FDP-Chef Thierry Burkart über den Ukraine-Krieg
«Passivität ermutigt die Aggressoren»

FDP-Präsident Thierry Burkart hält gar nichts von Ratschlägen an die Adresse der Ukraine. Und plädiert für Investitionen in die bestehenden Kernkraftwerke.
Publiziert: 24.07.2022 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 24.07.2022 um 10:02 Uhr
Interview: Simon Marti

Herr Burkart, in der Schweiz werden immer wieder Stimmen laut, die der Ukraine Verhandlungen nahelegen, um den Krieg zu beenden. Ihre Haltung ist anders, die «Weltwoche» nennt Sie einen Kriegstreiber. Gefallen Sie sich in der Rolle des Hardliners?
Thierry Burkart: Russland hat einen souveränen Staat angegriffen. Diese völkerrechtswidrige Invasion hat die Nachkriegsordnung Europas zerstört, nichts weniger. Die Einzigen, die entscheiden, ob sie ihr Land verteidigen oder ob sie verhandeln, sind die Ukrainer. Niemand anderes hat das Recht darüber zu befinden.

Auch wenn der Krieg weiter wütet und noch mehr Menschen sterben?
Wir sollten aus der Geschichte lernen. 1938 entschieden Deutschland, Italien, Frankreich und Grossbritannien, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland an Deutschland abtreten muss. Und das über den Kopf der Tschechoslowakei hinweg! Diese Appeasement-Politik, vor allem durch den damaligen britischen Premier Neville Chamberlain vorangetrieben, sollte den Frieden in Europa retten. Das Gegenteil war der Fall. Es war dann Chamberlains Nachfolger, Winston Churchill, der sich dem Totalitarismus in Europa konsequent entgegenstellte. Etwas salopp formuliert, brauchen wir in unserem Denken und Handeln mehr Churchill und weniger Chamberlain.

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Vergleichen Sie Putin mit Hitler, verharmlosen Sie den Nationalsozialismus.
Ich vergleiche und verharmlose gar nichts. Die Geschichte zeigt, dass man Aggressoren nicht im Zaum hält, wenn man ihre Forderungen erfüllt. Das war auch der Fall, als die Italiener ab 1935 einen brutalen Eroberungskrieg in Abessinien führten. Die Passivität des Westens ermutigte die Aggressoren in Europa, ihre Interessen mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, vom gemütlichen Schweizer Wohnzimmer aus die Ukraine aufzufordern, unter Abtretung eines Teils ihres Staatsgebiets für einen Verhandlungsfrieden Hand zu bieten, damit es uns besser geht.

«Wir sollten aus der Geschichte lernen», sagt FDP-Präsident Thierry Burkart. Die Ukraine «vom gemütlichen Schweizer Wohnzimmer» aus zu Verhandlungen aufzufordern, lehnt der Aargauer Ständerat kategorisch ab.
Foto: Thomas Meier
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Vertreter der SVP und auch GLP-Nationalrat Martin Bäumle, der die Ukraine sehr gut kennt, plädieren für Verhandlungen.
Es gibt auch Politiker der SVP, die durchaus das notwendige historische Bewusstsein haben. Bloss hört man sie angesichts der Forderungen von Roger Köppel und Magdalena Martullo nicht. Bei Martin Bäumle überrascht mich besonders, dass er in den Appeasement-Chor einstimmt. Die GLP hat in dieser Frage keine klare Haltung. Beat Flach möchte ja direkt Waffen in die Ukraine schicken.

Den Vorwurf, wohlfeile Ratschläge zu erteilen, kann man auch umdrehen. Auf dem Schweizer Sofa ist es auch dann gemütlich, wenn die Ukrainer weiter für die «westlichen Werte» sterben.
Sie kämpfen in erster Linie für ihr Land! Aber es stimmt, sie verteidigen dabei auch die Friedensordnung in Europa. Darum unterstützen die westlichen Staaten, darunter im Rahmen ihres Neutralitätsrechts auch die Schweiz, die Ukraine. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat unkompliziert Hand geboten, um ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen. Bundespräsident Ignazio Cassis hat eben bekannt gegeben, dass verletzte Zivilisten in Schweizer Spitälern gepflegt werden sollen.

Reicht das, wenn Tausende Menschen sterben?
Die Geschichte wird ihr Urteil fällen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir derzeit tun, was im Rahmen unserer Neutralität möglich ist. Wir sind Teil der westlichen Wertegemeinschaft und müssen zur Einhaltung des Völkerrechts beitragen.

Tatsache ist: Putin kämpft weiter, den westlichen Sanktionen zum Trotz.
Sanktionen können nicht sofort und allein einen Krieg beenden. Aber sie zeigen Wirkung, die sich über die Zeit verstärken wird. Zum Beispiel wissen wir, dass das russische Heer sich aufgrund der Sanktionen seit 2014 insbesondere bei den schweren Waffensystemen weniger erneuern konnte als geplant. Darunter leidet die russische Armee zurzeit.

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Der Bundesrat brauchte lange, bis er erklärte, dass er die Sanktionen vollumfänglich übernimmt. Fünf Monate später erleben wir ein Hickhack unter den Ämtern bei der Frage, ob verletzte Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz gepflegt werden sollen. Ist die Regierung auf der Höhe ihrer Aufgabe?
Ich bedaure, dass es immer wieder Extrarunden braucht, bis der Bundesrat die richtige Entscheidung fällt. Das schafft im In- und Ausland Verwirrung. Ich habe den Eindruck, dass die Zusammenarbeit unter den Departementen nicht optimal funktioniert und immer wieder Kompetenzstreitigkeiten auftreten. Das Silodenken ist sehr stark ausgeprägt im Bundesrat. Da besteht Verbesserungsbedarf.

Die Herausforderungen werden nicht kleiner. Die Inflation zieht an, die Konjunkturaussichten trüben sich ein. Wie viel darf die Solidarität mit der Ukraine kosten?
Der Krieg verstärkt die Entwicklung, der Anstieg der Inflation und der Wirtschaftsabschwung begannen wegen Corona und Lieferengpässen aber bereits früher. Hauptgrund für die Inflation ist die jahrelange Tiefzinspolitik der europäischen Zentralbank. Weil viele EU-Staaten überschuldet sind, liess die Kehrtwende viel zu lange auf sich warten. Diese europäische Inflation importieren wir gewissermassen. Hier ist unsere Nationalbank mit mutigen und eigenständigen Entschieden gefordert.

Nicht importiert ist die drohende Energieknappheit.
Auch hier verschärft der Krieg kurzfristig die Lage, die sich über Jahre angebahnt hat und sich nun zuspitzt. Die Gründe sind vornehmlich hausgemacht. Die Schweiz hat die Stromversorgungskapazitäten im Inland ab- und damit die Abhängigkeit vom Import ausgebaut. Da in Europa nun Strom fehlt und wir zudem nicht vollständig in den europäischen Strommarkt integriert sind, droht auch unabhängig vom russischen Gas ab 2025 eine Stromlücke.

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Aber was kann dagegen unternommen werden?
Kurzfristig müssen wir uns um Liefergarantien für Gasimporte bemühen und Reserven schaffen. Wasserkraftreserven sind zudem für den Winter bereitzuhalten. Im Bereich des Stroms müssen im Inland endlich die erneuerbaren Kapazitäten massiv ausgebaut werden.

Das dürfte kaum reichen.
Es braucht einen möglichst breiten Energiemix. So widersprüchlich das klingt, wir benötigen so rasch als möglich für eine Übergangsphase Spitzenlast-Gaskraftwerke, die aber auch mit Öl betrieben werden können. Für den raschen Ausbau von erneuerbaren Energien sind die gesetzlichen Hürden dringend abzubauen. Die linken Parteien müssen dazu endlich Hand bieten. Ihre Verhinderungspolitik führt dazu, dass in den Bergen immer noch keine grossflächigen Fotovoltaik-Anlagen stehen und verschiedene bestehende Staumauern nicht ausgebaut werden konnten.

Hätte man auf Links-Grün gehört, wären wir heute viel besser aufgestellt und weniger abhängig von fossilen Energien.
Das Gegenteil ist der Fall. In der Energiepolitik sind die links-grünen Rezepte komplett gescheitert. Wäre ihre Volksinitiative 2016 angenommen worden, hätte die Schweiz bereits drei der fünf Kernkraftwerke stillgelegt und 2024 müsste das nächste vom Netz. Dann wäre unsere Lage noch dramatischer. Wir hätten wohl schon die eine oder andere Strommangellage erlebt und die Abhängigkeit von fossilen Energien wäre höher. Wir sollten endlich aufhören, die verschiedenen Technologien gegeneinander auszuspielen.

Sie plädieren für ein Comeback der Kernenergie?
Prioritär muss der Ausbau der Erneuerbaren forciert werden. Bei der Kernkraft spreche ich von den bestehenden Kraftwerken, nicht von neuen. Damit wir in unserem Land genügend Strom haben, müssen sie so lange weiterlaufen, wie ihre Sicherheit garantiert ist. Die regulatorischen Rahmenbedingungen sind so auszugestalten, dass die notwendigen Investitionen in die Sicherheit dieser Anlagen für die Betreiber wirtschaftlich sind. Denn bis die Erneuerbaren die Kernkraft ersetzen können, wird es – falls überhaupt einmal möglich – noch einige Jahre dauern. Wollen wir eine sichere Stromversorgung, werden wir noch auf Jahre hinaus auf die bestehende Kernenergie angewiesen sein.

Der Staat soll also die Rahmen- bedingungen für die Kernkraft verbessern?
Nicht nur. Das Parlament ist dabei, die Stromversorgung umfassend zu reformieren. Aber wir müssen dringend vorwärtsmachen! Daher lautet auch bei den erneuerbaren Energien mein Vorschlag, dass die für die Versorgungssicherheit wichtigsten Projekte gezielt identifiziert und dafür die Beschwerdeverfahren auf Gesetzesebene vereinfacht und beschleunigt werden. So können die Projekte rascher realisiert werden. Aktuell ist der Zeitbedarf für den Bau eines neuen grossen Wasserkraftwerks rund 20 Jahre. Das ist viel zu lange! Aber wir brauchen alle Technologien, auch die Kernenergie, sonst sitzen wir bald im Dunkeln. Ein Stromausfall über längere Zeit hätte für die Gesellschaft und unsere Wirtschaft katastrophale Folgen. Die Betreiber haben in den vergangenen Jahren viel investiert in diese Kraftwerke. Sie werden dies weiter tun, wenn die gesetzgeberischen Hürden abgebaut werden.

Also doch keine Schweiz ohne Atomkraftwerke?
Der Bau neuer Kernkraftwerke ist gesetzlich verboten. Die bestehenden Kraftwerke dürfen aber, solange sie sicher sind, weiterbetrieben werden. Wir bleiben vorderhand auf diese Energieform angewiesen.

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