Zoff um OECD-Steuern
Darum legt sich Keller-Sutter mit der Wirtschaft an

Finanzministerin Karin Keller-Sutter hat dem Lobbying der Wirtschaft nicht nachgegeben: Ab kommenden Jahr müssen Grosskonzerne mehr Steuern zahlen. Economiesuisse reagiert scharf.
Publiziert: 22.12.2023 um 20:56 Uhr
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Aktualisiert: 23.12.2023 um 10:07 Uhr
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Sermîn FakiPolitikchefin

Jetzt also doch: Die Schweiz wird internationale Konzerne ab 2024 höher besteuern als bislang. Der Bundesrat setzt die OECD-Mindestbesteuerung in Kraft. Gemäss den Regeln der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung müssen international tätige Konzerne, die mehr als 750 Millionen Dollar Umsatz machen, künftig 15 Prozent Gewinnsteuern zahlen.

Der Furor in der Wirtschaft ist gross. «Der Bund führt ohne Not einen Standortnachteil für die Schweizer Wirtschaft ein. Bei einer Verschiebung hätten wir keine Probleme mit dem Ausland bekommen», sagt Frank Marty, Chef Finanzen und Steuern beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. «Das ist im Wesentlichen eine kalte Steuererhöhung.»

«Nicht im Interesse der Wirtschaft»

Gemäss Verfassung müsse der Bundesrat die Mindestbesteuerung zur «Wahrung der Interessen der schweizerischen Gesamtwirtschaft» umsetzen, fügt Marty an. «Doch diese Einführung auf 2024 ist alles andere als das.»

Der Bundesrat um Finanzministerin Karin Keller-Sutter hat beschlossen, die OECD-Mindestbesteuerung per 2024 in Kraft zu setzen.
Foto: keystone-sda.ch
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Dabei hatte die Wirtschaft in den letzten Wochen nichts unversucht gelassen, die Einführung zu verschieben. Dem Vernehmen nach lobbyierten vor allem die beiden Pharmakonzerne Roche und Novartis massiv für einen Aufschub. Sie kommt die Steuerreform besonders teuer zu stehen. Finanzministerin Karin Keller-Sutter (60) liess sich davon nicht beeindrucken.

Für einige Firmen kommt es nicht drauf an, ...

Will die Schweiz einmal mehr die Musterschülerin sein? Beim Bund verneint man. Die Voraussetzungen seien erfüllt, und es sei sinnvoll, die Besteuerung jetzt einzuführen: «Wichtige europäische Staaten wie Deutschland, Italien, Grossbritannien, Irland, Frankreich und voraussichtlich auch Luxemburg führen die Steuer nach unseren letzten Informationen jetzt ein», erklärt Keller-Sutters Sprecher Pascal Hollenstein.

«Hätte die Schweiz darauf verzichtet, wären Schweizer Tochtergesellschaften von Konzernen aus diesen Staaten dort besteuert worden.» Das heisst: Für diese Unternehmen macht es keinen Unterschied, aber die Schweiz würde Steuereinnahmen verlieren. Und zwar die Hälfte der geschätzten 1 bis 2,5 Milliarden Franken, die die Reform zusätzlich bringen soll.

... für andere schon

Für Schweizer Konzerne und solche, die ihren Muttersitz in einem der Staaten haben, sieht es jedoch anders aus. Zum Beispiel für Roche und Novartis. Die Experten beim Bund weisen allerdings darauf hin, dass die meisten anderen Staaten die Steuerreform wohl auf 2025 in Kraft setzen – es ginge also nur um ein Jahr.

Bei Marty kommt dieses Argument gar nicht gut an: Zu sagen, es geht ja nur um ein Jahr, sei «doch recht nonchalant. Immerhin geht es darum, ob Unternehmen in diesem Jahr 1,5 Milliarden Franken mehr Steuern zahlen müssen.»

Der Economiesuisse-Steuerchef bezweifelt, dass die OECD-Reform überhaupt richtig zum Fliegen kommt. Grosse Fragezeichen seien angebracht. Drei Viertel der 140 Staaten, die sich der Steuerreform angeschlossen haben, würden diese erst später einführen. Oder gar nicht: «Weder die USA noch China machen Anstalten, das Regelwerk zu übernehmen.» Und ohne diese Wirtschaftskolosse würde eine weltweite Geltung schwierig.

Wer zum Schluss Recht behält, wird sich weisen. Bis auf weiteres sind die Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft erstmal frostig.

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