«Sie behandelten uns wie Kriminelle»
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Einbürgerungen in der Schweiz:«Sie behandelten uns wie Kriminelle»

Albtraum Einbürgerung
«Alle Vorwürfe waren falsch!»

Wie ist es, nach Jahrzehnten in der Schweiz keinen roten Pass zu haben? Und wenn der Antrag immer wieder abgelehnt oder man selbst kriminalisiert wird? Sonia Casadei (48), Andi (25) und Anja Kilian (55) erzählen.
Publiziert: 20.06.2021 um 15:34 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2021 um 15:38 Uhr
«Sie behandelten uns wie Kriminelle. Alle Vorwürfe waren falsch!», sagt Sonia Casadei, die über die Schwierigkeiten der Einbürgerung ihrer Familie spricht.
Foto: Philippe Rossier
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Aufgezeichnet von Rebecca Wyss

Sonia Casadei (48), Oberarth SZ: «Alle Vorwürfe waren falsch!»

Meine Eltern stammen aus Italien und Portugal, ich bin in der Schweiz geboren, machte hier das KV. Meine zwei Söhne kamen auch hier zur Welt. Und mein Mann, Italiener, lebt seit dreissig Jahren hier. Das Einbürgerungsprozedere hätte für uns eine Alibiübung sein sollen. Kostete uns am Ende aber fünfeinhalb Jahre. Und 11'000 Franken.

Mit der schriftlichen Prüfung fing alles an, noch vor dem Verhör durch die Kommission. Im Vorfeld versicherte uns die Gemeinde, mein damals 16-jähriger Sohn würde einen leichteren Test bekommen als wir Eltern. Das stimmte nicht, und er fiel durch, genauso wie sein Einbürgerungsgesuch. Kennen Sie einen Teenager, der die Gewalten auf Kantonsebene erklären kann? Wahnsinn.

Der Gipfel kam aber erst noch. Gleich nach dem schriftlichen Test wurden wir Eltern verhört. Die Vorwürfe waren haarsträubend: Wir hätten unsere Liegenschaft in Italien in der Steuererklärung nicht richtig deklariert. Wir hätten jemandem geholfen, eine C-Bewilligung zu erschleichen. Und ich hätte die Arbeitslosenkasse betrogen.

Sie behandelten uns wie Kriminelle. Alle Vorwürfe waren falsch! Die Steuerbehörden und die Staatsanwaltschaft entkräfteten die Anschuldigungen. Aber die Arther Behörden akzeptierten das nicht. Wir mussten bis vors Verwaltungsgericht ziehen, bekamen recht. Mich und meinen jüngsten Sohn musste die Gemeinde einbürgern.

Noch schwieriger wars für meinen Mann. Er hat ein Gipser-Geschäft im Dorf, ist gut vernetzt. Die Behörden behaupteten, er sei zu wenig integriert, weil er bei der Befragung durch das Gremium nicht alles beantworten konnte. Wissen Sie, was der Gnipen ist? Oder mit wem der Bär im Tierpark Goldau eine Wohngemeinschaft hat? Willkürliche Fragen. Wir kamen uns vor wie an einem Verhör und nicht an einem Kennenlern-Gespräch, wie es uns die Kommission zuvor gesagt hatte.

Wegen der Fragen machte mein Mann beim Bundesgericht eine Beschwerde – und gewann 2020. Die Gemeinde musste auch ihn einbürgern. Jetzt sind zumindest drei von uns vier Schweizer. Die schlechte Erfahrung beschäftigt uns bis heute.

Andi (25), Goldau SZ: «Die Sache nagt an mir»

Ich bin hier zur Schule gegangen, alle meine Freunde leben hier, und ich spiele hier im Verein Fussball. Ich kann mir nicht vorstellen, einmal weit wegzuziehen. Goldau ist meine Heimat, genauso wie Kosovo. Doch es brauchte vier Anläufe, bis ich Schweizer werden durfte. Und 12'000 Franken.

Die ersten beiden Gesuche stellten meine Eltern für uns, da war ich noch minderjährig. Wir fünf wurden im Kollektiv abgelehnt, einzig weil meine Mama nicht so gut Deutsch konnte. Hätte die Gemeinde uns damals einzeln geprüft, wie es ein Bundesgerichtsurteil vorsieht, wären wir Geschwister wohl durchgekommen.

Beim dritten Versuch war ich volljährig und kurz vor dem KV-Lehrabschluss. Ich weiss noch gut, wie mir eine Gemeindemitarbeiterin sagte, ich solle doch mein Gesuch zurückziehen. Ich würde sowieso abgelehnt werden, weil ich noch keine Stelle in Aussicht hatte. Ich war jung, tat, was mir gesagt wurde. Ich wollte es mir mit der Gemeinde nicht verscherzen. Ein grosser Fehler. Einen Monat später hatte ich eine Stelle, aber keinen Schweizer Pass.

Ende 2014 versuchte ich es zum vierten Mal. Ich war mir sicher, dass es gut kommt. Ich bin ja integriert, arbeitete beim Kanton Zürich, was konnte man mir schon ankreiden? Anderthalb Jahre später kam dann der Brief von der Gemeinde: abgelehnt. Ich hätte eine korrigierte provisorische Steuerrechnung nicht bezahlt. Es ging um rund 200 Franken. Ich hatte nie eine Rechnung bekommen, gemahnt hatte dies die Gemeinde auch nicht. Ich musste mir eine Anwältin besorgen. Am Ende bürgerten sie mich ein.

Ich habe gezögert, hier meine Geschichte zu erzählen. Aus Angst, dass jemand aus meinem Umfeld schlecht reagiert. Viele verstehen nicht, wie es ist, wenn man so lange auf die Einbürgerung wartet und ständig abgewiesen wird. Oder wenn man beim Einbürgerungsgespräch sehr persönliche Dinge gefragt wird – ob man jemals eine Schweizerin heiraten würde. Hallo? Die Sache nagt an mir. Mein Nachname und mein Gesicht bleiben deshalb anonym.

Anja Kilian (55), Freienbach SZ: «Ich werde es nicht nochmals versuchen»

Zu Freienbach habe ich eine besondere Beziehung. Die Gemeinde war meine erste Heimat in der Schweiz, als ich vor 34 Jahren aus Duisburg (D) zu meiner Mutter in die Schweiz kam. Im «Rollschuh-Adler», wie ein Restaurant damals hiess, habe ich gekellnert, als 20-Jährige, auf Rollschuhen! Mein erster Einbürgerungsversuch scheiterte 2010, weil ich noch nicht lange genug in der Gemeinde gewohnt hatte. 2017 versuchte ich es wieder, diesmal war ich guter Dinge. Erst stand der schriftliche Staatskundetest an, dann die Befragung vor dem Einbürgerungsgremium. Es gab keine klaren Vorgaben. Und richtige Lehrmittel bekam ich auch nicht, nur das schmale Heftchen «Echo» vom Bund mit Informationen über die Schweiz. Den Test hab ich bestanden.

Schwieriger war jener Abend, an dem ich vor dem Gremium antraben musste. Eigentlich bin ich toughe Situationen gewohnt, in meinem Job verkaufe ich Software-Technologie, halte vor CEOs weltweit Präsentationen. Aber was ich mit der Einbürgerungskommission erlebte, war irritierend. Ich wusste nicht, was die Gemeinde von mir wissen wollte. Ich hatte mich vorher extra mit der Geschichte Freienbachs beschäftigt, wusste, dass Kaiser Karl I. die Gemeinde dem Kloster Einsiedeln geschenkt hatte. Sie wollten aber alles andere wissen. Wie die Schulen im Dorf heissen. Ich habe keine Kinder, warum sollte ich mich damit befassen? Ich konnte auch nur drei Gemeinderäte benennen. Und als sie das Drei-Säulen-Prinzip abfragten, hatte ich einen Blackout. Es kam mir vor, als würden sie nur darauf warten, dass ich einen Fehler mache.

Das Gremium lehnte mein Gesuch ab. Ich sei zu wenig integriert. Da ging bei mir die Hutschnur hoch. Weil die Mitglieder der Einbürgerungskommission ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft nach 34 Jahren in der Schweiz für «nicht integriert» halten. Der ganze Spass kostete mich 5300 Franken. Ich werde es nicht nochmals versuchen.


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