«Moralisch begriffsstutzig und «arrogant»
US-Leitmedium «Washington Post» schiesst scharf gegen Schweizer Neutralität

Im Angesicht der russischen Invasion in der Ukraine sei die Schweizer Neutralität nicht mehr haltbar, findet die «Washington Post».
Publiziert: 09.04.2023 um 12:52 Uhr
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Aktualisiert: 10.04.2023 um 09:28 Uhr
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Richard Werly

Nach der französischen Tageszeitung «Le Monde» kritisiert nun auch das US-Leitmedium «Washington Post» die Schweizer Neutralität. «Der Krieg in der Ukraine hat zu einer radikalen Veränderung der europäischen Neutralität geführt», titelte die «Washington Post» in ihrem Leitartikel vom 7. April.

«Welche Botschaft wird vermittelt, wenn man angesichts einer illegalen Invasion eines souveränen Landes an der Neutralität festhält?», fragt die Zeitung. «Während Hunderttausende von Menschen ihr Leben verloren haben und Millionen von Flüchtlingen über den ganzen Kontinent geflohen sind, wirken die wenigen verbliebenen europäischen Länder, die sich weigern, Partei zu ergreifen, auf viele ihrer Verbündeten und Nachbarn und sogar auf viele ihrer eigenen Bürger moralisch begriffsstutzig, obstruktiv und arrogant.»

Weiter heisst es: «Die Weigerung, Russlands Angriff auf internationale Normen zur Kenntnis zu nehmen, wird zu Recht als Realitätsverweigerung angesehen.»

Die «Washington Post» kritisiert die Schweizer Neutralitätspolitik.
Foto: Richard Werly
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Neutralität einst «heiliges Merkmal»

Die Breitseite der «Washington Post» gegen die Schweizer Neutralität zeigt: Die hiesige Debatte über die Wiederausfuhr von Munition in die Ukraine oder Christoph Blochers (82) Einsatz für eine Neutralitätsinitiative werden vom US-Kongress und dem Weissen Haus aufmerksam verfolgt.

Angesichts des Krieges in Europa müsse man Partei ergreifen, schreibt die «Washington Post»: «Das ist vielen in der Schweiz bereits klar geworden, wo die tiefe emotionale Bindung an die Neutralität, die die Bürgerinnen und Bürger lange Zeit als heiliges Merkmal des nationalen Lebens betrachteten, zunehmend infrage gestellt wird.»

Neutralität bedeutet nicht, dass man nichts zu befürchten hat

Die geopolitische Kontroverse über die Neutralität könne dabei nicht von der wirtschaftlichen und finanziellen Situation der Schweiz isoliert betrachtet werden, so die «Post». «Sogar einige der renommiertesten Schweizer Banken, die eine wichtige Stütze der Schweizer Wirtschaft sind, haben die Änderung der Schweizer Politik, einschliesslich der Unterstützung der westlichen Sanktionen, befürwortet.» Und dies, obwohl ihnen dadurch Geschäfte entgehen.

Neben der Schweiz sind in Europa auch Österreich und Irland neutral. Auch in diesen Ländern sei die Neutralität jüngst zunehmend ins Wanken geraten, so die US-amerikanische Zeitung. «Das vielleicht aufschlussreichste Zeichen für das wachsende Unbehagen an der offiziellen Neutralität ist, dass die Schweizer, die Österreicher und sogar die Iren – die sich zwar militärisch, aber nicht politisch neutral zum Krieg in der Ukraine verhalten – eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben angekündigt haben. Das deutet darauf hin, dass im heutigen Europa Neutralität nicht mehr bedeutet, dass man nichts zu befürchten hat.»


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