Kritik an Aeschi-Bericht
«Propaganda-Reise von Politikern ändert Lage in Eritrea nicht»

Politiker wie SVP-Nationalrat Thomas Aeschi sprechen nach ihrer Reise durch Eritrea von einem offenen Land. Laut Migrationsamt und Flüchtlingshilfe sind aber die Haftbedingungen prekär.
Publiziert: 09.02.2016 um 21:17 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 19:44 Uhr
«Bei Fragen zum Wehrdienst respektive dem National Service weichen sie aus, das ist tabu», sagt SVP-Nationalrat Thomas Aeschi nach seiner Reise durch Eritrea.
Foto: zvg Aeschi
Joël Widmer

SVP-Nationalrat Thomas Aeschi tourte die letzten Tage mit der Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli und anderen Politikern durch Eritrea und zeichnet nun ein freundliches Bild des autoritären Staates. Von einem Überwachungsstaat habe man nichts gesehen, und es sei in Eritrea viel von Wirtschaftsflüchtlingen die Rede, meint Aeschi im BLICK

Die Schweizer Flüchtlingshilfe hält nicht viel von solchen Urteilen. «Es ist das Wesen des Überwachungsstaates, dass man ihn nicht sieht», sagt Sprecher Stefan Frey. Die Menschenrechtssituation in Eritrea sei nach wie vor nicht tolerierbar. «Gemäss unseren Experten kann man derzeit keine Änderung der Beurteilung der Lage in Eritrea vornehmen.» Eine Rückreise sei für viele Flüchtlinge noch mit zu grossen Risiken verbunden. «Daran ändert auch eine Propaganda-Reise von Schweizer Politikern nach Eritrea nichts», so Frey.

SVP-Nationalrat Aeschi will, dass Mario Gattiker, Direktor des Staatssekretariats für Migration (SEM), mit Eritrea ein Abkommen über die Rückführung von Asylbewerbern verhandelt. Im Gespräch mit der «Neuen Luzerner Zeitung» gestand Aeschi zwar ein, dass die Offenheit der Eritreer ihre Grenzen hatte: «Bei Fragen zum Wehrdienst respektive dem National Service weichen sie aus, das ist tabu.» Dennoch resümiert Aeschi forsch: «Für systematische Menschenrechtsverletzungen haben wir zumindest keine Anzeichen erhalten.»

Das Staatssekretariat für Migration sieht derzeit aber keine Möglichkeit, von der Aufnahme eritreischer Flüchtlinge abzurücken. Man könne die allermeisten Asylbewerber aus Eritrea nicht ohne Risiko zurückführen, sagte Staatssekretär Mario Gattiker kürzlich im BLICK-Interview. «Dies, weil ihnen bei einer Rückführung menschenrechtswidrige Behandlung droht.»

«Man kann die allermeisten Asylbewerber aus Eritrea nicht ohne Risiko zurückführen», sagte Staatssekretär Mario Gattiker kürzlich im BLICK-Interview.
Foto: Peter Gerber

Laut einem offiziellen SEM-Länderbericht, der von Migrationsämtern aus Dänemark und Österreich überprüft wurde, werden Deserteure in Eritrea häufig «ohne Anklagen, Verfahren oder Haftfrist in Incommunicado-Haft gehalten». Die Betroffenen würden zwischen einigen Tagen und mehreren Jahren festgehalten und teilweise auch gefoltert. Bei dieser Haft werden Angehörige nicht informiert.

Das Staatssekretariat für Migration führte in den letzten Jahren mehrere Dienstreisen nach Eritrea sowie in Lager eritreischer Flüchtlinge im Sudan und in Äthiopien durch. Nach Möglichkeit beschafft das SEM auch Informationen bei Vertretern der Behörden Eritreas und dessen Nachbarstaaten.

Diese Reisen stellen nur eine der Quellen für Informationen zu den Herkunftsländern dar, die Lage in einem Herkunftsland wird nie allein basierend auf Reiseerkenntnissen eingeschätzt, wie ein SEM-Sprecher Martin Reichlin auf Anfrage präzisiert. Das SEM werte laufend Erkenntnisse internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen sowie von Wissenschaftlern, Journalisten und anderen vertrauenswürdigen Quellen aus. Es unterhält einen intensiven Austausch mit internationalen Eritrea-Experten aus verschiedenen Bereichen wie auch mit den Migrationsämtern anderer europäischer Staaten sowie mit dem Europäischen Asylunterstützungsbüro.

Das SEM stütze sich bei der Beurteilung von Asylgesuchen auf international anerkannte Verfahren mit etlichen Quellen, sagt auch Flüchtlingshilfe-Sprecher Frey. «Diese komplexen Abklärungen kann man mit einer wöchigen Rundreise nicht ersetzen.» Für eine Neubeurteilung brauche es Beweise. Das Regime muss laut Frey erst einmal den Tatbeweis für die Einhaltung der Menschenrechte erbringen und dies über Jahre hinaus kontrollieren lassen. Frey fordert das SEM auch zum Handeln auf: «Die Schweiz muss mit Schweden und Dänemark eine gemeinsame Strategie entwickeln, um das Regime in Eritrea zur Einhaltung der Menschenrechte zu bewegen.» Freiwillig komme von Diktator Afewerki nichts.

Die Schweiz versuche, zusammen mit anderen europäischen Staaten auf die eritreische Regierung einzuwirken, sagt Gattiker und bremst kurzfristige Erwartungen. «Das ist ein längerfristiger Prozess.»

Im Januar 2015 habe laut dem SEM-Sprecher Reichlin auch eine Sondierungsreise nach Eritrea stattgefunden. Deren Ziel war es, den Dialog zu fördern. Neben Gesprächen mit der eritreischen Regierung fanden auch Gespräche mit Vertretern anderer europäischer Staaten und internationaler Organisationen statt. Themen waren unter anderem die Möglichkeit einer Einbindung Eritreas in bestehende regionale Prozesse zur Bekämpfung des Menschenhandels und Menschenschmuggels, die Schweizer Kooperationsstrategie für das Horn von Afrika, und der Stand der Bemühungen zur Umsetzung der letztes Jahr von Eritrea unterzeichneten Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe.

Für Reichlin ist aber klar: «Eine Vertiefung der Zusammenarbeit setzt mittel- und langfristig voraus, dass Eritrea dazu bereit ist und konkrete, sichtbare Schritte unternimmt, seinen Bürgern grundlegende Rechte zu garantieren.» 

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