Kritik oder Hassrede – das ist der Unterschied
Darf man sich gegenüber Israel kritisch äussern?

Sachliche Kritik ist erlaubt. Antisemitische oder muslimfeindliche Aussagen können aber strafbar sein. Wo verläuft die Grenze?
Publiziert: 12.01.2024 um 20:06 Uhr
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Norina Meyer und Nicole Müller
Beobachter

Der Konflikt im Nahen Osten erschüttert auch die Schweiz. Viele trauen sich nicht, etwas dazu zu sagen – sie haben Angst vor überhitzten Diskussionen und davor, in eine Ecke gedrängt zu werden. Fest steht: Wer für Israelis Mitgefühl zeigt, kann gleichzeitig auch auf die Menschenrechte der Palästinenser pochen. Und wer gegenüber Palästinenserinnen Empathie äussert, kann gleichzeitig fordern, dass jüdische Gemeinschaften weltweit geschützt werden. Doch wann sind Aussagen strafbarer Rassismus?

Was bedeutet Antisemitismus?

Alles, was eine ablehnende Haltung oder Einstellung gegenüber Menschen beinhaltet, die sich als jüdisch bezeichnen oder so wahrgenommen werden. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) schreibt: «Dem Antisemitismus liegt ein ausschliessendes ‹Wir/Sie›-Weltbild zugrunde, das sich in Verschwörungsdiskursen äussert und das von historisch gewachsenen Zerrbildern und negativen Stereotypen des ‹Juden› geprägt ist.»

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Nicht darunter fällt es, den israelischen Staat sachlich zu kritisieren. Sogenannt israelbezogen antisemitisch ist es aber, wenn man an Israel andere Standards als an andere Staaten stellt, den Staat oder die Israelis antisemitischen Stereotypen zuordnet oder wenn man keinen Unterschied macht zwischen jüdischen Menschen und Israelis.

Der Krieg im Nahen Osten beschäftigt auch in der Schweiz.
Foto: keystone-sda.ch
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Was heisst muslim- oder islamfeindlich?

Alles, was eine ablehnende Haltung oder Einstellung gegenüber Menschen beinhaltet, die sich selbst als muslimisch bezeichnen oder so wahrgenommen werden. Dabei werden sie aufgrund von Kultur, Religion oder Herkunft als «fremd» dargestellt, oft auch als fanatisch, aggressiv oder frauenfeindlich. Die Begriffe Islamophobie oder Islamfeindlichkeit bedeuten, dass die Religion Islam generell abgelehnt und als fremd, gewalttätig und frauenfeindlich wahrgenommen wird.

Legitim ist es, das Vorgehen der Hamas zu kritisieren. Auch mit dem Islam muss man nicht einverstanden sein – so wie mit allen anderen Religionen auch nicht. Problematisch sind aber rassistische, stereotype und pauschalisierende Aussagen.

Zudem muss man den Islam klar unterscheiden von Islamismus. Als Islamismus gelten laut der EKR in westlichen Ländern politische Ideologien, die sich des Islams bedienen, um extremistische, fundamentalistische sowie patriarchalische Haltungen zu begründen. «Häufig werden die zwei Begriffe fälschlicherweise miteinander vermischt.»

Darf man sich gegenüber Israel oder Palästina kritisch äussern?

Man darf seine Meinung frei äussern und verbreiten, auch über Länder, Regimes oder Religionen. Das ist ein Grundrecht und in der Bundesverfassung verankert. Es schützt nicht nur kritische, sondern auch beleidigende, provozierende oder schockierende Aussagen.

Es ist in der Schweiz also erlaubt, das Vorgehen von Israel, Palästina oder der Hamas zu kritisieren. Strafbar ist eine Äusserung erst, wenn sie Betroffene als Menschen zweiter Klasse bezeichnet oder ihnen die Existenzberechtigung abspricht. Die Rassismusstrafnorm verbietet es, Menschen wegen ihrer Religion, Hautfarbe oder Ethnie systematisch herabzusetzen und Gedankengut zu verbreiten, das sie als minderwertig darstellt – zumindest, sofern das öffentlich geschieht. So macht sich eine Person strafbar, die zu Gewalt gegen Musliminnen oder Juden aufruft oder einen Völkermord öffentlich leugnet. Nicht strafbar sind Äusserungen im privaten Freundes- und Familienkreis.

Was droht einer Person, die online antimuslimische oder antisemitische Kommentare postet?

Nicht jede antisemitische oder antimuslimische Aussage ist strafbar. Bestraft wird man erst, wenn man diskriminierende, entwürdigende und den sozialen Frieden auf Dauer gefährdende Äusserungen publiziert. Das heisst: Wenn darin Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Ethnie oder Religion herabgesetzt werden. Dann droht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.

Jede Person kann einen Vorfall, den sie als Verstoss empfindet, bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft melden. Die Behörden müssen den Sachverhalt prüfen und eine Strafverfolgung einleiten, wenn sich der Verdacht erhärtet.

Wer unter dem Beitrag auf «Gefällt mir» oder «Teilen» klickt, muss möglicherweise ebenfalls mit Konsequenzen rechnen.

Zudem kann ein juden- oder muslimfeindlicher Beitrag zur Kündigung der Arbeitsstelle führen. Grundsätzlich hat es den Arbeitgeber nicht zu interessieren, was man privat im Internet postet. Wenn man ihm aber schadet, sieht es anders aus – denn man verstösst damit gegen die Treuepflicht. Problematisch wird es vor allem, wenn der Arbeitgeber mit der Aussage in Verbindung gebracht wird. Für staatliche Angestellte können strengere Vorschriften gelten.

Ich stosse online immer wieder auf krass antisemitische und antimuslimische Aussagen, die ich nicht so stehen lassen will. Was kann ich dagegen tun?

Sie können den Post direkt bei der Plattform melden – etwa bei der Zeitung, in deren Forum er abgegeben wurde. Auch auf den sozialen Medien wie etwa Facebook kann man unangemessene Inhalte mit wenigen Klicks melden. Die Plattform kann Hasskommentare löschen oder verbergen. Rassistische Hasskommentare können Sie auch der Plattform Reportonlineracism.ch der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus melden.

Weiter können Sie auch selbst aktiv werden, indem Sie mit einer Gegenrede widersprechen. Das heisst, dass Sie sich in die Diskussion einbringen und versuchen, sie auf eine sachliche Ebene zurückzuholen – etwa indem Sie mit Fakten aufklären, warum der Kommentar falsch ist oder indem Sie an die Empathie mit den betroffenen Menschen appellieren. Eine Studie der ETH und der Universität Zürich kommt zum Schluss, dass sich Hasskommentare so wirksam eindämmen lassen.

Was kann ich tun, wenn ich als Muslimin oder Jüdin direkt von einer verletzenden Aussage betroffen bin?

Sie können sich wehren. Sichern Sie zunächst alle möglichen Beweise, etwa indem Sie einen Screenshot machen. Ehrverletzende oder diskriminierende Aussagen melden Sie am besten möglichst rasch der Polizei – denn je nachdem gilt eine dreimonatige Antragsfrist. Wenn Sie in Ihrer Persönlichkeit verletzt wurden, können Sie auch zivilrechtlich dagegen vorgehen – und etwa verlangen, dass der Post gelöscht wird. Lassen Sie sich von einer spezialisierten Stelle beraten, um Ihre Chancen und Möglichkeiten abzuklären.

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