Neue Entwicklung in Affäre um Corona-Leaks
Bund gab Laueners Mails zu Unrecht heraus

Der Bund hätte Sonderermittler Peter Marti nicht alle Mails von Berset-Sprecher Peter Lauener herausgeben dürfen. Zu diesem Schluss kommt jetzt eine Untersuchung des Finanzdepartements.
Publiziert: 19.04.2023 um 15:37 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2023 um 15:51 Uhr

Sonderermittler Peter Marti (72) bekam mehr, als er wollte. Und das auch noch zu Unrecht, wie sich nun herausstellt. Das Finanzdepartement (EFD) unter Bundesrätin Karin Keller-Sutter (59) hat bestätigt, dass das ihm unterstellte Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) nicht alle Mails von Peter Lauener (52), damals Sprecher von Gesundheitsminister Alain Berset (51), hätte herausgeben dürfen. Das berichtet Radio SRF am Mittwoch.

«Nach Einschätzung des Untersuchungsbeauftragten wäre eine Aussonderung der herausverlangten Elemente auf technischem oder allenfalls manuellem Weg datenschutzrechtlich nicht nur zulässig, sondern geboten gewesen», heisst es in der Stellungnahme des Finanzdepartements.

Dank Beifang zu neuen Vorwürfen

Es geht um die sogenannten Corona-Leaks. Lauener wird vorgeworfen, vertrauliche Informationen zur Pandemiebekämpfung an Ringier-CEO Marc Walder weitergeben zu haben. Ringier gibt auch den Blick heraus.

Sonderermittler Peter Marti hätte die Mails zur Corona-Leaks-Affäre nicht bekommen dürfen.
Foto: NZZ-Photographen-Team
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So kam es zu den Corona-Leaks

Februar 2020: Es wird bekannt, dass die Zuger Crypto AG jahrzehntelang manipulierte Chiffriermaschinen produzierte. Der US-amerikanische und der deutsche Geheimdienst konnten damit die halbe Welt ausspionieren. Auch der Schweizer Nachrichtendienst konnte mithören. Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) startet eine Untersuchung.

Oktober 2020: Tage bevor die Ergebnisse der Untersuchung hätten publiziert werden sollen, berichten «NZZ» und «Tages-Anzeiger» über die geheime Untersuchung der GPDel. Diese erstattet wenig später Anzeige bei der Bundesanwaltschaft (BA) – wegen Amtsgeheimnisverletzung.

September 2021: Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) setzt zur Klärung des Falls den pensionierten Oberrichter und ehemaligen Zürcher SVP-Kantonsrat Peter Marti (72) als Sonderermittler ein. Während der Ermittlungen stösst Marti auf die E-Mail-Korrespondenz zwischen Bersets damaligem Kommunikationschef Peter Lauener (52) und Ringier-CEO Marc Walder (57). Er bittet die AB-BA um Erlaubnis, die Crypto-Untersuchung auszuweiten. Die AB-BA gibt grünes Licht.

Mai 2022: Sonderermittler Marti nimmt Lauener vier Tage in Haft und befragt ihn. Auch Bundesrat Alain Berset (50) und Walder werden als Auskunftspersonen befragt.

Juni 2022: Peter Lauener tritt unvermittelt von seinem Amt zurück.

Juli 2022: Es kommt aus, dass Peter Marti gegen Lauener ein Strafverfahren führt – ebenso wie gegen zwei Mitarbeiter von Bundesrat Ignazio Cassis: Generalsekretär Markus Seiler (54) und Medienchef Michael Steiner. Seiler leitete bis Ende November 2017 den Nachrichtendienst.

September 2022: Lauener zeigt Marti an, er wirft ihm unter anderem Amtsmissbrauch vor. Zudem beantragt Lauener die Siegelung seiner E-Mails. Grund: Marti habe seine Ermittlungen unrechtmässig ausgeweitet. Zur Aufhebung der Siegelung läuft beim Berner Zwangsmassnahmengericht derzeit ein Verfahren.

Dezember 2022: Sonderermittler Peter Marti bekommt es wegen der Anzeige selber mit einem Sonderanwalt zu tun. Stephan Zimmerli muss nachforschen, ob Marti in seinen Untersuchungen zu weit gegangen ist.

14. Januar 2023: Die Zeitung «Schweiz am Wochenende» macht die Einvernahmeprotokolle Martis publik. Der Vorwurf: Peter Lauener soll Ringier-CEO Marc Walder laufend mit Informationen zu Corona-Massnahmen versorgt haben.

16. Januar 2023: Die Bundesanwaltschaft stellt bei der AB-BA den Antrag, wegen des Lecks einen dritten Sonderermittler einzusetzen. Er soll herausfinden, wer die Einvernahmeprotokolle und E-Mails aus Martis Verfahren der «Schweiz am Wochenende» zugespielt hat.

24. Januar 2023: Die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments eröffnen eine Untersuchung. Eine Arbeitsgruppe soll den Indiskretionen auf den Grund gehen – nicht nur im Innen-, sondern in allen Departementen. Tobias Ochsenbein und Lea Hartmann

Februar 2020: Es wird bekannt, dass die Zuger Crypto AG jahrzehntelang manipulierte Chiffriermaschinen produzierte. Der US-amerikanische und der deutsche Geheimdienst konnten damit die halbe Welt ausspionieren. Auch der Schweizer Nachrichtendienst konnte mithören. Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) startet eine Untersuchung.

Oktober 2020: Tage bevor die Ergebnisse der Untersuchung hätten publiziert werden sollen, berichten «NZZ» und «Tages-Anzeiger» über die geheime Untersuchung der GPDel. Diese erstattet wenig später Anzeige bei der Bundesanwaltschaft (BA) – wegen Amtsgeheimnisverletzung.

September 2021: Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) setzt zur Klärung des Falls den pensionierten Oberrichter und ehemaligen Zürcher SVP-Kantonsrat Peter Marti (72) als Sonderermittler ein. Während der Ermittlungen stösst Marti auf die E-Mail-Korrespondenz zwischen Bersets damaligem Kommunikationschef Peter Lauener (52) und Ringier-CEO Marc Walder (57). Er bittet die AB-BA um Erlaubnis, die Crypto-Untersuchung auszuweiten. Die AB-BA gibt grünes Licht.

Mai 2022: Sonderermittler Marti nimmt Lauener vier Tage in Haft und befragt ihn. Auch Bundesrat Alain Berset (50) und Walder werden als Auskunftspersonen befragt.

Juni 2022: Peter Lauener tritt unvermittelt von seinem Amt zurück.

Juli 2022: Es kommt aus, dass Peter Marti gegen Lauener ein Strafverfahren führt – ebenso wie gegen zwei Mitarbeiter von Bundesrat Ignazio Cassis: Generalsekretär Markus Seiler (54) und Medienchef Michael Steiner. Seiler leitete bis Ende November 2017 den Nachrichtendienst.

September 2022: Lauener zeigt Marti an, er wirft ihm unter anderem Amtsmissbrauch vor. Zudem beantragt Lauener die Siegelung seiner E-Mails. Grund: Marti habe seine Ermittlungen unrechtmässig ausgeweitet. Zur Aufhebung der Siegelung läuft beim Berner Zwangsmassnahmengericht derzeit ein Verfahren.

Dezember 2022: Sonderermittler Peter Marti bekommt es wegen der Anzeige selber mit einem Sonderanwalt zu tun. Stephan Zimmerli muss nachforschen, ob Marti in seinen Untersuchungen zu weit gegangen ist.

14. Januar 2023: Die Zeitung «Schweiz am Wochenende» macht die Einvernahmeprotokolle Martis publik. Der Vorwurf: Peter Lauener soll Ringier-CEO Marc Walder laufend mit Informationen zu Corona-Massnahmen versorgt haben.

16. Januar 2023: Die Bundesanwaltschaft stellt bei der AB-BA den Antrag, wegen des Lecks einen dritten Sonderermittler einzusetzen. Er soll herausfinden, wer die Einvernahmeprotokolle und E-Mails aus Martis Verfahren der «Schweiz am Wochenende» zugespielt hat.

24. Januar 2023: Die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments eröffnen eine Untersuchung. Eine Arbeitsgruppe soll den Indiskretionen auf den Grund gehen – nicht nur im Innen-, sondern in allen Departementen. Tobias Ochsenbein und Lea Hartmann

Mehr

Auf den Mailaustausch zwischen Lauener und Walder war Marti aber nur gestossen, weil das BIT ihm alle Mails lieferte, die Lauener jemals von seinem beruflichen E-Mail-Konto geschrieben hatte.

Angefordert hatte Marti die Mails von genau definierten sechs Wochen: vom 7. Oktober bis 15. November 2020. Zu diesem Zeitpunkt ermittelte Marti noch zu den Crypto-Leaks – eine weitere mutmassliche Amtsgeheimnisverletzung im Zusammenhang mit einer Chiffriermaschinen von einer Zuger Firma.

Persönlichkeitsrechte verletzt

Durch die Herausgabe aller Mails von Lauener habe das BIT die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt, so das EFD weiter. Strafrechtlich haben die BIT-Angestellten nichts zu befürchten, das Departement verzichtet auf rechtliche Schritte.

Es seien keine Hinweise gefunden worden, dass die zuständigen Mitarbeitenden «in schädigender Absicht handelten oder bewusst in Kauf nahmen, Vorschriften zu verletzen. Vielmehr gingen sie von einer falschen Einschätzung der Rechts- und Sachlage aus», so das EFD. Möglich bleiben gemäss SRF aber Disziplinarmassnahmen.

Zudem gelten im EFD ab sofort strengere Regeln für die Herausgabe von Mails. Unter anderem werde vor der Herausgabe künftig ein Vieraugenprinzip vorgesehen.

Strafverfahren unsicher

Mehr Auswirkungen dürfte das Ergebnis der Abklärung auf das laufende Strafverfahren gegen Lauener haben. Die widerrechtlich ausgehändigten E-Mails dürften wohl nicht verwendet werden dürfen, sagte Monika Simmler, Strafrechtsprofessorin an der Universität St. Gallen, zu SRF.

Auch der auf Datenschutzrecht spezialisierte Rechtsanwalt Martin Steiger geht davon aus, dass die Mails nun mit einer höheren Wahrscheinlichkeit vor Gericht nicht verwendet werden dürfen. «Wenn ich jetzt Verteidiger in diesem Fall wäre, würde ich sagen: Jackpot», so Steiger. (sf/SDA)


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