SP will Landesregierung umkrempeln
«Es braucht junge Mütter im Bundesrat!»

In der Schweiz gab es noch nie eine Bundesrätin mit kleinen Kindern. Die SP will das ändern.
Publiziert: 06.11.2022 um 00:43 Uhr
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Aktualisiert: 07.11.2022 um 21:03 Uhr
Camilla Alabor und Danny Schlumpf

Für Tamara Funiciello (32) ist die Sache klar. «Es braucht junge Mütter im Bundesrat!», sagt die Berner Nationalrätin und Präsidentin der SP-Frauen. «Nur so geht es vorwärts mit der Gleichstellung.»

Damit sorgt Funiciello für Zündstoff in der Debatte um die Nachfolge von Simonetta Sommaruga (62). Bislang waren alle Bundesrätinnen entweder kinderlos – oder ihre Kinder waren erwachsen oder im Teenager-Alter.

Die fehlende Repräsentation im Bundesrat sei schlecht für die Frauen, sagt Funiciello: «Es ist kein Wunder, dass junge Mütter in der Schweiz immer noch benachteiligt sind – bei der Arbeit, der Aufteilung der Haushaltsarbeit, der Kinderbetreuung.» Diese Themen hätten im Bundesrat bisher nicht zuoberst auf der Prioritätenliste gestanden. «Junge Mütter wären eine Bereicherung für die Landesregierung, weil ihre Realität eine andere ist.»

Kinder im Bundeshaus? Abgesehen von Bundesrat Alain Berset (im Bild) und Ueli Maurer sind sämtliche Bundesräte kinderlos.
Foto: Keystone
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Es gibt viele entsprechende Kandidatinnen

Unterstützung erhält sie von SP-Nationalrätin Samira Marti (28). «Es würde der Schweiz guttun, wenn Mütter mit kleinen Kindern im Bundesrat sind», sagt die Baselbieterin. «Man sieht im Ausland, dass es möglich ist, als junge Mutter Premierministerin zu sein.»

Auf Eva Herzog (60) trifft dies nicht zu. Die Ständerätin und langjährige Basler Regierungsrätin gilt als pragmatische Politikerin – und Favoritin für Sommarugas Nachfolge. Doch eine junge Mutter ist sie definitiv nicht: Ihre beiden Söhne sind bereits erwachsen.

Unter den anderen potenziellen Kandidatinnen gibt es hingegen eine stattliche Zahl junger Mütter. Allen voran die Berner Nationalrätin Flavia Wasserfallen (43). Ihre Kinder sind sechs, zehn und 14 Jahre alt. Wasserfallen geht mit ihnen regelmässig ins Fussballstadion, nimmt sie aber auch mal an eine Klimademo mit.

Bis zu ihrem Antritt als Nationalrätin teilten sich Wasserfallen und ihr Partner die Kinderbetreuung auf. «Jetzt übernimmt er definitiv mehr Aufgaben», sagte sie vor drei Jahren. «Die Vereinbarkeit ist bei vielen Familien ein Dauerthema.» Ob sie als Bundesrätin in die Debatte eingreifen will, entscheidet Wasserfallen frühestens kommende Woche.

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Bundesrat ist mehr als ein Vollzeitjob

Als weitere Kandidatin gilt Pascale Bruderer (45), ehemalige Aargauer Ständerätin und Mutter zweier schulpflichtiger Töchter. Amélie (8) will Automechanikerin werden. Ihre Mutter freut dieser Bruch mit den Rollenbildern. Nach ihrem Rücktritt aus dem Ständerat wurde Bruderer Unternehmerin – und sagte: «Bundesräte leben fast ausschliesslich für die Politik, so ein Leben kann ich mir nicht vorstellen.» Vielleicht sieht das nun anders aus. Bruderer wird am Dienstag informieren, ob sie kandidieren will.

Für das SP-Ticket kommt auch die Berner Regierungsrätin Evi Allemann (44) infrage. Ihr Name wird seltener genannt, was zur stillen Schafferin passt. Seit 2018 leitet die Mutter zweier Kinder im Schulalter die Berner Justizdirektion. In ihrem Büro an der Münstergasse hängt eine Zeichnung ihrer Tochter. «Familienbande sind mir wichtig», liess Allemann vor einigen Jahren die Öffentlichkeit wissen. «Ich versuche abends sehr oft, zu Hause zu sein.» Obwohl das als Bundesrätin schwierig werden dürfte, schliesst Allemann eine Kandidatur nicht aus.

Sicher ist: Bundesrat ist mehr als ein Vollzeitjob. Die Arbeitstage sind intensiv und um 19 Uhr oft noch lange nicht zu Ende. Häufig sind Bundesrätinnen auch abends und am Wochenende unterwegs.

Just deswegen hat sich Mitte-Ständerat Pirmin Bischof (63) vor sechs Jahren gegen eine Kandidatur entschieden. Seine Partei suchte damals eine Nachfolge für Bundesrätin Doris Leuthard (59). Bischof wollte von Innenminister Alain Berset (50) im Gespräch erfahren, wie dieser Familie und Beruf unter einen Hut bringe. Die Antwort hat ihn offenbar abgeschreckt. Bischof kam zum Schluss, «dass ein Amt als Bundesrat für mich und meine Familie nicht infrage kommt. Das Opfer wäre zu gross gewesen.» Stattdessen wurde er im Sommer nun zum dritten Mal Vater.

«Eine Bundesrätin mit jungen Kindern würde uns freuen»
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Wermuth über Kandidaten:«Eine Bundesrätin mit jungen Kindern würde uns freuen»

«Man sieht seine Familie nicht mehr»

Der Appenzeller Ständerat Andrea Caroni (42) – er ist Vater von zwei Kindern – sieht das ähnlich. Als Mitarbeiter des ehemaligen Bundesrats Hans-Rudolf Merz (79) hat er gesehen, wie wenig Freizeit den Mitgliedern der Landesregierung bleibt. «Merz pflegte zu sagen, er habe pro Woche eine halbe Stunde Freizeit – am Sonntagmorgen», erinnert sich Caroni. Für ihn sei es deshalb ausgeschlossen, mit kleinen Kindern ein solches Amt auszuüben. «Egal, ob Mann oder Frau: Man sieht seine Familie nicht mehr.»

Ein Mitarbeiter aus dem Umfeld eines Bundesrats widerspricht. Es sei schon möglich, Familie und Amt unter einen Hut zu bringen. Aber: «Man muss sich extrem gut organisieren und klare Grenzen setzen.» Das heisst, pro Woche vielleicht nur an einen statt an drei Anlässe zu gehen. «Allerdings kann das schnell als mangelndes Engagement ausgelegt werden», räumt der Insider ein.

Doch es ist nicht nur die hohe Arbeitslast, die Eltern vor Probleme stellt. Bei jungen Müttern käme hinzu, dass sie als Bundesrätinnen gegen das noch immer verbreitete Rollenbild verstossen: Der Platz der Frau ist zu Hause bei den Kindern. «Die erste junge Mutter, die Bundesrätin ist, wird unter extremer Beobachtung stehen», sagt Soziologin Katja Rost (46). Sie ist sich sicher: «Der Vorwurf, sie sei keine gute Mutter, wird schnell kommen.» Eine solche Magistratin brauche auf jeden Fall eine dicke Haut.

Parteiinterner Widerstand

Zumindest das Problem der Arbeitslast sei lösbar, findet SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (36). «Wir müssen uns darüber unterhalten, wie man das Amt so gestalten kann, dass neben dem Beruf ein Privatleben möglich ist», sagt der Aargauer. Er schlägt vor, die Anzahl Bundesräte auf neun zu erhöhen oder gewisse Departemente, die sehr gross sind, neu aufzuteilen.

Junge Mütter an die Macht? Ein Selbstläufer ist das nicht. Widerstand kommt aus den SP-Reihen selbst. Ständerat Daniel Jositsch (57), der seit Jahren auf das Bundesratsamt schielt, fühlt sich dermassen brüskiert, dass er ein reines Frauen-Ticket offen als «Diskriminierung» bezeichnet.

Applaus gibts dafür von SVP-Präsident Marco Chiesa (48) – bei Jositschs Genossinnen sorgt diese Aussage für Stirnrunzeln.

Sie sehen die Diskriminierung an einem ganz anderen Ort. Bei den jungen Müttern zum Beispiel.

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