Weil Ärzte, Spitäler und Krankenkassen heillos zerstritten sind
Baume-Schneider zwingt Tarifpartner zu Kompromiss

Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider setzt den Tarifpartnern im 12-Milliarden-Streit das Messer an den Hals: Ab 2026 sollen neue Tarife gelten für ambulante Leistungen.
Publiziert: 20.06.2024 um 01:14 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2024 um 10:01 Uhr
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Tobias OchsenbeinRedaktor Politik

Zahllose Positionen aufgelistet und mit Fachausdrücken versehen, abgerechnet nach einem System namens Tarmed – so präsentiert sich derzeit unsere Arztrechnung für alle ärztlichen Behandlungen ohne Übernachtung.

Jährlich werden auf diese Weise fast 12 Milliarden Franken vergütet. Das entspricht einem Drittel der gesamten Krankenkassenprämien in der Grundversicherung. Das Problem: Der Tarmed ist veraltet und kompliziert.

Davon profitieren heute vor allem Spezialistinnen, die mit technischen Geräten arbeiten und damit mehr Patientinnen untersuchen können als noch vor 20 Jahren, als der Tarmed eingeführt wurde. Verlierer hingegen sind etwa Haus- und Kinderärzte, bei denen weniger technische Geräte als vielmehr der zeitintensive Austausch mit den Patientinnen im Zentrum der Behandlung steht. Die gute Nachricht: Mit dieser Ungleichheit soll bald Schluss sein.

Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider hat die Einführung der Einzeltarifstruktur Tardoc sowie der ersten Patientenpauschaltarife am Mittwoch als «essenziell für das Gesundheitssystem» bezeichnet.
Foto: keystone-sda.ch
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Modernes, gerechtes, transparentes Tarifwerk

Der Bundesrat hat nach jahrelangem Hin und Her am Mittwoch beschlossen, den Tarif Tarmed ab 2026 zu ersetzen. Einerseits durch den Tardoc, der für einzelne ärztliche Leistungen eine Vergütung vorsieht. Anderseits durch Pauschalen, mit denen für komplexe Behandlungen oder Operationen fixe Preise definiert werden.

Das neue System soll ein modernes, gerechtes und transparentes Tarifwerk für ärztliche Leistungen in der ambulanten Versorgung schaffen und so die medizinische Versorgung verbessern. Davon profitieren werden vor allem Ärztinnen, aber auch Patienten.

Ärzte, weil Leistungen, die heute nicht kostendeckend sind, künftig besser bezahlt werden. So sollen Hausärzte mehr Geld für Gespräche mit Patienten, Angehörigen, Heimen und Spitex erhalten.

Patienten und Prämienzahlerinnen, weil Leistungen, die heute zu hoch vergütet werden, künftig günstiger werden. So soll etwa eine Computertomografie des Schädels nur noch mit 215 statt 273 Franken vergütet werden. Durch den Wegfall von Fehlanreizen werden also nur notwendige Leistungen erbracht, wodurch das Geld besser eingesetzt wird.

Tarifpartner zerstritten

Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) hat am Mittwoch mit diesem Entscheid ein Machtwort gesprochen. Und versucht, sämtliche Tarifpartner – Ärzte, Spitäler und Krankenkassen – zu einem Kompromiss zu zwingen, zu dem diese selber nicht fähig sind. «Die Reform ist unbestreitbar», sagte die Gesundheitsministerin vor den Medien in Bern. Dies insbesondere «nach Jahren der Blockade zwischen den Tarifpartnern».

Doch bevor das neue Tarifsystem überhaupt eingeführt werden kann, müssen diese sich auf einen gemeinsamen Umsetzungsvertrag einigen. Die grosse Herausforderung dabei: Die Tarifpartner sind hoffnungslos zerstritten.

Für die Zusammenführung der zwei Strukturen ist die Organisation ambulante Arzttarife (OAAT) zuständig, die von Pierre Alain Schnegg (61), Gesundheitsdirektor des Kantons Bern, präsidiert wird. Baume-Schneider gibt den Tarifpartnern damit den Tarif durch und setzt den Streithähnen das Messer an den Hals.

Bundesrat setzt Ultimatum

Der Bundesrat gibt den Tarifpartnern nämlich bis zum 1. November 2024 Zeit, um ein gemeinsames, übergreifendes Konzept einzureichen. Sie müssen noch Anpassungen vornehmen, um die Kostenneutralität sicherzustellen und ungerechtfertigte Kostensteigerungen zu vermeiden. Ein wesentliches Ziel des Tardoc ist es, die Gesamtkosten im Vergleich zum bisherigen System nicht zu erhöhen.

Der Zeitplan für alle ist sportlich. Aber wenn die Tarifpartner sich nicht einigen können, wird der Bundesrat direkt eingreifen, damit beide Strukturen rechtzeitig ab Anfang 2026 in Kraft treten können.

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