Obwohl Spitäler dafür waren
Schweiz will keine Verwundeten aus Ukraine behandeln

Via Nato ist die Schweiz angefragt worden, Verletzte aus der Ukraine hierzulande zu behandeln. Die Schweiz sagte Nein – und das, obwohl Kantone und Spitäler nichts dagegen hatten.
Publiziert: 18.07.2022 um 12:12 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2022 um 15:46 Uhr

Die Ukraine braucht Hilfe bei der Verarztung verletzter Soldaten und Zivilpersonen. Sie hat andere Staaten angefragt, ukrainische Patientinnen und Patienten aufzunehmen, weil Spitäler im kriegsversehrten Land überlastet sind und viele medizinische Einrichtungen zerstört wurden.

Wie nun bekannt wird, wurde eine Anfrage auch an die Schweiz gestellt. Das berichtet der «Tages-Anzeiger». Bereits im Mai sei diese erfolgt – nicht direkt durch die Ukraine, sondern über ein Krisenzentrum der Nato, das die medizinischen Evakuierungen aus dem Kriegsgebiet koordiniert. Es geht nicht nur um verwundete Soldaten, sondern auch um verletzte Zivilisten oder um Personen, die nicht durch den Krieg, sondern beispielsweise wegen eines Unfalls eine Spitalbehandlung benötigen.

Der Bund lehnte ab. Und das, obwohl sich die Kantone laut «Tages-Anzeiger»-Recherchen dafür ausgesprochen hatten, ukrainische Patienten zu behandeln.

Pflegende kümmern sich um Verletzte im Spital in Winnyzja, gut 200 Kilometer südwestlich von Kiew.
Foto: keystone-sda.ch
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Drei Bundesräte waren involviert

Eingegangen ist die Anfrage laut der Zeitung beim Koordinierten Sanitätsdienst (KSD) der Armee. Daraufhin habe man sofort intensive Abklärungen eingeleitet, in die nebst dem Verteidigungsdepartement von Viola Amherd (60) auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) unter Alain Berset (50) und das Aussendepartement (EDA) von Ignazio Cassis (61) involviert gewesen seien.

Der Sanitätsdienst konsultierte zudem die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), da die Spitäler schliesslich Kantonssache sind. Lukas Engelberger (47), Basler Gesundheitsdirektor und GDK-Präsident, sagt, dass man an einer Sitzung am 19. Mai «grundsätzlich Offenheit für die Übernahme durch die Kantone beziehungsweise die Spitäler» gezeigt habe. Auch das BAG und der Koordinierte Sanitätsdienst sollen Bereitschaft signalisiert haben.

Bedenken wegen der Neutralität

Dass man der Nato schliesslich einen negativen Bescheid gab, lag am Aussendepartement. Es soll Mitte Juni in einer Stellungnahme festgehalten haben, dass es die Aufnahme aus juristischen sowie praktischen Gründen ablehne. Diese Beurteilung soll für den KSD ausschlaggebend gewesen sein.

Cassis' EDA argumentierte mit Neutralitäts-Bedenken. Die Genfer Konventionen, von der Schweiz ratifiziert, verbietet neutralen Staaten zwar nicht die Behandlung von Soldaten anderer Länder. In diesem Fall müssen sie aber dafür sorgen, dass diese nach ihrer Genesung «nicht mehr an Kriegshandlungen teilnehmen können». Dafür müsste die Schweiz die Soldaten allenfalls sogar inhaftieren. Eine Alternative – allerdings eine völlig unrealistische – wäre laut EDA, dass Russland die Rückkehr der genesenen ukrainischen Soldaten erlaubt.

Man will lieber vor Ort helfen

Zivilisten dürften zwar behandelt werden. Doch Johannes Matyassy (64), Direktor der Konsularischen Direktion im EDA, wendet ein: «Es ist fast unmöglich, Zivilisten von Soldaten zu unterscheiden. Im Moment nehmen in der Ukraine auch viele Zivilpersonen ein Gewehr in die Hand.»

Er unterstreicht, dass das EDA «nicht einfach Nein gesagt» habe, sondern die Absicht bestehe, vor Ort zu helfen. Man habe entschieden, dass die Humanitäre Hilfe des Bundes zivile Spitäler in der Ukraine unterstützen werde. Wann und in welchem Umfang, ist allerdings noch nicht beschlossen.

Der oberste Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger bedauert den Entscheid. «Aus humanitärer Perspektive wäre die Aufnahme von Zivilpersonen wünschenswert gewesen», sagt er.

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