Martin Schulz ist abgestürzt
Aufstieg und Fall eines Träumers

Martin Schulz hatte viel erreicht. Dann wollte er mehr. Nach dem Absturz des SPD-Vorsitzenden stecken nicht nur die Sozialdemokraten in einer tiefen Krise.
Publiziert: 11.02.2018 um 00:23 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 00:15 Uhr
Johannes von Dohnanyi

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der in knapp einem Jahr alles erlebt hat, was die Politik an Gutem, aber eben auch an Brutalität bereithält

Der erst mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteichef der deutschen Sozialdemokraten gewählt wurde. Den drei verlorene Landtags- und die gründlich missratenen Bundestagswahl im September 2017 als Heilsbringer entzauberten. Der seinen Genossen das Ende der ungeliebten Grossen Koalition versprach und dann noch mit dem Satz nachlegte, nie mit Angela Merkel an einem Kabinettstisch sitzen zu wollen.

Der dann doch einen Vertrag für eine neue Grosse Koalition aushandeln musste und auf einmal nach dem Amt des Aussenministers griff.

Martin Schulz sieht seine politische Karriere an die Wand gefahren.
Foto: Dukas
Bitteres Ende für Martin Schulz nach den Gesprächen zur Grossen Koalition. Die Karriere des SPD-Chefs scheint definitiv beendet zu sein.
Foto: Ralph Peters

Das ist aber auch die Geschichte des ebenso ambitionierten wie realitätsverlustigen Politikers Martin Schulz, dem diese letzte Volte zum Verhängnis wurde. Verrat und intransparente Kungelei warfen ihm die Genossen vor. Zwei Tage dauerte es, dann war der sozialdemokratische Ikarus Schulz, der glaubte, alles unter Kontrolle zu haben, in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Was für ein Höhenflug! Was für ein Schlingerkurs! Was für ein Absturz!

Alles ist wieder offen

Und was für eine Zitterpartie jetzt bis zum Ergebnis der von Schulz versprochenen Mitgliederbefragung über den ausgehandelten Koalitionsvertrag. Bis Anfang März haben die Sozialdemokraten Zeit, sich zu entscheiden. Schon vorher galt der Ausgang der Abstimmung als unsicher. Martin Schulz könnte den Gegnern der Grossen Koalition unfreiwillig in die Hände gespielt haben.

Zusammen mit dem SPD-Vorsitzenden ist auch die 48-stündige relative Sicherheit verschwunden, dass die deutsche Politik wieder in ruhigem Fahrwasser angelangt ist. Alles ist wieder offen!

Denn um die Sozialdemokraten ins Regierungsboot zurück zu holen, hatte die amtierende Christdemokratische Kanzlerin Angela Merkel grosse Zugeständnisse gemacht. Sie hatte der SPD das wichtige Finanz- und das Ministerium für Arbeit und Soziales überlassen, das allein schon über gut ein Viertel des Bundeshaushalts verfügt. Sogar den gefährlich unrealistischen Träumen von Schulz, der sich bis 2025 die «Vereinigten Staaten von Europa» wünschte, gab sie nach.

Kanzlerin Angela Merkel zeigt Zeichen der Schwäche, in der CDU regt sich Widerstand gegen sie.
Foto: AFP

Koalitionsverträge werden nie so heiss gegessen, wie sie während der Verhandlungen gekocht wurden. Das wissen auch die regierungserprobten Christdemokraten. Und dennoch wächst in der CDU der Unmut über die bis vor kurzem noch unangefochtene Vorsitzende Merkel. Ohne Not, heisst es unter den Granden der Partei, habe sie ur-christdemokratische Positionen aufgegeben. Die Wirtschaftsverbände poltern. Die Jugendorganisation der Partei fordert die Verjüngung der Parteispitze.

Gefährlicher Schwelbrand

Mit seinen Alleingängen hat Martin Schulz damit – sicherlich ungewollt – einen gefährlichen Schwelbrand auch im Dachstuhl der Christdemokraten gelegt. Denn wie bei den Sozialdemokraten geht es auch bei der CDU immer weniger um die Inhalte des ausgehandelten Koalitionsvertrags und immer mehr um eine selbstzerfleischende Personaldebatte. Angela Merkels Kanzlerdämmerung hat in den vergangenen Tagen an Tempo zugelegt.

Das ist tragisch. Nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Deutschland und für Europa insgesamt. Denn das von Unionsparteien und der SPD ausgehandelte Koalitionspapier ist voller positiver Überraschungen. Die Auswüchse der Globalisierung und damit die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft sollen angegangen, vor allem kleine und mittlere Unternehmen bei Innovations- und Forschungsvorhaben gefördert werden.

Endlich soll es mit der flächendeckenden Digitalisierung vorangehen. Eine Neuorientierung in der Bildungspolitik wurde ebenso vereinbart wie zumindest der Versuch einer Neuausrichtung des Gesundheitswesens. Und endlich will die neue Regierung in Berlin, zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, aktiv an der Renovierung des Hauses Europa mitarbeiten.

Martin Schulz (l.) wollte Aussenminister Sigmar Gabriel beerben. Der Schuss ging nach hinten los.
Foto: Keystone

Auch wenn er mit seiner Vision der «Vereinigten Staaten von Europa» über das machbare Ziel weit hinausgeschossen war – zu Recht beschrieb Martin Schulz den Koalitionsvertrag als grossen sozialdemokratischen Erfolg. Denn das Streben nach mehr sozialer Gerechtigkeit und zumindest das Bemühen um eine bessere politische Steuerung des globalen Turbokapitalismus gehören zum Kern sozialdemokratischer Politik.

Es ist noch nicht zu spät

Und gleichzeitig wäre es falsch, Angela Merkel und die Christdemokraten als Verlierer abzustempeln. Gerade in Zeiten rechter Populisten gehört es zur politischen Aufgabe der Unionsparteien, eine an der gesellschaftlichen Realität und nicht an irrlichternden Tagträumen orientierte Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik zu entwerfen und Begriffe wie «Volk» und «Heimat» mit neuen Inhalten zu besetzen.

Trotz der Eskapaden von Ikarus Martin Schulz und dem parteiinternen Murren gegen die Kanzlerin ist es noch nicht zu spät, aus den Absichtserklärungen des Koalitionsvertrags gute Politik entstehen zu lassen. Grundbedingung dafür wäre es aber, bis zum Ende der Mitgliederbefragung der SPD nicht mehr über Personalien, sondern über die Inhalte des vorliegenden Papiers zu debattieren.

Natürlich auch mit Emotionen. Vor allem aber mit dem Verzicht auf unerfüllbare Maximalforderungen und einem klaren Blick auf das politisch Machbare.Ausgerechnet dies – ein Blick ins Geschichtsbuch beweist es – ist in Krisenzeiten aber noch nie die Stärke der deutschen Sozialdemokraten gewesen.

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