Uno kritisiert Besatzung
Israel unter Druck

Der Internationale Gerichtshof kritisiert Israels Besatzung scharf. Aussenminister Cassis müsse nun Farbe bekennen, fordern Diplomaten im EDA.
Publiziert: 22.07.2024 um 00:53 Uhr
Mitarbeieterportraits_Mai23_20.JPG
Raphael RauchBundeshausredaktor

Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag (Niederlande) ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Mit klaren Worten verurteilte er am Freitag in einem Gutachten die Besetzung Israels in den palästinensischen Gebieten und in Ost-Jerusalem als rechtswidrig.

Gerichtspräsident Nawaf Salam (70) sagte: «Der Staat Israel steht in der Pflicht, seine unrechtmässige Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich zu beenden.» Das Gutachten ist rechtlich nicht bindend, setzt Israel aber international weiter unter Druck.

Netanyahu reagiert empört

Laut dem Gutachten muss Israel neue Siedleraktivitäten in den palästinensischen Gebieten unverzüglich stoppen und die rund 700’000 Siedler aus den besetzten Gebieten zurückpfeifen. 

Das höchste Uno-Gericht setzt Israel unter Druck.
Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire
1/6

Israel reagierte empört auf das Gutachten: Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (74) schrieb auf X: «Das jüdische Volk ist kein Besatzer in seinem eigenen Land. Keine Fehlentscheidung in Den Haag wird die historische Wahrheit verfälschen, sowie die Rechtmässigkeit der israelischen Siedlungen auf dem gesamten Gebiet unserer Heimat nicht angefochten werden kann.»

EDA stützt Urteil

Die Position des IGH entspricht der völkerrechtlichen Interpretation des Aussendepartements EDA in Bern. Die Schweiz hatte im Verfahren eine schriftliche und mündliche Stellungnahme abgegeben. «Der Einsatz von Kampfwaffen und der Einsatz von Scharfschützen sind während einer lang andauernden Besetzung noch unangebrachter. Die Militarisierung von Strafverfolgungsmassnahmen sollte vermieden werden», heisst es im Plädoyer des EDA, das Blick vorliegt. «Israel muss als Besatzungsmacht die palästinensische Zivilbevölkerung im Westjordanland schützen.» Alle Parteien müssten Gewalt und das Wiederaufflammen von Feindseligkeiten verhindern, um der Bevölkerung ein Leben in grösstmöglicher Würde und Normalität zu garantieren. 

Eine EDA-Diplomatin sieht den Entscheid in Den Haag auf der Linie der humanitären Tradition der Schweiz, die das Völkerrecht hochhalte. Cassis müsse nun Loyalität zum Völkerrecht beweisen, fordert ein langjähriger EDA-Diplomat. «Der IGH spricht Israel jegliche Legitimität ab, nur einen Zentimeter der palästinensischen Gebiete weiter zu besetzen. Cassis muss das in Israel zum Thema machen.»

«Cassis steht für Doppelmoral»

Allerdings sei fraglich, ob der Aussenminister aufgrund seiner klar proisraelischen Haltung dies tun werde: «Cassis steht für Doppelmoral. Gegenüber Russland hält er das Völkerrecht hoch und ergreift sogar Sanktionen. Gegenüber Israel unterstützt er bislang das Gutachten des IGH nicht mit Nachdruck», kritisiert der erfahrene Diplomat.

Das EDA teilte mit, «eine vertiefte Analyse des Gutachtens und dessen möglicher Auswirkungen» vorzunehmen. «Die Schweiz ist überzeugt, dass nur eine Zwei-Staaten-Lösung, die von beiden Seiten im Einklang mit dem Völkerrecht ausgehandelt wird, zu einem dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern führen kann.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?