«Nicht haltbar»
Sogar Grüne Alt-Bundesrichterin kritisiert Klima-Urteil

Die Grüne Alt-Bundesrichterin Brigitte Pfiffner hat das Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) als «juristisch nicht haltbar» bezeichnet. Das Gericht mache Politik, statt die Menschenrechtskonvention auszulegen, sagte Pfiffner.
Publiziert: 19.05.2024 um 08:06 Uhr
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Aktualisiert: 20.05.2024 um 15:27 Uhr

Im Fall der Klimaseniorinnen gehe das EGMR in der Urteilsbegründung auf die zentralen Fragen kaum ein, sagte Pfiffner in einem am Sonntag publizierten Interview mit der «Sonntagszeitung». Die Zürcherin war während rund zehn Jahren Richterin am Bundesgericht.

Eine der Fragen laute, weshalb ein Verein beschwerdeberechtigt sei und in welchem Menschenrecht der Verein der Klimaseniorinnen verletzt sei. «Das wird im 138-seitigen Urteil auf nur elf Zeilen abgehandelt», sagte sie. Die Begründung habe gelautet, «weil die Sache wichtig ist», zitierte die ehemalige Bundesrichterin.

«Gericht untergräbt seine Glaubwürdigkeit»

Auch auf die Frage, inwiefern der Verein wegen der Schweizer Klimapolitik in seinem «Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens» eingeschränkt sei, finde sich keine überzeugende Antwort. «Es kann aus logischen Gründen auch gar keine geben: Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens kann nur einer natürlichen Person zukommen», sagte Pfiffner. 

Die Grüne Brigitte Pfiffner kritisiert das Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. (Archivbild)
Foto: GAETAN BALLY
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«Mit solch politisch gefärbten Urteilen untergräbt das Gericht seine Glaubwürdigkeit», sagte sie. In vielen Ländern sei das Ansehen des Gerichtshofs bereits am Sinken. In Deutschland, Österreich und England werde diskutiert, ob EGMR-Urteile noch als bindend betrachtet werden müssen oder bloss als Empfehlungen.

«Organisationen stellvertretend für betroffene Menschen»

Der Europäische Gerichtshof hatte im April zum ersten Mal über eine Klimaklage entschieden. Dabei war er zum Schluss gekommen, dass die Schweiz die Menschenrechtskonvention verletzt. 

«Von der Klimaveränderung werden viele Leute betroffen sein – wir alle», sagte der Schweizer Richter Andreas Zünd (67), der das Urteil mitverfasst hat, gegenüber dem Blick einige Tage nach der Urteilsverkündung. «Der EGMR geht davon aus, dass solche Organisationen stellvertretend für all die betroffenen Menschen stehen.» Der Staat habe die positive Verpflichtung, Leben und Gesundheit der Bürger zu schützen. «Auch das Nichthandeln kann eine Rechtsverletzung sein», so Zünd. 

Das Urteil sorgte in der Schweiz für gemischte Reaktionen. Nicht nur bürgerliche Politiker ärgerten sich über den Entscheid. Auch SP-Ständerat Daniel Jositsch (59) hat das Urteil kritisiert. Nun muss der Bundesrat entscheiden, wie er mit dem Entscheid des EGMR umgeht. Auch wenn das Gericht die Schweiz gerügt hat – es hat keine Massnahmen festgelegt, wie die Schweiz den Klimawandel bekämpfen muss.

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