzigen Zeit – bei Stange halten; eine Impfpflicht wäre wahrscheinlich kontraproduktiv. Wenn schon eine Impfpflicht, dann für alle.

Sie sprechen sich für eine generelle Impfpflicht aus?

Theoretisch tönt das gut und hätte, wenn wirklich durchsetzbar, einen riesigen Effekt. Ich glaube aber, so etwas lässt sich heute nicht umsetzen.

Wie akut ist die Situation denn derzeit in den Spitälern?

Noch ist der Anstieg der Hospitalisierungen im Vergleich zu früheren Wellen deutlich flacher. Das ist positiv und zeigt, dass sich der Impfeffekt stark bemerkbar macht. Bei uns im Unispital nehmen die Zahlen derzeit nur leicht zu. Wir haben zwar einige Corona-Patienten, können die Leute aber relativ rasch wieder nach Haus entlassen. Das ist der Unterschied zur vierten Welle im Sommer: Damals kamen die Patienten zu uns, als sie schon sehr, sehr krank waren. Viele mussten direkt auf die Intensivstation. Wer früher kommt, den können wir besser behandeln.

Der Genfer Epidemiologe Antoine Flahault schlägt vor, in öffentlichen Räumen wie Restaurants Lüftungs- und Messgeräte zu installieren. Bei Werten über 1000 ppm müsste ein Lokal die Türen schliessen. Was halten Sie davon?

Wenn die Epidemie noch lange andauert, ist das eine Option. Im Moment würde ich allerdings eher auf einfache, schnell zu realisierende Lösungen setzen. Und vielleicht jene moralisch unterstützen, die sich impfen lassen. Warum nicht Ungeimpfte mit einem Solidaritätsbeitrag an den immensen Gesundheitskosten beteiligen, die sie verursachen? Eine CO2-Steuer zahlt man auch nach dem Verursacherprinzip. Eine Corona-Steuer, abgestuft nach Einkommen, wäre demnach nichts als fair.


5:01
Das sagt Jurist Kaspar Gerber:Wäre eine Impfpflicht auch in der Schweiz möglich?
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?