Politologe Louis Perron über AHV-Initiative
«Es wird versucht, das linke Lager zu spalten»

Der Abstimmungskampf zur 13. AHV-Rente brandet heftig. Wie schlagen sich die beiden Lager? Politologe Louis Perron ordnet ein.
Publiziert: 29.01.2024 um 20:46 Uhr
Marc Bürgi
Handelszeitung

Laut den bisherigen Umfragen wäre die Initiative für eine 13. AHV-Rente im Januar angenommen worden. Hat die Ja-Kampagne bislang alles richtig gemacht?
Auf das Ergebnis dieser Umfragen darf man nicht vertrauen. Die Mehrheit könnte einfach ins Wanken geraten.

Anders gefragt: Schafft es die Gegenkampagne während der nächsten fünf Wochen, das Steuer herumzureissen?
Das ist absolut möglich. Denn es ist das übliche Muster: Initiativen schneiden bei Umfragen zu Beginn immer sehr gut ab. Die Zustimmung nimmt dann laufend ab.

Fehlt der Gegenkampagne ein Aushängeschild? Die Kampagne wird im Co-Präsidium von Melanie Mettler und Thomas Aeschi geleitet. Das ist kein Duo mit Strahlkraft.
Galionsfiguren sind hilfreich, denn Themen werden häufig über Köpfe wahrgenommen. Aber ein Aushängeschild für eine Kampagne zu haben, ist nicht alleine entscheidend. Das zeigt das Beispiel von Bundesrat Alain Berset: Berset engagierte sich sehr stark für die Altersvorsorge 2020, dennoch blieb die Vorlage damals chancenlos. 

Louis Perron ist Politologe und Politikberater mit Kunden im In- und Ausland.
Foto: Mirko Ries
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Artikel aus der «Handelszeitung»

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Welche Note geben Sie der Gegenkampagne auf einer Skala von eins bis sechs – wie gut macht sie ihre Arbeit?
Eine Fünf. Die Nein-Kampagne ist durchaus präsent, mir fallen beispielsweise Artikel auf, welche kritisch über das Argument der Altersarmut berichten. Dass solche Beiträge erscheinen, ist kein Zufall. Auch wird versucht, das linke Lager zu spalten. Dies ist eine klassische Strategie. So sprach sich der ehemalige Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber, ein SP-Politiker, öffentlich für ein Nein-Votum aus. Die Gegenkampagne profitiert auch vom Charakter der Schweiz. Es ist ein bürgerliches Land. Das bürgerliche Lager ist bei Abstimmungen strukturell im Vorteil.

Ist die Ausgangslage für das Nein-Lager wirklich vorteilhaft? Die AHV ist eine populäre Institution, und die steigenden Lebenshaltungskosten machen vielen Menschen Sorgen.
Mehr Rente zu erhalten, ist eine verlockende Perspektive – und so überrascht es mich nicht, dass das Anliegen viel Zustimmung findet. Und die Botschaft – eine zusätzliche Rente – ist sehr verständlich. Aber eine Vorlage ist nur so gut wie das schwächste Glied in der Argumentationskette. Die Nein-Kampagne muss lediglich die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt lenken.

Und welches ist das schwächste Glied?
Die Finanzierung. Die Vorlage klingt super, aber wer sie bezahlen soll, bleibt offen. Herr und Frau Schweizer haben bei Abstimmungen immer auch das Gemeinwohl im Blick, sie lassen sich nicht ausschliesslich durch Eigeninteressen lenken.

Darum geht es bei den AHV-Initiativen

Am 3. März kommt es zum Renten-Showdown an der Urne. Dann entscheidet das Stimmvolk gleich über zwei AHV-Initiativen: einerseits über die Volksinitiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente. Andererseits über die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen.

Die Volksinitiative der Gewerkschaften «für ein besseres Leben im Alter» verlangt die Einführung einer 13. AHV-Rente. Bei einem Ja gibt es zu den bisherigen zwölf Monatsrenten quasi einen 13. Monatslohn für Seniorinnen und Senioren hinzu.

Die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen will das Rentenalter erhöhen. Zuerst soll es bis 2033 schrittweise von 65 auf 66 Jahre steigen und anschliessend an die Lebenserwartung gekoppelt werden: Pro Monat zusätzlicher Lebenserwartung soll es um 0,8 Monate rauf – auf 67, 68 oder mehr. Automatisch.

Details zu beiden Initiativen findest du hier.

Shutterstock

Am 3. März kommt es zum Renten-Showdown an der Urne. Dann entscheidet das Stimmvolk gleich über zwei AHV-Initiativen: einerseits über die Volksinitiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente. Andererseits über die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen.

Die Volksinitiative der Gewerkschaften «für ein besseres Leben im Alter» verlangt die Einführung einer 13. AHV-Rente. Bei einem Ja gibt es zu den bisherigen zwölf Monatsrenten quasi einen 13. Monatslohn für Seniorinnen und Senioren hinzu.

Die Renten-Initiative der Jungfreisinnigen will das Rentenalter erhöhen. Zuerst soll es bis 2033 schrittweise von 65 auf 66 Jahre steigen und anschliessend an die Lebenserwartung gekoppelt werden: Pro Monat zusätzlicher Lebenserwartung soll es um 0,8 Monate rauf – auf 67, 68 oder mehr. Automatisch.

Details zu beiden Initiativen findest du hier.

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Tauchen wir ins Politmarketing ein: Mit welchem Slogan würden Sie gegen die Initiative werben?
Die Kosten sind der springende Punkt, ein guter Claim lautet daher: super Idee. Wer bezahlt? Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind offen für eine rationale Argumentation. Die Nein-Kampagne muss nun Zweifel an der Initiative streuen. 

Welche Zweifel meinen Sie?
Dass die Vorlage zu teuer ist und die Falschen davon profitieren würden.

Welche Landesteile werden beim Abstimmungsergebnis entscheidend sein?
Die Deutschschweiz, denn die Initiative könnte auch am Nein der Stände scheitern, wenn die Vorlage nicht von der Mehrheit der Kantone angenommen wird. Und die «Wackel»-Kantone, wo das Resultat besonders knapp ausfallen dürfte, befinden sich alle in der Deutschschweiz. Die Deutschschweizer Landkantone stimmen in der Regel bürgerlich ab.

Und welche Generation gilt es zu überzeugen?
Die Argumentation muss je nach Altersgruppe unterschiedlich sein. Die Jungen stimmen aber häufig nicht ab. Wahrscheinlich ist es deshalb einfacher, ältere Stimmbürger zu überzeugen, als die Jungen zu mobilisieren.

Wie lauten Ihre auf die beiden Altersgruppen abgestimmten Argumente?
Bei den Jungen sollte der Fokus auf den Kosten liegen, weil sie den Ausbau der AHV grösstenteils finanzieren würden. Bei den älteren Generationen würde ich an die Vernunft appellieren: dass viele unter ihnen auf die zusätzliche Rente gar nicht angewiesen sind.

Wir finden: Die grossen Wirtschaftsverbände sind im Abstimmungskampf bislang nicht gross in Erscheinung getreten. Teilen Sie diesen Eindruck?
Es kann durchaus sein, dass sie im Hintergrund aktiv sind. Das weiss ich aber nicht. 

Halten sich einige Verbände zurück, weil die Vorlage in der eigenen Basis Sympathie findet, beispielsweise der Gewerbeverband?
Nein. Dann würden sie in erster Linie versuchen, ihre eigene Basis zu überzeugen. Die Vorlage ist zu bedeutend. Die Verbände können sie nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Der Bundesrat empfiehlt ein Nein, zuständig ist die neue Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider. Wie wichtig ist ihre Rolle in diesem Abstimmungskampf?
Sie befindet sich in einer schwierigen Lage, weil sie persönlich die Initiative wohl befürwortet. Zudem hat sie das Departement erst vor einem Monat übernommen. Sich für eine Position contre coeur zu engagieren, die sie überdies nicht selbst vorbereitet hat, ist nicht einfach. Dem bürgerlichen Lager kommt es entgegen, dass eine SP-Bundesrätin anders als ihre eigene Partei ein Nein empfiehlt.

Die Gegenkampagne hat das grössere Budget. Wie wichtig ist Geld in diesem Abstimmungskampf?
Es ist natürlich ein wichtiger Faktor, es ermöglicht Präsenz und Sichtbarkeit in den Medien. Aber Geld allein ist nicht entscheidend.

Und wie wichtig sind die sozialen Medien?
Die Bedeutung wird überschätzt, die soziale Medien tragen höchstens dazu bei, die eigene Basis zu mobilisieren. Von der Effizienz von sozialen Medien im Wahl- und Abstimmungskampf schwärmen in der Regel nur Leute, die damit den eigenen Lebensunterhalt verdienen. Um Abstimmungen zu gewinnen, muss man die Menschen überzeugen, und das geschieht nicht auf Facebook oder X. Zudem sind die älteren Generationen, die am fleissigsten abstimmen gehen, auf Social Media nicht besonders aktiv. Das Fernsehen ist für diese Altersgruppe viel wichtiger.

Welche Fallstricke müssen die Befürworterinnen und Gegner in den nächsten Wochen vermeiden?
Ich warne vor Polemik. Das Stimmvolk ist offen für rationale Argumente, auf dieser Ebene sollten sich die beiden Kampagnen bewegen. Sie müssen den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe begegnen.

Wie lautet Ihre Prognose für das Resultat?
Es wird ein knapper Entscheid. Wenn ich das letzte Hemd verwetten müsste, würde ich auf ein Nein setzen. Sogar wenn eine Mehrheit ein Ja in die Urne wirft, könnte die Initiative am Ständemehr scheitern, falls eine Mehrheit der Kantone für ein Nein stimmt.

Louis Perron ist Politologe und Politikberater mit Kunden im In- und Ausland. Er führt seit 2007 seine Politikberatungsfirma Perron Campaigns in Zürich und nimmt zudem Lehraufträge an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und an der Universität Zürich wahr. 

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