Spitex will mehr Geld
Streit um Kinderpflege-Kosten eskaliert

Die Kinderspitex fordert vom Bund mehr Geld für ihre Leistungen. Doch dieser will die Tarife nicht erhöhen. Nun kommts zum Knall.
Publiziert: 05.07.2023 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 05.07.2023 um 06:56 Uhr
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Dreimal wurde Giana (1) in ihrem kurzen Leben schon operiert. Das Mädchen hat eine zu weiche Luftröhre und eine nicht durchgehende und zu enge Speiseröhre. Sie musste beatmet und künstlich ernährt werden. Trotzdem konnte sie schnell nach Hause. Dabei half die Kinderspitex: Zwei bis vier Stunden pro Tag ist eine Mitarbeiterin da und pflegt das Mädchen, schreibt das «Spitex Magazin».

Rund 2600 schwerkranke Kinder wie Giana werden von der Spitex gepflegt. Für Kinder mit Geburtsgebrechen zahlt die Invalidenversicherung (IV) – allerdings deckt dieser Tarif nicht alle Kosten. Schon länger streitet sich die Spitex mit der IV darum über die Abgeltung. Nun kommts zum Knall: Die Spitexverbände kündigen den IV-Tarifvertrag auf Ende Jahr.

Streit um 30 Franken

Aus Sicht der Spitex erhalten die Pflegerinnen und Pfleger zu wenig Geld. «Der aktuelle Tarif liegt bei 114.96 Franken pro Stunde. Wir bräuchten jedoch 145 Franken», sagt Marianne Pfister, Co-Geschäftsführerin des Dachverbands Spitex Schweiz. 30 Franken sind also ungedeckt. Bis jetzt übernehmen Kantone und Gemeinde diese Differenz. Letztere seien dazu aber nicht verpflichtet, da die IV die gesamten Kosten abdecken müsse, sagt Pfister. Der Verband warnt: Sollte es die Kinderspitex nicht mehr geben, «hätte die Schweiz ein grosses Problem bei der Versorgungssicherheit der schwerkranken und sterbenden Kindern».

Die Spitex kümmert sich um schwerkranke Kinder, damit sie zu Hause leben können.
Foto: Natalie Melina Fotografie
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Im Kern geht es um einen Datenstreit. Die Spitex muss der IV Daten liefern, welche die Kosten für die Pflege aufzeigen. Die Daten hat die Spitex von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfungsunternehmen erheben lassen. Die IV habe Methode und Umfang akzeptiert – aber nicht die Ergebnisse, sagt Pfister.

Das zuständige Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) stellt sich auf den Standpunkt, dass die Daten zu wenig transparent seien und nicht genügen würden, um die massiven Kostenunterschiede zwischen den verschiedenen Spitex-Organisationen zu erklären.

Bundesamt ist sauer

Doch selbst wenn die Gespräche fortgeführt werden – die Stimmung dürfte garstig sein. Denn das BSV wirft der Spitex Fake-News vor. Denn in der Medienmitteilung schreibt die Spitex, dass das Bundesamt den Tarif sogar auf 107 Franken senken wolle.

Das stimmt nicht, teilt das Amt mit. «Die IV hat keine Senkung des geltenden Tarifs zum Ziel, sondern deren Beibehaltung.» Das Bundesamt findet unüblich deutliche Worte. Man sei «befremdet» über die verschiedenen Falschbehauptungen. So sei es auch falsch, dass die IV zur Deckung der vollen Kosten verpflichtet sei.

Politiker sind beunruhigt

Die Eskalation im Spitex-Tarifstreit beschäftigt auch die Politik. Sie sei erschrocken, als sie von der Kündigung des Tarifvertrags gehört habe, sagt die Zuger Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt (55). «Die Kinder-Spitex muss kostendeckende Tarife erhalten, um ihre wichtige Arbeit bei den schwerkranken Kindern machen zu können. Die Frage ist, ob hier am falschen Ort gespart wird, einmal mehr in der Pflege.»

Auch der Thurgauer Mitte-Nationalrat Christian Lohr (61), wie Weichelt Mitglied der Gesundheitskommission, ist beunruhigt. Nun müsse ein Kompromiss gefunden werden. «Es darf nicht sein, dass der Tarifstreit zulasten der Menschen geht, die auf die Spitex angewiesen sind.»

Für die Kommission habe das Ganze hohe Priorität. Dem Vernehmen nach ist der Tarifstreit für eine der nächsten Sitzungen traktandiert. (bro/lha)

Die Eskalation im Spitex-Tarifstreit beschäftigt auch die Politik. Sie sei erschrocken, als sie von der Kündigung des Tarifvertrags gehört habe, sagt die Zuger Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt (55). «Die Kinder-Spitex muss kostendeckende Tarife erhalten, um ihre wichtige Arbeit bei den schwerkranken Kindern machen zu können. Die Frage ist, ob hier am falschen Ort gespart wird, einmal mehr in der Pflege.»

Auch der Thurgauer Mitte-Nationalrat Christian Lohr (61), wie Weichelt Mitglied der Gesundheitskommission, ist beunruhigt. Nun müsse ein Kompromiss gefunden werden. «Es darf nicht sein, dass der Tarifstreit zulasten der Menschen geht, die auf die Spitex angewiesen sind.»

Für die Kommission habe das Ganze hohe Priorität. Dem Vernehmen nach ist der Tarifstreit für eine der nächsten Sitzungen traktandiert. (bro/lha)

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Auf Nachfrage rudert Pfister zurück. Das BSV habe bloss «angedeutet», dass aufgrund ihrer Daten der Tarif hätte gesenkt werden müssen. Doch so oder so: «Der jetzige Tarif ist zu tief. Es genügt nicht, diesen beizubehalten. Die Kinderspitex braucht mehr Geld.»

Kinder und Eltern sollen nicht unter Tarifstreit leiden

Pfister betont, dass die Spitex den Streit nicht auf dem Buckel der Kinder austragen will. Man müsse die Öffentlichkeit vielmehr frühzeitig formieren. «Wir diskutieren seit einem Jahr über die Datengrundlage und nicht über die Tarife. Jetzt braucht es eine Lösung.»

Doch was passiert mit den Kindern, wenn bis Januar 2024 keine Lösung gefunden wird? Das BSV schreibt, dass die Finanzierung gesichert sei und es für die Kinder keine Verschlechterung gebe. Auch nach der Kündigung bleibe der Tarifvertrag ein weiteres Jahr gültig.

Gelingt kein Vertragsabschluss, kann das Innendepartement den Vertrag um ein weiteres Jahr verlängern oder später gar selbst einen Tarif festlegen. Für Pfister ist das nur die halbe Wahrheit. «Entscheidend ist, ob Kantone und Gemeinden die Differenz weiter bezahlen wollen. Sonst können die Kinderspitex-Organisationen ihre Arbeit nicht mehr finanzieren.»

Was meinen die Kantone? Die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) gibt sich bedeckt. «Die GDK wird darauf pochen, dass möglichst bald ein neuer Vertrag mit kostendeckenden Tarifen abgeschlossen werden kann.» Auch regional unterschiedliche Tarife seien denkbar.

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