Das sagen Parlamentarierinnen zum Bundesrats-Entscheid
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Schweiz übernimmt Sanktionen:Das sagen Parlamentarierinnen zum Bundesrats-Entscheid

Dem Druck nachgegeben
Schweiz übernimmt EU-Sanktionen gegen Russland

Auf die deutlichen Worte folgten bisher keine deutlichen Taten. Das ändert sich nun. Die Schweiz übernimmt die EU-Sanktionen gegen Russland, teilte der Bundesrat am Montag mit. Betroffen ist auch Putin persönlich.
Publiziert: 28.02.2022 um 12:41 Uhr
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Aktualisiert: 28.02.2022 um 18:48 Uhr
Lea Hartmann und Daniel Ballmer

Nun also doch! Die Schweiz schliesst sich ausnahmslos den Sanktionen der EU gegen Russland an. Vermögen russischer Staatsbürger und mehrerer Unternehmen auf der EU-Sanktionsliste sind per sofort gesperrt, gegen fünf Oligarchen mit russischem oder ukrainischem Pass wird zudem ein Einreiseverbot verhängt. Ein Abkommen über Visaerleichterungen für Russen wurde suspendiert. Seit Montagnachmittag ist zudem auch in der Schweiz offiziell der Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt – und zwar für Linien- wie für Privatflüge.

Der Entscheid entspricht einer Kehrtwende. Noch vergangenen Donnerstag hatte Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis (60) verkündet, dass der Bundesrat die Sanktionen nicht übernehme, sondern lediglich deren Umgehung verhindern wolle. Ein Einfrieren russischer Vermögenswerte schloss der Bund explizit aus.

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Man habe Zeit gebraucht

Cassis nannte als Grund für den Sinneswandel selbstverständlich nicht die laute und sehr breite Kritik am Bundesratsentscheid und den wachsenden Druck, diesen zu überdenken. Auch wenn das zweifellos eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte. Vielmehr versuchte der Bundespräsident die Kehrtwende damit zu erklären, dass man für den Schritt Zeit gebraucht habe, um ihn in Bezug auf die Vereinbarkeit mit der Schweizer Neutralität zu prüfen und die Konsequenzen abschätzen zu können.

Gleich vier Bundesratsmitglieder traten vor die Medien, um zu verkünden, dass die Schweiz die EU-Sanktionen gegen Russland nun doch auch übernimmt.
Foto: Keystone
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Nebst dem Bundespräsidenten traten auch Finanzminister Ueli Maurer (71), Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) und Verteidigungsministerin Viola Amherd (59) vor die Medien. Ausgerechnet Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62) in dessen Verantwortungsbereich die Umsetzung der Sanktionen fallen, war nicht anwesend. Er werde noch genügend Gelegenheiten haben, etwas dazu zu sagen, so die etwas seltsam anmutende Erklärung von Bundespräsident Ignazio Cassis dazu.

Keine schlimmen Folgen für Schweizer Wirtschaft

Noch vor wenigen Tagen hatte der Bundesrat sein Zögern damit erklärt, dass man die Rolle der neutralen Schweiz als unparteiische Vermittlerin nicht aufs Spiel setzen wolle. Dieses Argument hat nun offenbar an Gewicht verloren. Cassis sagte, die Schweiz biete weiterhin ihre Guten Dienste an. Doch angesichts des krassen Völkerrechtsverstosses halte man eine Änderung der bisherigen Praxis für richtig.

Finanzminister Ueli Maurer rechnet nicht damit, dass die Sanktionen für die Schweizer Wirtschaft grosse Folgen haben werden. Russland sei für den Schweizer Finanzplatz nicht so bedeutend, wie man das vielleicht meine. Für die Schweizer Wirtschaft sei Russland ausserdem kein primärer Markt. Auch was die Energieversorgung betrifft, rechnet der Bundesrat nicht mit grösseren Problemen. Man verfüge über genügend Reserven.

25 Tonnen Hilfsgüter werden geliefert

Die Finanzsanktionen, denen sich nun auch die Schweiz anschliesst, betreffen auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin (69), Premierminister Michail Mischustin (55) und Aussenminister Sergej Lawrow (71). Ob und über wie viel Vermögen die Politiker überhaupt in der Schweiz verfügen, weiss der Bundesrat laut Maurer nicht.

Nebst dem Sanktionsbeschluss hat der Bundesrat am Montag zudem ein Hilfspaket für die Ukraine geschnürt. In den nächsten Tagen werden 25 Tonnen Hilfsgüter im Wert von acht Millionen Franken in die polnische Hauptstadt Warschau geliefert. Das Verteidigungsdepartement stelle dringend benötigte medizinische Güter und Medikamente aus der Armeeapotheke zur Verfügung, sagte Verteidigungsministerin Amherd. Die Hilfsgüter seien für die Ukraine und deren Nachbarstaaten vorgesehen, in die viele Ukrainerinnen und Ukrainer geflohen sind.

Nationalrat setzte ein Zeichen

Mit der Übernahme der EU-Sanktionen beugt sich der Bundesrat nicht nur internationalem Druck. Auch aus dem Parlament war heftige Kritik auf die Regierung eingeprasselt. Bereits in ihrer Eintrittsrede zum Start der Frühlingssession wählte Nationalratspräsidentin Irène Kälin (35, Grüne) deutliche Worte. «Wir wissen doch alle, dass wir solidarisch sein müssen. Wir haben eine moralische Verpflichtung, Farbe zu bekennen.»

Neutralität bedeute nicht zu schweigen. «Wenn wir uns weiter hinter guten Diensten verstecken, sind wir nicht neutral, sondern stehen auf der falschen Seite der Geschichte», betonte Kälin. «Mögen wir klare Worte finden dafür, dass Russland das Völkerrecht mit Füssen tritt», sagte sie und forderte die Anwesenden zur Schweigeminute im Gedenken an die Kriegsopfer auf – darunter der ukrainische Botschafter in der Schweiz, Artem Rybchenko (38).

Auch wenn der Bundesrat nach tagelangem Zögern und Zaudern kurz zuvor doch noch gehandelt und die EU-Sanktionen übernommen hatte, liess es sich der Nationalrat nicht nehmen, nochmals ein deutliches Zeichen an die Regierung auszusenden. Mit 147 gegen 41 Stimmen bei acht Enthaltungen hat er eine Erklärung seiner staatspolitischen Kommission (SPK) angenommen, die nicht nur einen sofortigen Waffenstillstand fordert, sondern auch nochmals die vollständige Übernahme der EU-Sanktionen. Einzig grosse Teile der SVP stimmten dagegen.

Nur die SVP dagegen

«Wir müssen unsere Glaubwürdigkeit bewahren», betonte SPK-Präsident Marco Romano (39, Mitte). Der Bundesrat müsse den Druck auf die russische Führung erhöhen. «Als wichtiger Finanzplatz und Handelsplatz für Rohstoffe muss die Schweiz Verantwortung übernehmen.»

Auch die SVP wünsche sich Frieden, hielt Gregor Rutz (49) dagegen. Die Schweiz aber müsse ihre Neutralität wahren. Nur so könne sie in dem Konflikt eine Vermittlerrolle einnehmen. Davon aber wollte etwa Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59) nichts wissen. Ein Abseitsstehen der Schweiz entspreche einer pro-russischen Position. Denn: «Wer den Angreifer unterstützt und den Angegriffenen bestraft, ist nicht neutral.»

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