Strom-Fachmann Bastian Schwark über die Energieversorgung der kommenden Monate
Müssen wir uns im nächsten Winter wieder einschränken?

Bastian Schwark von der wirtschaftlichen Landesversorgung im Interview über die Energieversorgung im kommenden Winter, wie sich die hohen Temperaturen auswirken und warum die Lage auch nach dem Krieg in der Ukraine angespannt bleiben dürfte.
Publiziert: 28.07.2023 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 28.07.2023 um 12:00 Uhr
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Bastian Schwark (44) wirkt ruhig. Seelenruhig für einen Mann, der einen unruhigen Winter erlebt hat. Als Leiter des Fachbereichs Energie bei der wirtschaftlichen Landesversorgung muss er eingreifen, wenn Strom oder Gas fehlt und dem Bundesrat Massnahmen empfehlen.

Durch den letzten Winter ist die Schweiz ohne solche Massnahmen gekommen. Doch während die Schweiz schwitzt, bereitet sich Schwark vor, dass die Schweiz nicht frieren muss.

Blick: Bastian Schwark, haben wir im nächsten Winter zu wenig Energie?
Bastian Schwark: Die Lage ist zwar angespannt, aber grundsätzlich positiv. Ob im Winter Energie fehlt, ist abhängig von drei verschiedenen Faktoren: Zum einen von der ausländischen Energieproduktion – da hatten wir letztes Jahr die Probleme mit den AKWs in Frankreich. Das schaut für den nächsten Winter deutlich besser aus. Der Zweite betrifft das Gas: Im letzten Jahr mussten wir in kurzer Zeit russisches Gas ersetzen. Das ist weitgehend gelungen.

Bastian Schwark ist für den Bereich Energie bei der wirtschaftlichen Landesversorgung zuständig.
Foto: keystone-sda.ch
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Und der dritte Faktor?
Das Dritte sind die Temperaturen. Sie haben den grössten Einfluss. Im letzten Jahr war es sehr mild, das war gut. Wenn es ein sehr kalter Winter wird, haben wir ein Problem, ganz unabhängig vom Krieg in der Ukraine.

Fachmann für Strom

Bastian Schwark (44), Fachbereichsleiter Energie der wirtschaftlichen Landesversorgung, ist im Hauptamt Head of Market Operations bei der Schweizer Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid AG. Bei der wirtschaftlichen Landesversorgung leitet er den Fachbereich Energie. Es handelt sich dabei um ein Nebenamt, in dem er als Fachexperte aus der Wirtschaft seine spezifischen Kenntnisse einbringt.

Bastian Schwark (44), Fachbereichsleiter Energie der wirtschaftlichen Landesversorgung, ist im Hauptamt Head of Market Operations bei der Schweizer Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid AG. Bei der wirtschaftlichen Landesversorgung leitet er den Fachbereich Energie. Es handelt sich dabei um ein Nebenamt, in dem er als Fachexperte aus der Wirtschaft seine spezifischen Kenntnisse einbringt.

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Warum?
Weil in Frankreich viel mit Strom geheizt wird. In der Folge könnte die Schweiz weniger Strom importieren. Aber: Die Situation ist heute wesentlich besser als vor einem Jahr, weil wir besser vorbereitet sind und ganz Europa Massnahmen ergriffen hat.

Welche Auswirkungen haben die aktuellen hohen Temperaturen auf die Situation im Winter?
Wir spüren sie auf verschiedene Arten. Die Schweiz hat viele Speicherkraftwerke. Die werden jetzt aufgefüllt, momentan ist der Füllstand überdurchschnittlich hoch. Im letzten Jahr war es so trocken, da haben wir uns bis im September Sorgen gemacht. Dazu werden viele Mineralölprodukte wie Heizöl über den Rhein transportiert. Seit Jahren kämpfen wir mit niedrigen Pegelständen, die Schiffe können nicht voll beladen werden.

Was nützt es, wenn man jetzt im Sommer Energie spart?
Strom sparen macht immer Sinn, ökonomisch und ökologisch. Wir exportieren im Sommer Strom. All das, was wir jetzt sparen können, hilft, dass andere Länder in Europa weniger Gas einsetzen müssen, um Strom zu produzieren.

Das Licht geht aus.

Auch wir sparen Strom (lacht).

Schwark klatscht die Hände über dem Kopf zusammen, sofort leuchtet es wieder.

Russlands Gas ist in Europa noch nicht verschwunden

Vergangenen Winter hat der Bund vor Energieengpässen gewarnt – es kam dann weniger schlimm als befürchtet. Hat man überreagiert?
Gerade im letzten Winter gab es einige Unwägbarkeiten. Zum Beispiel bei den französischen Kernkraftwerken. Man wusste nicht, wie viel Strom sie liefern. Insofern haben wir vorsichtig reagiert. Unsere Massnahmen sind wie ein Feuerlöscher. Brennt ein Haus, ist es auch wichtig, einen zu haben.

Die Schweiz hat zwar das Gassparziel erreicht, beim Stromsparen aber das Ziel verfehlt. Spart die Bevölkerung überhaupt, wenn sie es nicht im Portemonnaie spürt?
Ich wünschte mir, man würde die Preise, die teilweise im Grosshandel gezahlt werden, auch individuell etwas stärker spüren. Wenn man sich vorstellt, dass zwischenzeitlich 1000 Euro pro Megawattstunde bezahlt wurden: Das wäre so, als würde ich für einmal Waschen fünf Franken bezahlen!

Das würde bedeuten, dass der Strommarkt liberalisiert werden muss?

Die Frage ist auf politischer Ebene zu beantworten. Es könnte sicher helfen, dass man die hohen Preise direkter spürt, wie das Grossunternehmen bereits tun. Dann würde sich das Stromsparen automatisch ergeben.

Diese Massnahmen könnten kommen
1. Sparappelle

Wenn sich eine Strommangellage abzeichnet, ruft der Bundesrat die Bevölkerung zum Energiesparen auf. Parallel dazu kann er bereits erste Verwendungsbeschränkungen und Verbote erlassen.

2. Die ersten Beschränkungen

Genügt das nicht, kann der Bundesrat verschiedene Anwendungen verbieten, die nicht zwingend gebraucht werden – je nachdem wie ernst die Lage ist. Zuerst muss unter anderem weniger heiss gewaschen werden und Leuchtreklamen bleiben von 23 Uhr bis 5 Uhr verboten. In den weiteren Eskalationsschritten können die Öffnungszeiten von Wellness-Anlagen reduziert und Leuchtreklamen ganz verboten werden. Schliesslich würden die Ladenöffnungszeiten reduziert und die Schneekanonen für die Skigebiete verboten.

3. Kontingentierung

In einem nächsten Schritt darf der Bundesrat den Stromverbrauch kontingentieren. Das betrifft Grossverbraucher, wie zum Beispiel Industrieunternehmen, die für die Produktion viel Strom brauchen. Haushalte seien von den Kontingentierungen in der Regel nur indirekt betroffen, heisst es vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung.

4. Netzabschaltung

Wenn die Mangellage anhält und die bisherigen Massnahmen nicht ausreichen, müsste der Bundesrat als letztes Mittel entscheiden, für einige Stunden das Netz abzuschalten.

1. Sparappelle

Wenn sich eine Strommangellage abzeichnet, ruft der Bundesrat die Bevölkerung zum Energiesparen auf. Parallel dazu kann er bereits erste Verwendungsbeschränkungen und Verbote erlassen.

2. Die ersten Beschränkungen

Genügt das nicht, kann der Bundesrat verschiedene Anwendungen verbieten, die nicht zwingend gebraucht werden – je nachdem wie ernst die Lage ist. Zuerst muss unter anderem weniger heiss gewaschen werden und Leuchtreklamen bleiben von 23 Uhr bis 5 Uhr verboten. In den weiteren Eskalationsschritten können die Öffnungszeiten von Wellness-Anlagen reduziert und Leuchtreklamen ganz verboten werden. Schliesslich würden die Ladenöffnungszeiten reduziert und die Schneekanonen für die Skigebiete verboten.

3. Kontingentierung

In einem nächsten Schritt darf der Bundesrat den Stromverbrauch kontingentieren. Das betrifft Grossverbraucher, wie zum Beispiel Industrieunternehmen, die für die Produktion viel Strom brauchen. Haushalte seien von den Kontingentierungen in der Regel nur indirekt betroffen, heisst es vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung.

4. Netzabschaltung

Wenn die Mangellage anhält und die bisherigen Massnahmen nicht ausreichen, müsste der Bundesrat als letztes Mittel entscheiden, für einige Stunden das Netz abzuschalten.

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Spulen wir einige Monate nach vorn. Kann man im Winter im Notfall überhaupt noch reagieren – oder ist es dann zu spät?
Die Vorbereitung ist wichtig. Jetzt werden die Speicherseen gefüllt. Sie sind eine grosse Reserve. Selbst wenn im Winter die ganzen Importe wegbrechen, könnten wir einige Wochen damit durchhalten. Beim Gas haben wir das nicht. Da gibt es in der Schweiz keine Speicher.

Bundesrat Albert Rösti hat kürzlich ein Gasabkommen mit Italien abgeschlossen. Nützt das im Notfall was?
Es nützt auf jeden Fall. Jede Vereinbarung mit Nachbarstaaten hilft, sich auf Mangellagen vorzubereiten.

Cyberattacken auf Kraftwerke, wie hier das AKW Gösgen, könnten zur Herausforderung werden.
Foto: Keystone

Die Schweiz braucht in den nächsten Jahren viel mehr Strom. Wird das Risiko für einen Energie-Engpass weiter bestehen, auch wenn der Krieg zu Ende ist?
Ja, wir brauchen mehr Strom – aufgrund der Elektrifizierung der Mobilität oder der zunehmenden Nutzung von Wärmepumpen. Dazu kommt der Klimawandel, der uns vor neue Herausforderungen wie lange Trockenphasen stellt, sodass Speicherseen niedrigere Pegel aufweisen können. Daneben sind Cyberattacken eine Herausforderung. Wenn zum Beispiel Kraftwerke angegriffen werden und deshalb die Produktion ausfällt, hat das entsprechende Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Strom. Also ja, die Lage wird angespannt bleiben.

Wie hoch ist das Risiko, dass wir uns im Winter einschränken müssen?
Da müsste ich die Glaskugel rausholen. Sicher ist die Gefahr geringer als letztes Jahr. Man kann es aber nicht absolut ausschliessen. Deshalb müssen wir uns alle vorbereiten.

Wie kann sich die Bevölkerung vorbereiten?
Man sollte zum Beispiel die Heizölvorräte auffüllen. Wenn der Winter kalt ist, dann fragen alle gleichzeitig nach. Aktuell ist das Heizöl auch tendenziell günstig. Zudem sollte man den Notvorrat überprüfen. Auch hier ist man froh, wenn man Wasser und Essen zu Hause hat, sollte es zu logistischen Schwierigkeiten kommen.

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