Verlieren oder gewinnen sie mit der AHV-Reform?
Zahlenstreit um Frauenrenten

Mit der AHV-Reform steigt das Frauenrentenalter auf 65 Jahre. Damit würden die Frauen im Schnitt auf 26'000 Franken Geld verzichten, sagt die SP. Die Frauen könnten ein Jahr länger Geld verdienen und die Rente aufbessern, hält die FDP dagegen.
Publiziert: 11.07.2022 um 00:29 Uhr
Ruedi Studer

Einmal mehr stehen die Frauen bei einer AHV-Reform im Fokus. Nachdem das Stimmvolk 1995 Ja zu Erhöhung des Frauenrentenalters von 62 auf 64 Jahre zugestimmt hatte, soll es im neusten Wurf nun schrittweise auf 65 Jahre steigen. Gleich hoch wie bei den Männern.

Das spart der AHV jährlich 1,4 Milliarden Franken. Um die Reform sozial abzufedern, gibt es für eine Übergangsgeneration von neun Frauenjahrgängen einen abgestuften Rentenzuschlag von bis zu 160 Franken monatlich.

Was das konkret für das Portemonnaie der Frauen bedeutet, darüber ist ein eigentlicher Zahlenstreit entbrannt. Für die Linke ist es eine Reform «auf dem Buckel der Frauen», die zu einem Rentenverlust führt.

Was bedeutet die AHV-Reform finanziell für die Frauen?
Foto: Keystone
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SP: Frauen verzichten auf 26'000 Franken

«Die Zeche für die AHV-Reform bezahlen die Frauen. Jemand muss die sieben Milliarden Franken ja berappen, die in den nächsten Jahren eingespart werden», sagt SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (34, ZH) zu Blick. «Jede Frau verzichtet im Schnitt auf 26'000 Franken, sollte die Vorlage im September an der Urne durchkommen.» Die Summe ergibt sich einerseits durch ein Jahr weniger Rente, wenn man länger arbeiten muss, sowie AHV-Beiträge, die man im zusätzlichen Arbeitsjahr berappen muss.

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«Die Hälfte der Frauen der Übergangsgeneration steht nach der Reform schlechter da als mit dem heutigen Status quo», sagt Meyer. «Wenn sie heute bis 65 arbeiten und dann in Rente gehen, erhalten sie mehr als mit der AHV-Vorlage.»

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FDP: Frauen verdienen länger

Auf bürgerlicher Seite stösst diese Berechnung auf Widerspruch. «Die Linke präsentiert eine Milchbüchleinrechnung», sagt FDP-Frauen-Chefin und Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (55, SG). «Will man die effektiven Auswirkungen aufs Portemonnaie erfassen, braucht es eine Vollkostenrechnung.»

Will heissen: «Zwar erhalten die Frauen ein Jahr weniger Rente, auf der anderen Seite erhalten sie aber auch länger Lohn und können so die Rente aufbessern», so Vincenz. «Das wirkt sich insbesondere bei der beruflichen Vorsorge positiv auf die Rente aus.»

Die FDP-Nationalrätin präsentiert denn auch entsprechende Fallbeispiele, die der Arbeitgeberverband berechnet hat. Das Beispiel «Niedriglohn» geht von einer verheirateten Frau mit Jahrgang 1965 aus, die ein durchschnittliches Einkommen von 55'000 Franken erzielt und im letzten Arbeitsjahr noch 41'250 Franken erhalten hat.

Zwar verliert die Frau durch die spätere Pensionierung 18'000 Franken Rente, auf der anderen Seite der Waage liegt aber der letzte Jahreslohn von über 40'000 Franken. Der Rentenzuschlag von monatlich 160 Franken summiert sich – auf die Lebensdauer gesehen – auf 46'000 Franken und die zusätzliche BVG-Rente auf knapp 5000 Franken. Unter dem Strich bleibt ein Plus von 75'000 Franken.

Auch in anderen Beispielen stehen die Frauen dank des zusätzlichen Jahreslohns finanziell besser da. «Die Frauen müssen zwar länger arbeiten, bekommen dafür aber auch mehr», betont Vincenz-Stauffacher.

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Freiwillig weiterarbeiten oder Zwang?

Für die Jahrgänge ab 1970 – also nach der Übergangsgeneration – fällt der Effekt aber deutlich kleiner aus, weil der Rentenzuschlag gänzlich wegfällt. Vincenz-Stauffacher sieht darin aber kein Problem. «Die Betroffenen haben genügend Zeit, ihre Lebensplanung darauf einzustellen», so die FDP-Frau.

«Die AHV belohnt Weiterarbeiten heute schon», kontert SP-Frau Meyer. Aber: «Wir wehren uns dagegen, dass Frauen gezwungen werden, länger zu arbeiten.»

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Zweite Säule verbessern

In einem Punkt geht die FDP-Frau mit der Linken aber einig. Die heutige Rentenlücke zwischen den Geschlechtern – Frauen erhalten insgesamt gut ein Drittel weniger Rente – ist auch ihr ein Dorn im Auge.

«Die Probleme liegen aber nicht in der AHV, sondern in der zweiten Säule – hier braucht es unbedingt Verbesserungen für die Frauen», sagt Vincenz-Stauffacher. Ebenso beim Steuersystem. «Die Ungerechtigkeiten in anderen Bereichen sind aber kein Grund, eine faire AHV-Reform abzulehnen.»

Bundesamt will sich Finger nicht verbrennen

Was die AHV-Reform für die Frauen bedeutet, da gehen die Lesarten weit auseinander. So weit, dass sich selbst der Bund an dieser Frage die Finger nicht verbrennen mag. Im Hinblick auf die Abstimmung will das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen jedenfalls weder fiktive Berechnungen erstellen, noch solche begutachten. «Die Höhe einer AHV-Rente hängt von sehr vielen Faktoren ab und wird regelmässig an die Entwicklung der Löhne und der Konsumentenpreise angepasst», erklärt das Amt gegenüber Blick. Eine Vorausberechnung einer AHV-Rente für Jahre in der Zukunft sei somit «zwangsläufig nicht korrekt» und vermittle den Betroffenen ein falsches Bild ihrer persönlichen Situation. (rus)

Was die AHV-Reform für die Frauen bedeutet, da gehen die Lesarten weit auseinander. So weit, dass sich selbst der Bund an dieser Frage die Finger nicht verbrennen mag. Im Hinblick auf die Abstimmung will das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen jedenfalls weder fiktive Berechnungen erstellen, noch solche begutachten. «Die Höhe einer AHV-Rente hängt von sehr vielen Faktoren ab und wird regelmässig an die Entwicklung der Löhne und der Konsumentenpreise angepasst», erklärt das Amt gegenüber Blick. Eine Vorausberechnung einer AHV-Rente für Jahre in der Zukunft sei somit «zwangsläufig nicht korrekt» und vermittle den Betroffenen ein falsches Bild ihrer persönlichen Situation. (rus)

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