Migration aus Drittstaaten
Müssen Fachkräfte bald zahlen, um in die Schweiz zu dürfen?

Der Bundesrat prüft Abgaben für Fachkräfte aus Drittstaaten, um die SVP-Initiative zu kontern. Die Wirtschaft warnt vor verschärftem Arbeitskräftemangel, und auch bei den Parteien stösst die Idee auf Widerstand.
Publiziert: 08.07.2024 um 10:09 Uhr
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Aktualisiert: 08.07.2024 um 16:39 Uhr
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Tobias OchsenbeinRedaktor Politik

Eine alte Idee erhält neuen Schwung: Der Bundesrat prüft eine Abgabe für Fachkräfte aus Drittstaaten, wie der «Tages-Anzeiger» am Montag berichtet. Damit will er unter anderem die Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz!» der SVP kontern.

Bereits nach der Annahme der SVP-Masseneinwanderungs-Initiative im Jahr 2014 wurde dieser Vorschlag von wirtschaftsliberalen Kreisen ins Spiel gebracht. Jetzt wird sie erneut diskutiert. Ende vergangenes Jahr beauftragte der FDP-Ständerat Andrea Caroni (44) den Bundesrat mittels Postulat, Vor- und Nachteile sowie die verfassungsrechtliche Einbettung einer Zuwanderungsabgabe zu prüfen. Caroni sagt: «Eine solche Abgabe würde die Zuwanderungsgewinne breiter teilen. Gestärkt würden damit die richtigen Anreize und auch die Akzeptanz der Zuwanderung.»

Die Idee dahinter ist, die Zuwanderung durch eine Gebühr zu verteuern und somit zu regulieren. Die Schweiz würde dadurch zu einem Land mit Eintrittsgebühr werden. Nur diejenigen, die sich den Aufenthalt leisten können oder für ihre Arbeitgeber von grossem Nutzen sind, würden einwandern. Ein Teil der Einnahmen aus dieser Abgabe soll der Allgemeinheit zugutekommen, um die durch Zuwanderung entstehenden Kosten, etwa die Verknappung und Verteuerung von Land und Infrastruktur, auszugleichen. Nur: Die Zuwanderungsabgabe ist ein kontroverses Thema.

Der Bundesrat prüft eine Abgabe für Fachkräfte aus Drittstaaten.
Foto: KEYSTONE
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Wirtschaft fürchtet verschärften Arbeitskräftemangel

Die Wirtschaft lehnt die Idee entschieden ab. «Die Schweiz ist auf Forscher und Spezialisten von ausserhalb der EU angewiesen, um ihre Spitzenposition in Forschung und Entwicklung zu halten», sagt Rudolf Minsch (57), Chefökonom bei Economiesuisse. Auch der Arbeitgeberverband zeigt sich skeptisch.

Die Verbände warnen vor einem verschärften Arbeitskräftemangel durch die demografische Entwicklung. Sie kritisieren, dass die Abgabe einseitig die Kosten der Zuwanderung betont und den Nutzen qualifizierter Einwanderer für die Schweizer Volkswirtschaft ignoriert. Diese würden bereits durch Steuern und Abgaben zur Finanzierung der Infrastruktur und Sozialwerke beitragen.

Auch die Parteien äusserten im «Tages-Anzeiger» Kritik. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (38) meint, die Abgabe treffe die Falschen und sei eine Folge einer bewussten Standortpolitik der Schweiz mit zu geringen Investitionen in Ausbildung und niedrigen Unternehmenssteuern. Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli (52) fordert, bürokratische Hürden für die Anerkennung von Ausbildungen Geflüchteter abzubauen und die Kinderbetreuung zu verbessern, um die Erwerbsquote der Frauen zu erhöhen.

Pfister vermisst Strategie des Bundesrats

GLP-Chef Jürg Grossen (54) hält die Abgabe ebenfalls für den falschen Weg, und auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister (61) spricht von einem «unausgegorenen Vorschlag». Er könne keine Strategie erkennen, wie der Bundesrat die SVP-Initiative effektiv bekämpfen wolle. Ende Juni kündigte der Bundesrat an, die Initiative nicht durch einen Gegenvorschlag, sondern durch «Begleitmassnahmen» zu beantworten.

Auch die SVP zeigt sich unzufrieden. Fraktionschef Thomas Aeschi (45) betont, dass die Schweiz auch bei der Zuwanderung aus der EU selektiver vorgehen müsse. Nur durch die SVP-Volksinitiative könne die Zuwanderung langfristig eingedämmt werden. International tätige Unternehmen wie Google, Nestlé oder Novartis hingegen schweigen zu der Frage, was sie von einer möglichen Zuwanderungsabgabe halten.

Selbst der Bundesrat scheint von der Massnahme wenig überzeugt. Denn er will Konflikte mit der EU vermeiden. Eine Zuwanderungsabgabe für EU-Bürger sei mit der Personenfreizügigkeit unvereinbar. Justizminister Beat Jans (59) betonte im Frühling im Parlament, dass eine solche Abgabe die Freizügigkeitsrechte einschränken würde und für die europäischen Partner kaum akzeptabel wäre.

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