Schweizer Notfall-Netz ist veraltet und instabil – Experten schlagen Alarm
«Das ist ein riesiges Sicherheitsrisiko»

Die Erneuerung des Notfallfunk für Polizei und Feuerwehr kommt nur schleppend voran. Das berge grosse Gefahren, warnen Experten und Politikerinnen.
Publiziert: 01.05.2022 um 17:30 Uhr

Polizei, Feuerwehr oder Ambulanzen müssen auch in einer Notlage immer miteinander kommunizieren können, auch wenn das Telefonnetz zusammenbricht. Dazu bauen Bund und Kantone seit Ende der 90er-Jahre das Polycom-Netz auf. Dieses besteht aus über 750 Sendemasten, notstromversorgt, verteilt im ganzen Land. Doch das schweizweite Sicherheitsfunknetz ist veraltet und instabil. Nun schlagen Sicherheitspolitikerinnen Alarm.

«Das ist ein riesiges Sicherheitsrisiko», sagt etwa die Grüne Marionna Schlatter (41) zur «NZZ am Sonntag». Die SP-Nationalrätin Franziska Roth (56) kritisiert das zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs), dieses rede die «massiven Probleme klein und wirkt überfordert».

Auch eine Präsentation der Polizeidirektorenkonferenz und der Blaulichtorganisationen zuhanden der sicherheitspolitischen Kommissionen im Parlament benennt Probleme beim zuständigen Amt. «Trotz klarem Auftrag kommt das Projekt nicht voran», heisst es darin. Gemäss Zeitplan müsste der Bundesrat bereits nächstes Jahr über das weitere Vorgehen entscheiden, damit das Parlament über das Projekt 2024 oder 2025 entscheiden kann.

Seit Jahren will die Schweiz ihr Funk-System der Blaulichtorganisationen erneuern.
Foto: Keystone
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«Wenig Fortschritt»

Doch davon scheint man weit entfernt. «Wir sehen viel zu wenig Fortschritt», sagt Norman Gobbi (45). Der Präsident der ständerätlichen Sicherheitskommission teilte darum der zuständigen Bundesrätin Viola Amherd (59) in einem Brief seine «grosse Sorge» über den Stand des Projekts mit.

Das zuständige Bundesamt wehrt sich gegen die Vorwürfe. Man tue alles, damit es vorwärtsgehe mit der Erneuerung des Notfall-Funks, heisst es dort. Die Direktorin Michaela Schärer will gar eine Reorganisation durchführen, damit das Grossprojekt in ihrem Amt angepackt werden kann.

Inzwischen hat sich auch Amherd zum Funk-Flop zu Wort gemeldet. Die erfolgreiche Durchführung der aktuellen Projekte im Babs sei «unabdingbar für die Sicherheit unseres Landes» schrieb sie gemäss «NZZ am Sonntag» an die ständerätliche Sicherheitskommission. Deshalb werde der Bund «alles daransetzen», sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Pilotprojekte geplant

Gemäss Angaben des Bundes läuft seit Ende 2021 ein Polycom-Pilotprojekt im Kanton Aargau, bei dem verschiedene Softwareprobleme festgestellt wurden. Davon habe eine Vielzahl behoben werden können. Im Mai beginnt der zweite Pilotversuch im Kanton Bern. Ein aktualisierter Plan, wann weitere Kantone folgen, soll im Mai vorliegen. Gemäss Babs bleibt es das Ziel, bis Ende 2024 alle Basisstationen und Komponenten zu migrieren.

2016 hatte die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats einen Kredit von 159,6 Millionen Franken für den Werterhalt des schon in die Jahre gekommenen Funksystems einstimmig angenommen. Doch seit dem harzt es mit der Erneuerung des Systems, welches im Falle eines Blackouts die Kommunikation garantieren soll.

So wurden beispielsweise die hohen Sicherheitsanforderungen unterschätzt. Weiter wurde die Erneuerung des Netzes auch durch einen Rechtsstreit blockiert. Die beiden sich mehrheitlich in Staatshand befindenden Konzerne Axpo und Swisscom stritten vor dem Bundesverwaltungsgericht um einen Auftrag zur Modernisierung eines wichtigen Polycom-Teilnetzes. (sie)

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