«Ich konnte nicht schlafen und hatte Angst alleine»
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Opfer von Angriff erzählen:«Ich konnte nicht schlafen und hatte Angst alleine»

Nordafrikaner verletzt Baslerinnen schwer, doch die Polizei lässt ihn nach kurzer Zeit wieder laufen
Sie sagten «Nein», dann prügelte Khaled M. auf die Schwestern ein

Die Schwestern Sandra O.*(19) und Nicole O.* (22) waren auf dem Heimweg von einer Halloween-Party in Basel. Nach wenigen Metern wurden sie von einem Mann angesprochen. Als sie nichts mit ihm zu tun haben wollten, schlug der Asylbewerber zu. Sie fürchten sich noch immer.
Publiziert: 07.12.2023 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 07.12.2023 um 19:04 Uhr
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Beat MichelReporter

Der wahre Horror kam erst nach der Halloween-Party im Basler Restaurant L'Osteria an der Steinentorstrasse. Sandra O.* (19) und Nicole O.* (22) waren auf dem Heimweg von einer Kostümparty. Nach wenigen Metern werden die beiden von einem libyschen Asylsuchenden (31) attackiert. Sandra ist als Polizistin verkleidet, ihre Schwester als Katze. Passiert ist der Übergriff bereits vor einem Monat. Die beiden sind noch immer geschockt und haben Angst. Sie wollen auch im Blick-Artikel nicht erkannt werden. Denn ihr Peiniger ist auf freiem Fuss.

Sie haben Angst, dass der Täter sie aufspüren könnte und sich für die Anzeige, die sie gegen ihn eingereicht haben, rächt. Das blaue Auge, das die ältere Schwester durch einen Faustschlag erhalten hat, ist zwar kaum mehr zu sehen. Aber die psychischen Verletzungen sind geblieben. Die Bilder aus der Halloweennacht verfolgen sie.

Es war die Nacht auf Sonntag, den 29. Oktober. Nachdem sie nach der Party das Lokal verlassen hatten, ging die jüngere Schwester ein paar Schritte voraus. «Darum dachte der Typ wohl, dass ich alleine unterwegs bin», sagt Sandra O. «Er kam mir ganz nah und machte Anmachsprüche. Er fragte, warum ich schon nach Hause gehe. Ich sagte, er soll mich in Ruhe lassen, worauf er eklige Sachen sagte.» Danach wurde er richtig unangenehm. Sandra O. erinnert sich: Der Mann drängte mich an die Wand, ich konnte nicht weiter. Als ich ihn versuchte wegzustossen, schlug er zu.» Der Mann trifft sein Opfer mit der flachen Hand aufs Ohr. Ihr wird schwarz vor den Augen, von hier an kann sie sich an nichts mehr erinnern.

Hier an der Steinentorstrasse wurden die beiden Schwestern von einem Asylbewerber aus Libyen zuerst plump angemacht, dann niedergeschlagen und ausgeraubt. Die Gegend gehört zur Basler Ausgehmeile, auch in der Nacht sind hier einige Passanten unterwegs.
Foto: Beat Michel
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Dann ging die Schwester dazwischen

Da greift die ältere Schwester ein. Sie geht dazwischen und versucht, ihn abzuwimmeln. Aber: «Er sagte, dass wir doch einen Dreier machen können. Als ich ihn anschrie, sah ich in seinen Augen, dass er richtig wütend wurde. Er fluchte auf Arabisch.» Er spuckt der Frau ins Gesicht, dann schlägt er mit voller Wucht zu. «Seine Faust traf mein rechtes Auge. Ich ging zu Boden», sagt Nicole O.

Die beiden Frauen bemerken nicht, dass er sie bestiehlt. «Ich sah erst zu Hause, dass meine Fingerringe von Cartier fehlten», sagt sie. Sandra erinnert sich noch, dass sich der Mann danach seelenruhig entfernte.

Niemand kümmerte sich um die Opfer

Sandra und Nicole O. können nicht verstehen, dass ihnen niemand geholfen hat. «Es waren viele Leute unterwegs. Aber niemand kümmerte sich um uns oder stellte den Angreifer zur Rede», sagt Nicole. Der Angriff fand an der von Partygängern stark frequentierten Steinentorstrasse statt. Immerhin: Nach einem Anruf bei der Polizei geht alles sehr schnell. Der Mann wird innert Minuten gefasst und verhaftet. Doch auch die Polizisten greift der Asylsuchende mit libyschem Pass an, beschimpft und bespuckt sie. Das erfahren die Frauen aber erst im Strafbefehl.

Wie die Verhaftung passiert auch die juristische Verarbeitung des Übergriffs in Rekordgeschwindigkeit. In der Nacht auf Sonntag passierte es, schon am Montag liegt der Strafbefehl gegen den 31-jährigen Khaled M.* vor. Für Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie Beschimpfung und Tätlichkeiten wird er zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 60 Tagen und einer aufgeschobenen Geldstrafe von 600 Franken verurteilt. Die Strafen werden erst vollzogen, wenn er erneut gegen das Gesetz verstösst. Er war auch gleich wieder auf freiem Fuss.

Den beiden Opfern geht es schlechter. Die ältere Schwester, die neben dem Job studiert, ist wegen des Übergriffs noch immer krankgeschrieben. Auch die Jüngere hat Mühe, in ihrer Ausbildung zurechtzukommen. Sandra hatte ein Hirntrauma und leidet seit dem Schlag unter einem Tinnitus. Nicole kassierte eine Hirnerschütterung. Beide leiden an Angstzuständen. Sie fühlen sich nicht einmal zu Hause sicher.

Strafbefehl ist unanfechtbar

Sie machen den Behörden den Vorwurf, dass sie nicht gut genug über ihre Möglichkeiten als Opfer informiert wurden und den Strafbefehl erst mehrere Wochen später zugeschickt erhalten haben. «Wir sind mit der milden Strafe nicht einverstanden», sagt Nicole O. zu Blick. Doch wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage schreibt, haben Geschädigte kein Recht zur Einsprache gegen einen Strafbefehl. Darum wird er auch erst zugestellt, wenn er rechtskräftig ist.

Für die beiden Frauen ist das alles zu schnell gegangen. Jetzt im Nachhinein wissen sie, dass das Urteil bereits gefällt war, als sie am Montag zum Hausarzt gingen und ihre Verletzungen dokumentiert wurden. «Das war nicht nur eine Tätlichkeit», sagen die beiden. Und weiter: «Dafür haben wir ja Arztzeugnisse.»

Den beiden Frauen bleibt jetzt nichts anderes übrig, als sich bei der Opferhilfe beider Basel zu melden. Hier suchen sie Hilfe für das erlittene Trauma. «Wir prüfen auch, ob wir eine Klage auf zivilem Weg gegen den Täter einreichen können», sagt Sandra O.

* Namen bekannt

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