Sicherheitsexperte Brian G. Carlson
Das sind die Folgen des russischen Angriffs für die Welt

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Folgen für die kommenden Jahre. Die Einigkeit des Westens ist notwendig, um nicht nur Russland anzusprechen, sondern auch China.
Publiziert: 05.03.2022 um 15:56 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2022 um 15:13 Uhr
Brian G. Carlson*

Russlands Einfall in die Ukraine hat tiefgreifende Konsequenzen für die kommenden Jahre. Dabei verdienen mehrere Aspekte besondere Aufmerksamkeit: der Kriegsverlauf selbst, die Reaktion des Westens und Chinas Entscheidung darüber, wie viel Unterstützung es Russland anbietet.

Die russische Invasion hat in der Ukraine bereits enormes Leid verursacht. Leider wird sich die Situation in den kommenden Tagen wohl noch weiter verschlimmern. In der Anfangsphase verliefen die militärischen Operationen Russlands nicht so reibungslos wie geplant. Putins wahrscheinlichste Antwort wird darin bestehen, die Brutalität der Militäroperationen zu intensivieren. Die USA und ihre Nato-Verbündeten haben nicht die Absicht, in der Ukraine militärisch einzugreifen. Denn damit würden sie einen Krieg mit Russland riskieren, das über ein umfangreiches Nukleararsenal verfügt, mit dessen Einsatz Putin gedroht hat. Russlands Vorteile bei Boden-, Luft- und Seemacht stellen sicher, dass die russischen Streitkräfte eine überwältigende Feuerkraft gegen die Ukraine einsetzen könnten. Das Resultat wäre eine grosse Anzahl ziviler Opfer.

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Mithilfe militärischer Brutalität wird Putin wohl bald die Kontrolle über die ganze Ukraine übernehmen.
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Putins Strategie ist nicht nachhaltig

Solche brutalen militärischen Mittel könnten es Russland ermöglichen, die Kontrolle über die ganze Ukraine zu übernehmen, mit Ausnahme vielleicht des Westens des Landes. Das Problem für Putin ist jedoch, dass dies nicht nachhaltig ist. Sollte es Russland gelingen, in Kiew eine loyale Regierung einzusetzen, würde der heftige Widerstand der ukrainischen Bevölkerung den Abzug der russischen Streitkräfte verunmöglichen. Russland müsste die Ukraine langfristig besetzen, was wiederum zu einem Aufstand führen könnte. Je länger der Krieg und die anschliessende Besetzung andauern und je mehr Verluste die russischen Streitkräfte erleiden, desto grösser könnte die innere Unzufriedenheit in Russland werden. Wenn die Opposition im Inland stark genug wird, könnte sie Putins Machterhalt gefährden. Sein Sturz ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Doch solange er an der Macht bleibt, sind die Aussichten in diesem Krieg für die Ukraine düster.

Putins Angriff gegen die Ukraine hat die Einigkeit im Westen gefördert. Nach der Invasion handelten die westlichen Länder schnell und verhängten Strafsanktionen gegen die russische Wirtschaft. Die russischen Aktienmärkte brachen zusammen, der Wert des Rubels stürzte ab. In einer verblüffenden Umkehrung der jüngsten Politik hat Deutschland das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 aufgegeben und für die Umsetzung eines grossen Aufrüstungsprogramms gestimmt. Die Schweiz hat sich den EU-Sanktionen angeschlossen. Mit massiven Demonstrationen in Grossstädten haben Menschen im ganzen Westen eine klare Botschaft geschickt und den russischen Angriff verurteilt. Eine solche westliche Einheit wird in der voraussichtlich langen Auseinandersetzung mit Russland von entscheidender Bedeutung sein.

Einigkeit im Westen ist auch ein Zeichen für China

Die Einigkeit des Westens ist notwendig, um nicht nur Russland anzusprechen, sondern auch China – die aufstrebende Supermacht, die in den letzten Jahren die Beziehungen zu Russland gestärkt hat. Russlands Einmarsch in der Ukraine wird China zwingen, gewichtige Entscheidungen über seine strategische Ausrichtung zu treffen. China und Russland eint der Wunsch, die Macht der USA zu begrenzen und die Weltordnung zu revidieren. Anfang Februar erklärten Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping, dass die Partnerschaft ihrer Länder «keine Grenzen» kenne. China profitiert von Russlands Fähigkeit, die Vereinigten Staaten abzulenken, indem es die europäische Sicherheitsordnung infrage stellt. Offenbar lehnte China die Aufforderung der USA ab, Druck auf Russland auszuüben, nicht in die Ukraine einzumarschieren.

Trotz der Vorteile, die China aus seinen Beziehungen zu Russland zieht, geben die russische Invasion in der Ukraine und ihre Folgen Chinas Führung Anlass zur Sorge. Der Einmarsch verletzte ein wichtiges Prinzip der chinesischen Aussenpolitik: die Unterstützung der staatlichen Souveränität und territorialen Integrität. China hat darauf verzichtet, die russische Invasion zu unterstützen, aber es hat sich Russland insofern angeschlossen, als dass es die westliche Politik, insbesondere die Nato-Erweiterung, für die Krise verantwortlich machte. Wenn China Russland Wirtschaftshilfe leistet, könnte es sich einer weltweiten Verurteilung und möglicherweise sekundären Sanktionen gegen seine eigene Wirtschaft aussetzen. Die Sanktionen, mit denen Russland jetzt konfrontiert ist, könnten China auch vor den Kosten warnen, die es für zukünftige Angriffe haben könnte – beispielsweise gegen Taiwan.

Die Gefahr zweier verhärteter Fronten

China könnte die Gelegenheit nutzen, um sich von Russland zu distanzieren, und versuchen, die Spannungen mit den USA und anderen Rivalen abzubauen. Wenn es stattdessen beschliesst, seine Partnerschaft mit Russland zu verstärken, dürfte die internationale Politik zunehmend zu einer Rivalität zwischen zwei Blöcken verkommen: einem, der aus den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten und Partnern besteht, und einem anderen, der sich auf China konzentriert, mit Russland als Hauptpartner.

* Brian G. Carlson ist Leiter des Global Security Teams am Center for Security Studies der ETH Zürich

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