Parteipräsident Marco Chiesa verrät sein bewährtes Erfolgsrezept
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Nach Wahldebakel von 2019:So will Parteipräsident Marco Chiesa zurück zum Erfolg

SVP-Präsident Marco Chiesa zum Start ins Wahljahr
«Als Sieger kann ich den Hut nehmen, als Verlierer muss ich»

SVP-Präsident Marco Chiesa steht unter Druck. Die Wahlen 2019 waren für seine Partei ein Debakel. Nun muss dringend ein Erfolg her. Erreichen will die Partei das mit altbewährten Rezepten.
Publiziert: 25.01.2023 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 25.01.2023 um 09:30 Uhr

Das Zentrum von Lugano TI präsentiert sich farbenprächtig. SVP-Chef Marco Chiesa (48) führt die Blick-Journalisten durch seine Heimatstadt. Hier hat er sein Netzwerk, hier schöpft er Kraft. Wie wichtig ihm diese Heimat ist, unterstreicht er mit einem Polenta-Essen in einem urchigen Grotto. Dem Ständerat steht ein anstrengendes Jahr bevor. Seit zweieinhalb Jahren führt er die SVP – und bei den eidgenössischen Wahlen im Oktober kommt es zur Bewährungsprobe. Die Partei will deutlich zulegen, nachdem sie 2019 mit 25,6 Prozent satte 3,8 Prozent verloren hatte.

Blick: Herr Chiesa, die SVP war 2019 die grosse Verliererin. Wenn die Partei nochmals Wähler verliert, können Sie gleich den Hut nehmen.
Marco Chiesa: Als Wahlsieger kann ich den Hut nehmen, als Wahlverlierer muss ich (lacht). Ich habe aber nicht vor zu verlieren. Wir sind gut ins Wahljahr gestartet – die SVP ist in Top-Form und kümmert sich um die Themen, die den Leuten unter den Nägeln brennen. Das zeigt das Referendum gegen das verlogene und teure Klimaschutz-Gesetz. In nur 90 Tagen haben wir dafür über 100'000 Unterschriften gesammelt – mehr als doppelt so viele, als nötig wären.

Dennoch: Wie machen Sie die Verluste wett?
2019 haben wir über 100'000 Wähler verloren. Die wollen wir wieder zurückgewinnen. Entscheidend ist, dass wir unsere Basis mobilisieren. Dabei setzen wir auf die Themen Energie, Zuwanderung und Neutralität – bei all diesen Themen befindet sich die Schweiz in einer Krise.

In seiner Heimatstadt Lugano kann SVP-Chef Marco Chiesa Kraft schöpfen. Ihm steht ein anstrengendes Jahr bevor.
Foto: Philippe Rossier
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100’000 Wähler zurückgewinnen? Ist Ihr Wahlziel, die 29,4 Prozent von 2015 wieder zu erreichen?
Ob es 28, 29 oder 30 Prozent sind, hängt von der Wahlbeteiligung ab. Unser Ziel ist klar: Wir wollen 100'000 zusätzliche SVP-Wähler an die Urne bringen. 2019 gingen viele nicht an die Urne, weil sie frustriert waren, da unsere Abstimmungserfolge mit der Masseneinwanderungs- oder der Ausschaffungs-Initiative vom Mitte-links-Parlament nicht umgesetzt wurden. Mit dem erfolgreichen Referendum gegen das Klimaschutz-Gesetz haben wir gezeigt, dass eine Mobilisierung möglich ist. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Nationalrat die bürgerliche Mehrheit zurückerobern können.

Das Parlament ist tief bürgerlich.
Beim KMU-Rating des Gewerbeverbands kommt der erste Mitte-Vertreter auf Rang 85. Das zeigt, die Mitteparteien sind zu wenig zuverlässig für eine bürgerliche Politik. Neben der SVP steht vor allem die FDP zu bürgerlichen Werten.

Soll heissen?
Es braucht Listenverbindungen mit der FDP in möglichst allen Kantonen. 2019 haben wir acht Sitze verloren, weil wir zu wenig Listenverbindungen mit den Freisinnigen hatten. Nun führen wir offene Gespräche. Der Ball liegt beim Freisinn. Er steht in der Verantwortung, ob es eine klar bürgerliche Mehrheit gibt oder ob wir diese Sitze einfach den Links-Grünen überlassen.

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«Es braucht eine neue Generation an SVP-Politikern»
SVP-Präsident Marco Chiesa
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Selbst wenn es im Nationalrat eine SVP-FDP-Mehrheit gäbe: Im Ständerat schwächelt die SVP. In Kantonen wie Aargau oder Schwyz drohen Sitzverluste. Wie wollen Sie das ändern?
Majorzwahlen sind immer schwieriger. Dafür braucht es eine neue Generation an SVP-Politikern. Persönlichkeiten, die auch andere Parteien überzeugen können.

Solche, die braver und kompromissbereiter sind?
Nein, unsere Leute müssen weiter konsequent unsere Werte vertreten, aber auch Mehrheiten schaffen können. Wie bei der AHV. Wenn es Reformen braucht, brauchen wir eine bessere Zusammenarbeit. Das ist aber nicht einfach für eine profilierte Partei, die Klartext spricht.

Im Wahljahr setzen Sie auf einen alten Hut. Einmal mehr wollen Sie die Zuwanderung beschränken.
Das ist, was die Schweiz braucht! Das Asylsystem Schengen-Dublin ist gescheitert, die Aussengrenzen werden nicht kontrolliert, und Italien verweigert die Rücknahme von Asylmigranten. Hier müssen wir klipp und klar Stopp sagen, sonst fahren wir unser Land an die Wand.

Letztes Jahr hatten wir zwar wieder über 20'000 Asylgesuche, aber doch viel weniger als während der Flüchtlingskrise. Zudem werden Gesuche beschleunigt abgewickelt. Die Krise ist noch nicht derart akut.
Es geht nicht nur um Asylmigranten, sondern auch um Ukraine-Flüchtlinge und die Personenfreizügigkeit. Wir hatten 2022 mehr als 200'000 Zuwanderer in einem Jahr. Die Zahlen der illegalen Einreisen von Asylmigranten explodieren: Letztes Jahr reisten über 52'000 Illegale in unser Land ein. Das ist eine tickende Zeitbombe! Das sehen wir an den Krawallen in Deutschland oder Frankreich. Die Willkommenskultur ist gescheitert. Wir steuern auch in der Schweiz auf ein riesiges Integrationsproblem zu.

Deshalb wollen Sie Asylsuchende in Ruanda internieren?
Wir können Asylsuchende in anderen sicheren Ländern betreuen, wie dies Dänemark oder Grossbritannien planen. Diesen Mut müssen wir haben. Stattdessen findet eine riesige Moralisierung statt, dass Asylsuchende zu wenig finanziert und integriert würden. Von der jetzigen Situation profitieren nur die kriminellen Schlepperbanden und die Asylindustrie in der Schweiz.

Dafür plant die SVP eine neue Zuwanderungs-Initiative. Der Text liegt noch immer nicht vor. Ist sich Ihre Partei uneinig?
Wir wissen, was wir wollen, und die Instrumente stehen klar in der Verfassung: Höchstzahlen, Kontingente und Inländervorrang. Die Mitte-links-Mehrheit im Parlament hat den Verfassungsauftrag aber nicht umgesetzt. Dazu braucht es nochmals einen Volksentscheid. Wir müssen uns fragen, ob wir in einer 10-Millionen-Schweiz leben wollen. Ich sicher nicht!

Die SVP bewirtschaftet auch die Energiefrage. Nun müssen Sie mit Ihrem neuen Energieminister Albert Rösti liefern.
Wir haben einen Stromgeneral gefordert und diesen mit Rösti bekommen.

Was erwarten Sie konkret?
Ich erwarte eine Korrektur der gescheiterten Energiewende. Wir brauchen kurz-, mittel- und langfristige Massnahmen, um die Energieversorgung in der Schweiz zu sichern. Das ist der Hauptauftrag. Rösti prüft bereits den Notstrom-Plan von Unternehmer Markus Blocher, der verlangt, dass Unternehmen kurzfristig ihre Notstromanlagen einsetzen sollen.

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«Wir müssen das AKW-Verbot abschaffen»
SVP-Präsident Marco Chiesa
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Und langfristig soll er neue AKW bauen?
Zwei Drittel unseres Energieverbrauchs sind Öl, Benzin, Diesel und Gas. Wenn Sie diese ersetzen wollen, braucht es neue AKW. Wenn wir unsere Kernkraftwerke abschalten, dann haben wir eine Katastrophe. Ohne Strom steht alles still: vom Spital bis zum Kochherd zu Hause.

Dann sollte Rösti doch zum Solargeneral werden!
Ich habe nichts gegen den Ausbau der Solarenergie. Aber sie nützt nichts in den
Wintermonaten, wo wir jetzt schon zu wenig Strom haben. Es braucht auch mehr Wasserkraft und den Ersatz der bestehenden Kernkraftwerke. Man hat uns mit der Energiestrategie 2050 vorgegaukelt, dass es ohne AKW gehe. Nun sehen wir, das ist eine Illusion. Wir müssen das AKW-Verbot unbedingt abschaffen. Mir sind Atomkraftwerke lieber als CO2-Schleudern. Hier bin ich mit Greta Thunberg einverstanden!

Ausgerechnet Greta Thunberg wird zur Kronzeugin der SVP?
Wenn sie ausnahmsweise mal etwas Vernünftiges sagt, stimme ich ihr gerne zu.

Das bleibt eine Scheindebatte, weil der AKW-Ersatz Jahrzehnte dauern würde.
Das ist eine Ausrede! Mit neuen Technologien kann es sehr schnell gehen. Und es müssen auch nicht neue Grossanlagen sein. Denkbar sind mehrere kleinere und dezentrale AKW. Rösti muss diese Option prüfen, sonst steuern wir auf eine riesige Stromlücke zu.

Ein Mini-AKW für jeden Kanton?
Manche Kantone haben genügend Wasserkraft, die brauchen keines. Aber wir müssen sicher in diese Richtung investieren. Denn wir haben einen Energiebedarf von 200 Terawattstunden – zwei Drittel davon sind heute fossil. Bis 2050 Netto-Null erreichen und gleichzeitig alle AKW abschalten? Die Rechnung geht nicht auf!

Und warum unterstützt die SVP Klimageneral Rösti nicht? Statt ihn zu unterstützen, torpedieren Sie die Klimaziele per Referendum.
Man muss die Relationen wahren. Die Schweiz ist nur für 0,1 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Pro Kopf haben wir seit 1990 sogar über 30 Prozent eingespart. Doch die massive Zuwanderung macht alle Klimaschritte zunichte. Auf diesen Widerspruch geben Linke und Grüne keine Antwort.

Sie weichen aus! Die SVP will einmal mehr nichts für den Klimaschutz machen.
Wir wehren uns nicht gegen Klimaschutz, aber gegen höhere Steuern und Kosten. Kommt das verlogene und teure Klimaschutz-Gesetz durch, werden Öl- und Gasheizungen verboten, ebenso Autos mit Verbrennungsmotoren. Gleichzeitig brauchen wir mehr Strom. Dieses Stromfresser-Gesetz ist Humbug.

Der SVP-Chef

Im August 2020 wurde der Tessiner Marco Chiesa (48) zum SVP-Chef gewählt. Sein politischer Werdegang begann in Lugano TI, führte ihn 2007 in den Tessiner Grossrat und 2015 in den Nationalrat. Vier Jahre später wurde er Ständerat. Der Betriebswirt leitete früher ein Altersheim und ist heute als Gesellschafter der Treuhand- und Beratungsfirma Ticiconsult Sagl aktiv. Chiesa lebt in Ruvigliana TI nahe Lugano, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Im August 2020 wurde der Tessiner Marco Chiesa (48) zum SVP-Chef gewählt. Sein politischer Werdegang begann in Lugano TI, führte ihn 2007 in den Tessiner Grossrat und 2015 in den Nationalrat. Vier Jahre später wurde er Ständerat. Der Betriebswirt leitete früher ein Altersheim und ist heute als Gesellschafter der Treuhand- und Beratungsfirma Ticiconsult Sagl aktiv. Chiesa lebt in Ruvigliana TI nahe Lugano, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

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Themenwechsel: Haben Sie Ignazio Cassis schon einen Dankesbrief geschrieben?
Warum sollte ich?

Er will just im Wahljahr den EU-Rahmenvertrag neu aufgleisen.
Natürlich ist das für meine Partei eine Gelegenheit zur Profilierung. Ich denke aber zuerst an unser Land! Ich hoffe somit, dass ein Rahmenvertrag nie mehr auf den Tisch kommt. Wenn ich aber die EU-Turbos der anderen Parteien im Parlament betrachte, befürchte ich, dass nicht nur ein neuer Rahmenvertrag Thema wird, sondern, dass auch unsere Neutralität noch mehr zerstört wird.

Umgekehrt kommen die bilateralen Abkommen immer stärker unter Druck. Da braucht es doch eine Lösung.
Ich lasse mich nicht von solcher Rhetorik leiten. Wir haben ein Freihandelsabkommen und bilaterale Verträge. Wir kaufen mehr von der EU als sie von uns. Wir haben 400'000 Grenzgänger. Wir haben die Neat. Die EU profitiert von uns. Solche Argumente müssen wir einbringen – und sicher nicht kapitulieren.

Sie pochen immer wieder auf die Neutralität. Beim Ukraine-Krieg aber heisst das bei Ihnen nichts anderes, als sich auf die Seite Putins zu stellen.
Nein, wir stellen uns auf die Seite der Sicherheit unserer Bevölkerung. Ebenso der guten Dienste. Doch das verhindert der Bundesrat mit seiner Politik, indem er über Sanktionen für eine Seite Partei ergriffen hat.

Die Neutralitäts-Initiative aus SVP-nahen Kreisen ist nichts anderes als eine Feigheits-Initiative.
Im Gegenteil: Es ist viel schwieriger, neutral zu bleiben, als sich auf eine Seite zu schlagen. Hier muss man stark bleiben, wenn man zur Lösung von Konflikten beitragen will. Deshalb ist diese Initiative so wichtig.

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