Nato-Übung in Estland
Schweizer trainierten mit Cyberkriegern aus der Ukraine

Armeeangehörige übten in Tallinn den digitalen Krieg. Unter den Teilnehmern: Spezialisten aus Kiew. Ist das mit der Neutralität vereinbar?
Publiziert: 25.08.2024 um 09:11 Uhr
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Aktualisiert: 26.08.2024 um 09:01 Uhr
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Die Schweiz nähert sich militärisch der EU an. Am Mittwoch genehmigte der Bundesrat Pläne von Verteidigungsministerin Viola Amherd (62), die Armee an zwei Programmen der Pesco teilnehmen zu lassen, dem militärischen Arm der Europäischen Union. 

Eines der Projekte soll sicherstellen, dass ausländischen Truppen die Schweizer Grenzen leichter überqueren können. Ziel ist ein «Schengen der Streitkräfte». Das zweite Programm will gemeinsame Übungen zur Cyberabwehr möglich machen – das sorgt für Aufregung, weil die Ukraine ihre Zusammenarbeit mit der EU in diesem Bereich ebenfalls stärken will. 

In Estland übten Ende April mehr als 40 Länder den Ernstfall.
Foto: Bloomberg via Getty Images
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Die Tamedia-Zeitungen berichteten von «brisanten» Plänen und fragten aufgeregt: «Werden Schweizer Milizsoldaten in Zukunft tatsächlich zusammen mit kriegserprobten ukrainischen Cybertruppen trainieren?»

Dabei sind gemeinsame Übungen mit der Ukraine längst Realität. Ende April reisten zehn IT-Spezialisten der Schweizer Armee ins estnische Tallinn, um am Grossmanöver Locked Shields der Nato teilzunehmen. Mit dabei: Soldatinnen und Soldaten aus 40 anderen Ländern, darunter Cyberkrieger aus Kiew.

Szenario: Angriff auf Spitäler und Stromversorger

Die Übung findet jährlich statt, erstmals nahm auch de Ukraine daran teil. Die Schweiz ist zwar kein Nato-Mitglied, arbeitet aber im Rahmen der «Partnerschaft für Frieden» punktuell mit der Bündnisorganisation zusammen. Organisiert wird das multinationale Training in Estland vom Nato-Kompetenzzentrum für Cyberabwehr, einer Bildungsstätte für den Kampf gegen digitale Spionage und Computerterrorismus in Europa.

In Estland spielten die Militärs ein fiktives Szenario durch, bei dem ein nicht näher genannter Feind die kritische Infrastruktur eines Staates angreift – Spitäler also, Stromversorger oder Sicherheitsbehörden. Die Nato-Länder und ihre Verbündeten koordinierten die Verteidigung.

«Gemeinsam erfolgreich» überschrieb das Verteidigungsdepartement (VBS) eine Medienmitteilung zum Thema. «Das Kommando Cyber konnte mit seiner Teilnahme an der Übung sowohl mit internationalen wie auch mit nationalen Partnern gleichzeitig zusammenarbeiten. So wurden Prozesse gefestigt, das Know-how ausgetauscht und neue Erkenntnisse gewonnen.» Dass beim virtuellen Krieg auch die Ukraine mit an Bord war, blieb in der Medienmitteilung unerwähnt.

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Nicht nur Cyberspezialisten der Armee nahmen an der Übung teil, auch Betreiber von kritischer Infrastruktur machten mit – IT-Experten der SBB etwa, der Post oder der Börsenbetreiberin SIX Group. 

Die Schweiz im Team mit Österreich und den USA

Ist es mit der Schweizer Neutralität vereinbar, wenn unsere Armee den Cyberkampf mit der Ukraine, einer Kriegspartei, trainiert? Zumal die Szenarien bittere Realität sind: Russland greift nicht nur die kritische Infrastruktur der Ukraine an, sondern lanciert zunehmend auch digitale Attacken auf westeuropäische Staaten, darunter die Schweiz.

Armee-Sprecher Stefan Hofer betont, dass es in Estland nicht zu einer «direkten» Zusammenarbeit mit den ukrainischen Experten kam. «Eine gleichzeitige, voneinander unabhängige Teilnahme der Schweiz und der Ukraine an einer internationalen Übung entspricht nicht einer militärischen Unterstützung einer Kriegspartei und ist mit der Neutralität der Schweiz vereinbar.» Die Schweiz bildete in Estland ein Team mit Soldatinnen und Soldaten aus Österreich und den USA.

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