Jacqueline Badran zum Streit um die Altersvorsorge
«Eine 13. AHV-Rente finanzieren wir ohne Problem»

Mit der Initiative für eine 13. AHV-Rente will die SP den Pensionären unter die Arme greifen. Das Geld dafür sei leicht zu beschaffen, sagt Nationalrätin Jacqueline Badran – durch Umschichtung aus der zweiten Säule.
Publiziert: 04.12.2022 um 11:57 Uhr
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Aktualisiert: 04.12.2022 um 15:29 Uhr
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

Frau Badran, gestern vor 50 Jahren sagte das Schweizer Stimmvolk Ja zu den drei Säulen AHV, berufliche und private Vorsorge. Ein Grund zum Feiern?
Jacqueline Badran:
Im Gegenteil, es ist ein Trauerspiel. Das Drei-Säulen-Prinzip ist nicht dumm, aber es ist schlecht ausgestaltet. Die Sozialwerke wurden ins Leben gerufen, um auch ausserhalb des Erwerbsprozesses möglichst viel Kaufkraft zu schaffen – im Alter, bei Arbeitslosigkeit, aufgrund von Invalidität oder Unfall.

Genau dafür sorgen die drei Säulen doch.
Dieses Verfassungsversprechen wird nicht eingehalten. Die durchschnittliche AHV-Rente liegt bei 1800 Franken. Das ist nicht existenzsichernd. Und die durchschnittliche Pensionskassen-Rente beträgt 1700 Franken. Das sichert nicht den gewohnten Lebensstandard. Hinzu kommt, dass ein grosser Teil der Milliarden, die wir in die Altersvorsorge pumpen, bei den oberen Einkommen und den Gewinnen der Privatversicherer landet.

Aber die oberen Einkommen finanzieren bei der AHV jene, die weniger gut verdienen.
Das stimmt. Nur acht Prozent der Leute sind Nettozahler. 92 Prozent erhalten mehr, als sie je eingezahlt haben.

SP und Gewerkschaften fordern eine 13. AHV-Rente.
Foto: keystone-sda.ch
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Persönlich

Jacqueline Badran (61) hat an der Universität St. Gallen Ökonomie und Staatswissenschaften studiert. 2003 wurde die SP-Politikerin in den Zürcher Gemeinderat gewählt. 2011 schaffte sie den Sprung in den Nationalrat. Badran ist im Vorstand des Mieterverbands. Sie führt eine IT-Firma mit 30 Angestellten. Badran ist ver-heiratet und lebt in Zürich.

Jacqueline Badran (61) hat an der Universität St. Gallen Ökonomie und Staatswissenschaften studiert. 2003 wurde die SP-Politikerin in den Zürcher Gemeinderat gewählt. 2011 schaffte sie den Sprung in den Nationalrat. Badran ist im Vorstand des Mieterverbands. Sie führt eine IT-Firma mit 30 Angestellten. Badran ist ver-heiratet und lebt in Zürich.

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Und das finden Sie in Ordnung?
Selbstverständlich. Für Leute mit normalem Einkommen ist es absolut entscheidend, dass sie für jeden einbezahlten Franken noch etwas obendrauf kriegen. Aber nicht nur für sie als Individuen, denn aufgrund der Erhaltung ihrer Kaufkraft stärken wir so die ganze Volkswirtschaft. Auf das Lebensglück und die Kaufkraft von Spitzenverdienern haben deren Beiträge von 8,7 Prozent hingegen schlicht keine Auswirkung.

Ihre Rechnung geht doch nicht mehr auf, wenn immer mehr Rentner immer länger leben.
Doch, denn die AHV ist weniger von der Anzahl der Beitragszahlenden abhängig, sondern von der Lohnsumme. Weil die Produktivität steigt, erzielen weniger Menschen zusammen eine immer grössere Lohnsumme.

Eine permanente Produktivitätssteigerung ist nicht garantiert. Und jetzt wollen Sie auch noch eine 13. AHV-Rente. Sie überladen das Fuder.
Das tun wir nicht. Wir schaffen das ohne Problem mit einer minimalen Umschichtung der Beiträge von der zweiten in die erste Säule. Nehmen wir ein Lohnprozent aus der zweiten Säule, spüren wir das dort fast nicht. Diese paar Franken Rente weniger pro Monat sind irrelevant. Verschieben wir dieses Prozent aber in die erste Säule, finanzieren wir damit eine 13. AHV-Rente. Und mit einem weiteren Prozent eine 14. AHV-Rente.

Sie wollen einfach die zweite Säule schwächen.
Wir schieben mittlerweile 66 Milliarden Franken Lohnbeiträge pro Jahr in die Vorsorge und nur die Hälfte davon in die AHV. Aber die Durchschnittsrente der beruflichen Vorsorge liegt unter derjenigen der AHV. Das ist doch eindeutig ein Konstruktionsfehler!

Was läuft denn schief?
Eines der zentralen Probleme ist die Vermischung von Obligatorium und Überobligatorium. Das ist ordnungspolitischer Unfug, sowohl in der zweiten Säule als auch bei den Krankenkassen. Dort haben wir eine Grundversicherung mit 100 Prozent administrierten Leistungen und Preisen, ausserdem gibt es ein Gewinnverbot. Aber die Anbieter sind dieselben, die auch die Zusatzversicherungen offerieren. Es gibt keine klare Abgrenzung. Die Folge sind zum Beispiel Quersubventionierungen und Gewinne in der Grundversicherung.

Und in der zweiten Säule?
Da ist es noch schlimmer. Es fliessen Verwaltungs- und Vermögensverwaltungkosten ab. Hinzu kommen gesetzlich garantierte Gewinne von bis zu zehn Prozent. 22 Milliarden fliessen in Form von Einmaleinlagen in die zweite Säule. Das sind optimierte Lohnbeiträge für Bestverdienende, auf die man weder Steuern noch AHV-Beiträge zahlt. Hinzu kommen die durch den Koordinationsabzug unten abgeschnittenen versicherten Löhne. All das heisst: Die riesigen Geldsummen, die wir in die zweite Säule zahlen, fliessen vor allem an die hohen Einkommen.

Die geplante BVG-Revision enthält allerdings eine Reihe von Verbesserungen für Teilzeitarbeitnehmende und solche mit tiefen Einkommen.
Auch dieses Versprechen wird nicht eingehalten. Die individuellen Vorsorge-Kässeli werden weiterhin extrem ungleich gefüllt. Wenn eine Teilzeitarbeitende und Tieflohnbezügerin künftig Pensionskassenrenten von rund 100 Franken pro Monat mehr bekommt, dafür aber deutlich höhere Beiträge zahlt, hilft ihr das nichts. Und zum Schluss bekommt sie dann genau diese 100 Franken weniger Ergänzungsleistungen. Die Revision flickt an einem verknorzten System herum.

Was wäre die Alternative?
Wir müssen Obligatorium und Überobligatorium trennen. Das Obligatorium würde von einer öffentlichen Einrichtung abgewickelt, nach dem Vorbild der AHV oder der Suva, und deshalb ohne die bestehende überbordende Bürokratie. Die Löhne beispielsweise bis 80 000 Franken wären versichert, mit einem Einheitssatz von acht Prozent, ohne Altersdiskriminierung. In diesem Bereich gäbe es so keine Möglichkeit für die Finanzindustrie, mit dem Versichertenvermögen so unverschämt viel Geld zu verdienen. Und Milliarden an heutigen BVG-Lohnbeiträgen, die die Wirtschaft trägt, würden frei zur klügeren Verwendung.

Und das Überobligatorium?
Dort könnten die Finanzhäuser ihre Produkte weiterhin Unternehmen und Privatpersonen anbieten. Es hätte zur Folge, dass die Leute sowohl mehr Lohn in der Tasche haben als auch Lohnbeiträge für eine existenzsichernde AHV von mindestens 5000 Franken frei würden. Alle würden weniger einzahlen und deutlich mehr erhalten.

Sie wollen die zweite Säule also nicht abschaffen?
Wahrscheinlich nicht, auch wenn eine Volkspension definitiv prüfenswert ist. Das Zwangssparen im Kapitaldeckungsverfahren macht für kleine und mittlere Einkommen Sinn, weil die Rentenhöhe zwar von der Lebenserwartung abhängig ist, aber nicht von der Demografie. Und eine Beteiligung der kleinen Leute an den Finanzmärkten kann in ihrem Interesse sein, solange der Immobilienmarkt ausgeschlossen ist. Der grösste Einflussfaktor für die Rentenhöhe im BVG ist zwar der versicherte Lohn. Doch dann folgt bereits der Zins. Davon sollten alle etwas haben.

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