Rechtskommission will Klimaurteil ignorieren – Grünen Präsidentin Mazzone ärgert sich
«Einige Ständeräte haben den Sinn für den Rechtsstaat verloren»

Die Präsidentin der Grünen, Lisa Mazzone kritisiert den Entscheid der Ständeratskommission, das Klima-Urteil des EGMR zu ignorieren. Die Richterinnen machen keine Politik, sagt sie im Interview mit Blick.
Publiziert: 22.05.2024 um 11:28 Uhr
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Aktualisiert: 22.05.2024 um 14:44 Uhr
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Sophie ReinhardtRedaktorin Politik

Die Schweiz soll sich vom Sieg der Klima-Grosis vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg nicht beeindrucken lassen. Das fordert die Rechtskommission des Ständerats am Dienstag. Die Kommission für Rechtsfragen unter Präsident Daniel Jositsch (59) will, dass das Parlament eine entsprechende Erklärung verabschiedet. Diese Entscheidung lässt die Präsidentin der Grünen, Lisa Mazzone (36), nicht kalt.

Blick: «Es ist ein historischer Sieg», sagten Sie direkt nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nachdem dieser die Schweiz gerügt hatte. Sind Sie nun ernüchternd?
Lisa Mazzone: Der historische Sieg bleibt, denn das Urteil gilt: Das Recht auf gesunde Umwelt ist ein Menschenrecht und muss vom Bundesrat umgesetzt werden. Das Urteil hat damit auch eine Auswirkung auf alle Länder im Europarat. Wenn jetzt einige Ständeräte der Rechtskommission den Sinn für die Gewaltentrennung und den Rechtsstaat verloren haben und ein bisschen trötzeln müssen, ändert das eigentlich nichts an der Verpflichtung der Schweiz gegenüber der Bevölkerung.

«Es ist ein historischer Sieg»
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Lisa Mazzone (36):«Es ist ein historischer Sieg»
«Wenn jetzt einige Ständeräte der Rechtskommission den Sinn für die Gewaltentrennung verloren haben, ändert eigentlich nichts an der Verpflichtung der Schweiz gegenüber der Bevölkerung», sagt Lisa Mazzone, Präsidentin der Grünen.
Foto: keystone-sda.ch
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Selbst die grüne Alt-Bundesrichterin Brigitte Pfiffner sagte kürzlich: «Mit solch politisch gefärbten Urteilen untergräbt das Gericht seine Glaubwürdigkeit.»
Nein, das stimmt nicht. Die Richterinnen machen keine Politik. Und das muss Brigitte Pfiffner auch aus der Erfahrung wissen. Aber die Urteile haben politische Konsequenzen, namentlich, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht. Und jetzt ist es Zeit für die politischen Konsequenzen. 

Mit Daniel Jositsch hält sogar ein Sozialdemokrat den Richterspruch von Strassburg für «ausserordentlich gefährlich». Selbst Linke kritisieren das Urteil.
Ich finde das überraschend, dass eine Kommission mit so vielen Anwälten die Gewaltentrennung nicht versteht. Was klar ist: Unser Engagement beim Klimaabkommen von Paris, also dass das Klima sich nicht mehr als 1,5 Grad erhöht, erreichen wir mit der aktuellen Schweizer Klimapolitik nicht. Und ja, ein Gerichtshof ist keine Verlängerung des Parlaments. Ein Urteil ist nicht dazu da, der Mehrheit zu gefallen. Es ist auch nicht das erste Mal, dass die Schweiz verurteilt wird. Das passiert regelmässig. Vor kurzem gab es eine Entscheidung über die Witwerrente. Das hat dazu geführt, dass der Bundesrat eine Vorlage erarbeitet hat, und jetzt läuft eine Vernehmlassung. Aber wenn es ums Klima geht, gibt es einen grossen Aufschrei.

Diese Reaktionen gibt es allerdings auch in der Bevölkerung: Wie möchten Sie denn Klimamassnahmen umsetzen, damit sie von der Bevölkerung mitgetragen werden?
Die Stimmbevölkerung hat vor einem Jahr das Klimaschutzgesetz sehr deutlich angenommen. Aber die bürgerliche Politik scheitert oft, wenn es darum geht, von den Worten zu Taten überzugehen. Darum müssen für die wichtigen Bereiche wie der Finanzplatz, Rohstoff oder Flugverkehr griffige Klimamassnahmen umgesetzt werden. Auch der Bundesrat muss wieder über die Bekämpfung bzw. den Schutz vor der Klimaerwärmung sprechen. Seit Umweltminister Albert Rösti im Amt ist, hat man wenig von ihm darüber gehört. Ich gehe davon aus, dass es für den Bundesrat keine Frage ist: Nach dem Urteil kommt die Umsetzung. Diese müssen im Rahmen der direkten Demokratie diskutiert werden. 

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