Interview mit Drohnenexperten
«Drohnen tauchen prominent im Ukraine-Krieg auf»

Die russische Drohne Orlan-10 ist mit einem Chip besetzt, der in der Schweiz hergestellt wurde. Arthur Holland Michel ist Drohnenforscher und erklärt, wie die Flugkörper die Kriegsführung verändern.
Publiziert: 12.06.2022 um 12:33 Uhr
Interview: Marguerite Meyer und Ariane Lüth

Recherchen des SonntagsBlick zeigen: Russische Drohnen fliegen mit Schweizer Beteiligung. Ein zentrales Bauteil der russischen Drohne Orlan-10 ist ein Chip, der aus Thalwil ZH stammt. Putins Truppen setzten sie im brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine ein.

Arthur Holland Michel ist Drohnenforscher und gründete 2012 das Zentrum für Drohnenstudien am Bard College in den USA. Aktuell berät er das Uno-Institut für Abrüstungsforschung und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Im Interview mit Blick erklärt er, wie Armeen an Technologien kommen, die sie für den Krieg brauchen und welche Rolle die Schweiz spielt.

Wie hat sich die Drohnenwelt generell entwickelt?
Arthur Holland Michel: In den letzten zehn Jahren wurden Drohnen von einer teuren Nischentechnologie zum Massenphänomen. Das geschah, weil einige technologische Fortschritte zusammenkamen. Drohnen fliegen nun mit Autopilot, können senkrecht starten und sind mit genauen Sensoren ausgestattet. Mitte der 2000er-Jahre gab es noch keine solchen Kameras, die klein genug waren, um sie auf eine Drohne zu packen. Jetzt bekommt man mit Überwachungsdrohnen sehr gute Daten. Es gibt auch immer mehr Autonomie – um Ziele zu suchen, zu identifizieren und zu verfolgen, beispielsweise.

Putins Truppen setzten im Ukraine-Krieg die russische Drohne Orlan-10 ein.
Foto: IMAGO
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Welche Länder sind dabei führend?
Im nicht-militärischen Bereich gewinnt ganz klar China. Das Land ist bei weitem der grösste Hersteller von zivilen Drohnen weltweit, und diese Position ist relativ stabil. Bei den militärischen Drohnen bewegt sich mehr. Die USA und Israel waren hier immer führend, aber jetzt etablieren sich neue Länder wie die Türkei. Schaut man sich an, wer tatsächlich grosse, bewaffnete Drohnen militärisch einsetzt, sticht das amerikanische Programm ins Auge. So auch das britische und kürzlich die französischen Drohneneinsätze im Sahel. Aber Drohnen wurden zum Beispiel auch zu einem wichtigen Element für Russland in Syrien, und sie waren zentral im Krieg in Bergkarabach. Aktuell tauchen sie prominent im Ukraine-Krieg auf.

Wie verändern Drohnen die Kriegsführung?
Die Aufklärungsleistung von Drohnen war einschneidend. Sie machte es möglich, Individuen aus der Ferne dauerhaft zu beobachten, ihre Wege zurückzuverfolgen und sie bei Bedarf anzugreifen. So wurden Drohnen zur Schlüsseltechnologie im «Krieg gegen den Terror». Ob Drohnen auch in zukünftigen Konflikten und in Konfrontationen zwischen grossen, modernen Armeen so wichtig sein werden, sei dahingestellt.

Welche Rolle spielt die Schweiz?
Die Schweiz hat in der Entwicklung von kleinen, autonomen Systemen herausragende Beiträge geleistet. Es sind oft visuell spektakuläre Erfindungen, die gern von den Medien aufgenommen werden. Die ETH in Zürich und die Eidgenössische Technische Hochschule in Lausanne sind extrem profiliert. Das heisst aber noch nicht, dass die Schweiz für die globale Drohnentechnologie wirklich zentral ist. Dasselbe gilt für die Drohnenrennen – sie sind publikumswirksam, aber die Geldbeträge, die dort ausgegeben werden, sind verschwindend klein für die Rüstungsindustrie.

Wie kommen Armeen zur Technologie, die sie brauchen?
Es ist oft schwierig, die genauen Verbindungen zwischen universitärer Forschung und militärischer Nutzung aufzuzeigen. Es gibt viele Kanäle, wie dieser Transfer stattfinden kann: Normale Firmen oder Open-Source-Software werden vom Militär übernommen, Forschende gehen selbst in die Rüstungsindustrie, Technologie kann gestohlen werden. Klar ist, dass die universitäre Forschung ein Fundament der militärischen Drohnenentwicklung ist. Dort kommen die Innovationen oft her. Das war schon immer so und wird auch in Zukunft so sein.

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