So sieht das Homeschooling für die Zwillinge (14) aus
2:18
Alltag bei Nisha und Amani:So sieht das Homeschooling für die Zwillinge (14) aus

Nisha und Amani Bolliger (14) werden von ihrer Mutter unterrichtet
Diese Teenager haben noch nie ein Zeugnis erhalten

Sandra Bolliger-Kunz aus Aarau unterrichtete ihre vier Kinder zu Hause. Sie wehrt sich gegen den Vorwurf, Homeschool-Kinder seien isoliert oder weniger gemeinschaftsfähig als Kinder, welche die Regelschule besuchen.
Publiziert: 18.08.2022 um 00:44 Uhr
|
Aktualisiert: 18.08.2022 um 19:47 Uhr
Sophie Reinhardt

Der Schulweg der Zwillingsmädchen Nisha und Amani (14) ist kurz: vom Kinderzimmer im ersten Stock ins Parterre. Die beiden werden zu Hause von ihrer Mutter Sandra Bolliger-Kunz (53) unterrichtet. Dafür hat die Mutter den Kindern eigens ein Schulzimmer mit Arbeitsplätzen und vielen Büchern eingerichtet. Ein klassisches Zeugnis haben Nisha und Amani bisher nie erhalten.

Was veranlasste die Mutter von vier Kindern, diese selbst zu unterrichten? «Mir schien die Präsenzzeit an der Schule zu hoch, und so wäre mir zu wenig Zeit für das Familienleben übrig geblieben.» Ausserdem habe die älteste Tochter schon im Kindergartenalter gelernt zu lesen. «Da fand ich es schade, dass sie wieder von vorne hätte anfangen müssen in der ersten Klasse.»

Karriere muss warten

Homeschooling erlebte in den letzten Jahren besonders während der Pandemie einen Boom in der Schweiz. Immer mehr Familien behalten ihre Kinder zu Hause. «Mal schauen, wie viele Eltern dabei bleiben», sagt Bolliger-Kunz. Sie unterrichtet ihre Sprösslinge seit zwölf Jahren. Denn auch ihre älteren Zwillinge, heute 17 Jahre alt, unterrichtete sie bis zur obligatorischen Schulzeit vor wenigen Jahren selbst.

Sandra Bolliger-Kunz aus Aarau unterrichtet ihre beiden Töchter Nischa und Amani zu Hause.
Foto: Thomas Meier
1/5

Die Kinder selbst zu unterrichten, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Ihren Job als Flight Attendant übt Bolliger-Kunz nur noch sporadisch am Wochenende aus. Auf eine Berufskarriere müsse man verzichten, wenn man auf Privatunterricht setze, sagt die Mutter.

Jeden Morgen sitzt sie ab acht Uhr mit ihren Kindern im Schulzimmer und lernt mit ihnen. Im Sommer tut sie das auch mal auf der Gartenterrasse, oder vor der Pandemie auch mal im Ausland. «Am Nachmittag sind sie dann meist selbstständig am Lernen.»

Ihren beiden älteren Kinder hätten wegen des Homeschoolings und dem Fehlen eines anerkannten Zeugnisses keinen erschwerten weiteren Bildungsweg erlebt, sagt Bolliger-Kunz. So besucht Tochter Malin heute die Kanti. Dafür musste sie die Aufnahmeprüfung bestehen, ihr Bruder absolviert zurzeit eine KV-Lehre bei einer Grossbank.

Klassenlager trotz Hausunterricht

Es sei ein Vorurteil, dass Homeschool-Kinder isoliert oder weniger gemeinschaftsfähig seien, sagt die Mutter. «Im Umgang mit anderen Homeschooler-Familien konnte ich mich eher vom Gegenteil überzeugen.» Zudem seien ihre Kinder keineswegs abgeschottet, so besuchen die beiden 14-Jährigen die Pfadi, gehen jede Woche ins Karate-Training und in die Tanzstunde mit andern Gleichaltrigen.

Bolliger-Kunz hat auch keine Probleme damit, sich bei einigen Unterrichtsfächern Hilfe zu holen. So nahm sie mit der älteren Tochter Lateinstunden in der Migros-Klubschule. Zudem besuchte teilweise ein Student die Kinder, um sie in Geometrie zu unterrichten. Mehrmals pro Jahr besuchten sie mit anderen Homeschooler ein Chemie-Labor, um während einer Woche Experimente durchzuführen. Auch auf Klassenlager sollen ihre Kinder nicht verzichten: Vor der Pandemie reisten sie jedes Jahr gemeinsam mit anderen Homeschoolern in die Projektwoche.

Behördenbesuch im Heimunterricht

Ein Vorteil des Heimunterrichts sei, dass sie die Stärken ihrer Kinder viel besser fördern könne, findet Mutter Bolliger-Kunz. So bestand die beiden 14-jährigen Töchter gerade kürzlich das «Cambridge First Certificate in English» mit Bestauszeichung. Zudem könne sie das Lerntempo individuell bestimmen, und ein Thema so lange behandeln, bis es sitze. «Das Korsett des vorgegebenen Lehrplans muss ich meinen Kindern nicht antun.»

Einmal im Jahr besucht das Schulinspektorat die Familie. Dabei wird überprüft, ob die Mutter den Lehrplan einhält. Zudem verlangt der Kanton Aargau, dass die Mutter ihre Kinder einmal im Jahr befragt, ob sie wirklich nicht in die Regelschule gehen wollen. Darüber können Nisha und Amani lachen: «Wir vermissen nichts», sagen die beiden zu Blick.

Viele Kantone lassen diese Art von Unterricht gar nicht zu, wenn ein Elternteil nicht mindestens ausgebildeter Pädagoge ist. Das kann Familie Bollinger-Kunz nicht nachvollziehen: «Meine Aufgabe ist doch eine ganz andere als die einer Klassenlehrerin», so die Mutter. So müsse sie nur den Stoff vermitteln. Etwa eine ganze Klasse betreuen oder den Elternabende veranstalten, das müsse und wolle sie nicht.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?