«Für ganz viele Menschen reicht die Rente nicht mehr»
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SP-Co-Chefin Mattea Meyer:«Für ganz viele Menschen reicht die Rente nicht mehr»

Mattea Meyer im Interview
«Mit der SVP gibts nie eine konstruktive Europapolitik»

Im März stimmen wir über die 13. AHV-Rente für alle ab. Mattea Meyer rechnet fest mit einem Sieg. Im Europadossier stärkt die SP-Co-Parteipräsidentin den Gewerkschaften den Rücken.
Publiziert: 14.01.2024 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 14.01.2024 um 10:35 Uhr
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Peter AeschlimannRedaktor

Frau Meyer, wie lautet Ihr Beziehungsstatus mit den Gewerkschaften?

Mattea Meyer: Unverändert konstruktiv.

Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard weibelt für eine 13. AHV-Rente. Gleichzeitig droht er mit einer Blockade bei den Verhandlungen mit der EU. Welcher PYM ist Ihnen lieber?

Mattea Meyer kämpft Seite an Seite mit den Gewerkschaften für eine soziale Schweiz.
Foto: Linda Käsbohrer
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Im Kern geht es beide Male um soziale Gerechtigkeit. Darum, dass die Leute genügend Geld im Portemonnaie haben. Bei uns in der Schweiz, aber auch ennet der Grenze. So gesehen mag ich beide.

Reden wir zunächst über Europa. Das Verhandlungsmandat des Bundesrats sei «kleinkariert und ambitionslos», sagt Ihre Partei. Was stört Sie daran?

Vorausschicken möchte ich: Wir unterstützen den Bundesrat darin, Verhandlungen aufzunehmen, und werden uns daran beteiligen, Lösungen zu finden. Das Mandat liefert aber keine Antworten auf die grossen Herausforderungen unserer Zeit: Steuerungerechtigkeit, mangelnde Konzernverantwortung, Klimakrise. Diese Probleme können wir nur gemeinsam mit der EU lösen, doch der Bundesrat blendet sie aus.

Herr Maillard reitet aber auf der Spesenregelung für entsandte Arbeiter rum. Ist das nicht auch kleinkariert?

Jeder Handwerker weiss: Mit zu tiefen Spesen lässt sich Dumping betreiben. Kommen polnische Handwerker in die Schweiz, müssten sie zwar ein hier landesübliches Gehalt verdienen, für die Übernachtung könnten sie aber viel tiefere, nämlich polnische Spesenvergütungen erhalten. Das wäre indirektes Lohndumping auf Kosten des hiesigen Gewerbes. Niemand will das.

Und doch scheint das Problem lösbar. Auch in der EU gilt: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.

Ja, das ist lösbar, wenn der politische Wille vorhanden ist. Sicher ist: Unser Lohnschutz ist unantastbar. Eine Verschlechterung der Situation für Arbeitnehmende werden wir bekämpfen. Öffnung und Integration kann es nur in Kombination mit flankierenden Massnahmen geben.

Ein anderer strittiger Punkt ist die Liberalisierung im Bahnverkehr – auch keine unüberwindbare Hürde. Rechtfertigt das die Blockadehaltung der Gewerkschaften?

Es handelt sich doch nicht um eine Blockadehaltung. Es ist das Bemühen darum, Lösungen zu finden, die im Interesse der Bevölkerung und des Service public sind. Zum Bahnverkehr: Wir haben mit unseren SBB eine ausgezeichnete öffentliche Infrastruktur mit funktionierendem Taktfahrplan. Sollen wir das liberalisieren und damit gefährden? Wir ärgern uns ja bereits, wenn der Zug mal fünf Minuten zu spät abfährt …

Lohnt es sich, dafür das ganze Abkommen zu gefährden?

Wenn die Rechten das Verhandlungsmandat dazu missbrauchen wollen, öffentliche Leistungen zu zerschlagen und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, werden wir uns dagegen wehren. Die Vergangenheit hat deutlich gezeigt: Europapolitisch kommen wir nur dann vorwärts, wenn Gewerkschaften und Bürgerliche an einem Strang ziehen. Mit der SVP wird es nie eine konstruktive Europapolitik geben. Irgendwann müssen auch FDP und Mitte realisieren, dass diese nur mit uns möglich ist.

Wie schon beim Scheitern des Rahmenabkommens, als man beim Lohnschutz ideologische Positionen vertrat, droht die SP so zur Totengräberin der EU-Verhandlungen zu werden.

Beerdigt hat das Rahmenabkommen der dafür zuständige FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Heute sind wir zum Glück einen Schritt weiter. Die Verhandlungen führen in eine gute Richtung. Das Mandat darf aber nie blosser Selbstzweck sein. Es muss immer den Menschen dienen, ihr Leben verbessern – oder zumindest ganz bestimmt nicht verschlechtern.

Wann hat das Mandat eine Chance?

Eine Mehrheit in der Bevölkerung wird sich nur dann finden lassen, wenn Klarheit darüber herrscht, wie die Löhne in der Schweiz geschützt werden sollen. Das ist zwingend.

Wäre für Sie der EU-Beitritt immer noch die beste Option?

Antworten auf die grossen Herausforderungen finden wir nur auf europäischer Ebene. Mir ist es lieber, am Verhandlungstisch zu sitzen und mitentscheiden zu können, als im Abseits zu stehen und einfach nur nachzuvollziehen.

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«Mit der SVP wirds nie eine kon­­struktive Europa­politik geben»
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer
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Derzeit will aber praktisch niemand hier der EU beitreten.

Natürlich ist mir klar, dass ein EU-Beitritt aktuell nicht zur Debatte steht. Also versuchen wir dort Einfluss zu nehmen, wo die Möglichkeit dazu besteht, namentlich beim Verhandlungsmandat. Was in dieser Diskussion oft verloren geht: Die Schweiz befindet sich im Herzen Europas. Viele Firmen sind abhängig vom Exportgeschäft mit der EU, unsere Kultur und unser Forschungsplatz sind europäisch geprägt. Europapolitik prägt unseren Alltag.

Zur Person

Seit 2020 leitet Mattea Meyer (36) zusammen mit Cédric Wermuth (37) die SP Schweiz. Meyer war zuvor Vizepräsidentin der Juso Schweiz und Co-Präsidentin der SP Winterthur. 2011 wurde die Winterthurerin in den Zürcher Kantonsrat gewählt, 2015 in den Nationalrat. Sie sitzt derzeit in der Sozial- und Gesundheitskommission und in der Immunitätskommission.

Seit 2020 leitet Mattea Meyer (36) zusammen mit Cédric Wermuth (37) die SP Schweiz. Meyer war zuvor Vizepräsidentin der Juso Schweiz und Co-Präsidentin der SP Winterthur. 2011 wurde die Winterthurerin in den Zürcher Kantonsrat gewählt, 2015 in den Nationalrat. Sie sitzt derzeit in der Sozial- und Gesundheitskommission und in der Immunitätskommission.

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Themenwechsel: Haben Sie den Champagner für den Abstimmungssonntag schon kalt gestellt?

Ich trinke nicht so gerne Champagner. Trotzdem hoffe ich natürlich, dass wir dann etwas zu feiern haben werden.

Die Chancen dafür stehen gut. Rund 70 Prozent befürworten derzeit eine 13. AHV-Rente, über die wir am 3. März abstimmen. Selbst Bürgerliche ziehen mit.

Das erstaunt mich nicht. Die AHV ist für so viele Menschen die wichtigste und zuverlässigste Altersvorsorge. Eine soziale Errungenschaft, die keine Parteifarben kennt. Auch bürgerliche Wählerinnen und Wähler sehen, was ihnen am Ende des Monats im Portemonnaie übrig bleibt. Steigende Mieten und Krankenkassenprämien, höhere Lebensmittelpreise: Eine ganze Monatsrente ging in letzter Zeit verloren. Um das kompensieren zu können, benötigt es eine 13. AHV-Rente.

Die Mehrheit der Rentner steht finanziell gut da, die übrigen erhalten Ergänzungsleistungen. Was soll an diesem System verkehrt sein?

Die AHV ist keine Sozialhilfe! Es ist eine Versicherung für jede und jeden von uns: Alle zahlen ein, alle bekommen eine Rente. Es stimmt, dass es vielen Rentnerinnen und Rentnern gut geht. Sie haben vielleicht ein Haus und Vermögen, können ihren Lebensabend sorgenfrei geniessen. Aber es gibt eben auch die anderen: Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und jetzt jeden Franken zweimal umdrehen müssen. Ich bekomme Mails von Grosseltern, die sich einen Zoobesuch mit den Enkeln nicht mehr leisten können. So was macht mich betroffen: Wer sein Leben lang gearbeitet hat, verdient es, sorgenfrei alt werden zu können.

Bei einem Ja würde ab 2030 wohl eine Zusatzfinanzierung nötig.

Die Frage, ob wir uns das leisten können, kommt immer nur dann, wenn den Menschen etwas zurückgegeben werden soll. Sie tauchte aber nicht auf, als es darum ging, mit Hunderten Milliarden an Staatsgarantien die Credit Suisse zu retten im letzten Jahr.

Fakt ist, dass es teurer würde. Wer sollte das bezahlen?

Das Schlechtreden der AHV-Finanzen hat System. Das Sozialwerk steht aber auf stabilen Beinen. Der Bundesrat schreibt, bis 2030 würden Überschüsse erzielt. Sollte die AHV dereinst eine Zusatzfinanzierung benötigen, wird die Politik dafür eine gute Lösung finden.

Eben: Wie könnte die aussehen?

Die Initiative macht diesbezüglich keinen konkreten Vorschlag. Eine Erhöhung der Lohnprozente wäre bestimmt machbar. UBS-Chef Sergio Ermotti müsste dann monatlich 4400 Franken mehr bezahlen, seine AHV wäre aber gedeckelt. Eine Teilzeitmitarbeitende bezahlte monatlich 20 Franken mehr, bekäme aber im Alter monatlich 200 Franken mehr zurück.

Die arbeitende Bevölkerung wird sich weniger leisten können.

Die AHV ist solidarisch finanziert. Auch der Einkommensmillionär bezahlt mit jedem Lohnfranken in das Sozialwerk ein. Neun von zehn Leuten bekommen mehr AHV, als sie je eingezahlt haben.

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«Der UBS-Ceo müsste 4400 Franken mehr bezahlen, seine AHV wäre gedeckelt»
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer
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Trotzdem versteht kaum jemand, dass auch Millionäre profitieren sollen.

Dieses rechte Giesskannenargument ist scheinheilig. Es kommt nie, wenn es um Steuererleichterungen geht, die Millionäre genauso wenig nötig hätten.

Wird die Vorlage angenommen, wird es für Elisabeth Baume-Schneider noch härter, die AHV für die Zukunft fit zu machen. Warum tun Sie das Ihrer Bundesrätin an?

Ich bin mir ganz sicher, dass Elisabeth Baume-Schneider sehr gut versteht, weshalb sich ihre SP für eine soziale Schweiz einsetzt. Wir haben eine bürgerliche Mehrheit in der Regierung, die das anders sehen mag. Dabei ergibt es volkswirtschaftlich Sinn, die Kaufkraftverluste weiter Teile der Bevölkerung auszugleichen. Ich wundere mich, dass der bürgerliche Bundesrat das nicht begreift und nichts gegen die steigenden Mieten oder Krankenkassenprämien unternimmt. Am Schluss lässt er die Leute so im Stich.

Ganz untätig sind die Bürgerlichen ja nicht. Die FDP will mit ihrer Renten-Initiative die Finanzierung der Sozialwerke sichern …

Die Renten-Initiative führt zu Rentenalter 67. Alle wissen: Wer es sich leisten kann, früher in Pension zu gehen, sind Banker und Leute aus der Versicherungsbranche. Sie werden auch künftig mit 62 sagen: «Tschüss zusammen, ich geniesse jetzt meinen Ruhestand.» Die Frau an der Migros-Kasse, der Kita-Mitarbeiter und Sie als Journalist werden länger arbeiten müssen. Hinzu kommt: Wer emotional und körperlich härter arbeitet, stirbt in der Regel früher. Mit meinem Gerechtigkeitsempfinden lässt sich das nicht vereinbaren.

Sie bestreiten die Abstimmung allein, Cédric Wermuth kehrt erst Ende Februar aus seiner Auszeit zurück. Wissen Sie, wo er gerade ist?

Ja, die ganze Familie geniesst die Auszeit sehr – deshalb verrate ich auch nicht, wo und wie man ihn erreichen kann (lacht).

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