Tausende Franken pro Fall
Für den Sterbetourismus blecht auch der Steuerzahler

Auch ohne Sarco: Die Schweiz wird zunehmend zum Ziel für Sterbetourismus. Die Todesfälle kosten die Kantone jährlich mehrere Hunderttausend Franken. Doch dagegen wehren können sie sich nicht.
Publiziert: 25.09.2024 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2024 um 09:19 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Sterbekapsel Sarco in Schaffhausen erstmals genutzt
  • Kantone tragen hohe Kosten durch Sterbetourismus
  • Baselland: Letztes Jahr 340 Freitodbegleitungen, 284 ohne festen Wohnsitz in der Schweiz
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Am Montag starb in der Sterbekapsel Sarco die erste Person, eine 64-jährige Amerikanerin.
Foto: AFP
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Es passierte in Schaffhausen: In der Sterbekapsel Sarco starb am Montag die erste Person. Am selben Tag beantwortet Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60) eine Anfrage von SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel (43) zur Kapsel. Baume-Schneiders Fazit: «Sarco ist nicht rechtskonform.»

Fehr Düsel forderte bereits im August ein Verbot. Die Schweiz würde sonst zum Sterbeland, sagte sie damals zum «Tages-Anzeiger». Dabei blendete die Nationalrätin aus: Die Zahl der assistierten Suizide in der Schweiz nimmt bereits seit Jahren zu. Auch aus dem Ausland. Besonders in den Kantonen sorgt das für Unmut – denn sterbewillige Ausländerinnen und Ausländer verursachen für sie, und damit die Steuerzahlenden, erhebliche Kosten.

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Bei einem Freitod müssen die Behörden ausrücken

Im Februar verlegte die Baselbieter Sterbehilfeorganisation Pegasos ihre Aktivitäten auf die andere Seite der Kantonsgrenze. Im Weiler Roderis in der Solothurner Gemeinde Nunningen betreibt Pegasos eine Sterbeklinik in einem umgebauten Landgasthof. Sowohl Gemeinde als auch Kanton wussten bis zur Eröffnung nichts davon.

Macht jemand in der Klinik seinem Leben ein Ende, müssen die Solothurner Behörden ausrücken. Kostenpunkt: 3000 Franken pro Fall. So bezifferte es die Regierung im April in ihrer Antwort auf eine Anfrage eines Nunninger Mitte-Parlamentariers. Kosten würden in erster Linie für die Amteiärztin oder den Amteiarzt, für das Institut für Rechtsmedizin Basel sowie für die Kantonspolizei anfallen. Denn wird ein «aussergewöhnlicher Todesfall» festgestellt, ist eine Untersuchung zwingend.

Pegasos nimmt vorwiegend Sterbewillige aus dem Ausland in Empfang. Wie viele Menschen die Organisation in Nunningen bisher in den Tod begleitet hat, will sie gegenüber Blick nicht preisgeben.

Kantone haben keine Möglichkeit, die Kosten abzuwälzen

Zahlen aus dem Kanton Baselland zeigen: Es werden nicht wenige sein. Laut der kantonalen Sicherheitsdirektion fanden letztes Jahr bei den im Baselbiet tätigen Organisationen – Pegasos, Eternal Spirit und Exit – 340 Freitodbegleitungen statt. Von den Verstorbenen hatte die Mehrheit – 284 Personen – keinen festen Wohnsitz in der Schweiz.

Die Untersuchungen kosteten den Kanton Baselland mindestens 300’000 Franken im Jahr. Denn laut Sicherheitsdirektion fallen bei einem «aussergewöhnlichen Todesfall» Aufwände von rund 913 Franken an. Anders als im Kanton Solothurn wurden dabei die Personalkosten nicht eingerechnet.

Wie in Solothurn war dieser Umstand im Baselbieter Kantonsparlament bereits politisches Thema. Genauso im Kanton Zürich. Das Problem: Den Kantonen ist es nicht möglich, die anfallenden Kosten den Sterbehilfeorganisationen zu verrechnen. «Die Kostentragung bei Strafverfahren wird abschliessend in der nationalen Strafprozessordnung geregelt», schreibt die Baselbieter Sicherheitsdirektion. Eine kantonale Regelungskompetenz bestehe nicht.

Zahlen zum begleiteten Freitod werden selten erfasst

Dazu fehlen vielerorts abschliessende Zahlen zu den assistierten Suiziden. Oftmals haben die Kantone nicht den Überblick, wie viele Menschen pro Jahr in ihrem Gebiet den begleiteten Freitod wählen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich teilt auf Anfrage mit, dass man weder über die Häufigkeit noch den Wohnsitz eine Statistik führe.

Auch der Kanton Aargau kann keine genauen Zahlen liefern. In den letzten fünf Jahren sei die Zahl der Fälle leicht angestiegen. 2023 habe der Kanton 37 assistierte Suizide untersucht. Die Polizeistatistik scheint aber unvollständig: Alleine der Jahresbericht der Sterbehilfe Exit Deutschschweiz, die nur Menschen mit Schweizer Wohnsitz betreut, spricht von 121 Freitodbegleitungen im Aargau.

Organisationen halten sich bedeckt

Von den Vereinen, die Menschen aus dem Ausland empfangen, weist nur Dignitas Schweiz öffentliche Zahlen aus. Seit der Gründung 1998 hatten über 90 Prozent der betreuten Sterbewilligen keinen festen Wohnsitz in der Schweiz. Im letzten Jahr waren es schweizweit 235 der 250 Fälle.

Die Dunkelziffer beim Sterbetourismus bleibt somit hoch. Laut dem Bundesamt für Statistik wählten 2022 über 1’500 Menschen, die in der Schweiz leben, den Freitod. Die Zahl hat sich innerhalb acht Jahren verdoppelt. Es darf angenommen werden, dass die zusätzlichen Fälle aus dem Ausland ähnlich stark zunehmen. Mit oder ohne Sarco.

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Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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