Behörden zahlen Pflegemutter seit acht Monaten keinen Lohn
«Mit Kindeswohl hat das nichts zu tun»

Weil sich Zürich und Birr nicht einigen können, geht der Pflegemutter einer 15-Jährigen bald das Geld aus.
Publiziert: 23.07.2024 um 10:00 Uhr
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Aktualisiert: 23.07.2024 um 13:38 Uhr
Für die 15-jährige Johanna ist die Pflegemutter ein Glücksfall. (Symbolbild)
Foto: Getty Images
Andri Gigerl
Beobachter

Seit die 15-jährige Johanna bei der Pflegemutter Ramona Blattmann eingezogen ist, geht es zum ersten Mal nach langer Zeit wieder bergauf: Sie besucht regelmässig die Schule, schreibt gute Noten und will bald eine Lehre beginnen. Erst wenige Monate ist es her, da wurde Johanna, die eigentlich anders heisst, von ihrer Mutter, dann von ihrem Vater und schliesslich von einem Schulheim vor die Tür gestellt. Sie war zwischenzeitlich obdachlos und kam mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt.

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Die erfahrene Pflegemutter Ramona Blattmann ist für sie ein absoluter Glücksfall. Für die Behörden aber ist Blattmann vor allem eins: ein Kostenpunkt, den niemand will.

Wo war der letzte Wohnsitz?

Seit Blattmann die Pflege von Johanna im November 2023 übernahm, hat sie für ihre Arbeit und ihre Ausgaben noch keinen Rappen gesehen.

Das Problem: Für die Finanzierung einer Pflegefamilie ist laut Gesetz die Gemeinde zuständig, in der Johannas letzter Wohnsitz liegt – und darüber wird gestritten.

Lange Zeit wohnte das Mädchen bei der Mutter in Zürich, wo sie auch eine Beiständin hat. Nachdem die Mutter sie vor die Tür gestellt hatte, lebte sie für kurze Zeit beim Vater im Kanton Aargau, bevor sie auch dort rausflog.

Pflegeplatz wurde umgehend bewilligt

Die Beiständin organisierte darauf kurzfristig Blattmann als Pflegemutter in Zürich. Sie stellte beim kantonalen Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB) einen Antrag für den Pflegeplatz und die Übernahme der Kosten.

Die Bewilligung erfolgte umgehend, und Johanna zog zu Ramona Blattmann. Doch die Kostenübernahme liess auf sich warten.

Erst nach sechs Monaten kam im April der Bescheid vom AJB. Er lautete: Keine Kostenübernahme – man sei nicht zuständig. Johanna habe sich zuletzt mehrheitlich beim Vater im Aargau aufgehalten, und somit sei dort ihr Unterstützungswohnsitz.

Wieso der Kanton Zürich für diese A4-Doppelseite ganze sechs Monate brauchte, erklärt das AJB dem Beobachter trotz mehrfacher Nachfrage nicht.

Das Amt schickte alle Unterlagen direkt der Gemeinde Birr im Aargau. Doch der Gemeinderat dort retournierte diese postwendend. Der «vorübergehende Kurzaufenthalt» in Birr habe keinen neuen Unterstützungswohnsitz begründet, und ausserdem liege das Sorgerecht bei der Mutter in Zürich.

Eine kantonale Lösung war nicht möglich

Der Kanton Zürich versuchte daraufhin, auf kantonaler Ebene mit dem Kanton Aargau eine Einigung zu erzielen, doch dort winkte man ab: Im Aargau seien allein die Gemeinden zuständig, man verweise an Birr.

Nach einem längeren Hin und Her zwischen dem Kanton Zürich, dem Kanton Aargau und Birr nahm die kleine Aargauer Gemeinde die Zuständigkeit schliesslich doch an sich – wenn auch zähneknirschend.

Gemeindeschreiber Beat Deubelbeiss sagt gegenüber dem Beobachter, man wolle selbstverständlich so schnell wie möglich eine gute Lösung für das Mädchen finden.

Birr habe aber von allen Beteiligten die kleinste Fallkenntnis, und es fehlten zahlreiche Unterlagen aus Zürich, auf die man nun warte – etwa die Bewilligung der Pflegemutter.

Der Pflegemutter geht das Geld aus

Leidtragende dieses Zuständigkeits-Pingpongs sind die Pflegemutter und das Mädchen – denn Blattmanns finanzielle Lage spannt sich zunehmend an.

Dem Beobachter sagt sie: «Ich mache mir grosse Sorgen, dass ich Johanna nicht länger bei mir behalten kann, wenn nicht bald jemand zahlt. Dabei will das doch niemand, ich zuallerletzt.»

Die gute Entwicklung des Mädchens ginge wohl schnell in die Brüche, wenn sie schon wieder eine neue Lösung finden müsste – und auch finanziell findet Blattmann das völlig unverständlich. Schliesslich sei ein Heim oder die Sozialhilfe für den Staat langfristig weit teurer.

Blattmann hat alle beteiligten Behörden und auch die Eltern per Brief gebeten, es möge doch endlich jemand zahlen, und danach könne die Zuständigkeit in Ruhe geklärt werden. Das will dort aber niemand – mal mit Verweis auf fehlende Zuständigkeit, mal wegen fehlender Unterlagen.

Blattmann kann darum nur hoffen, dass Birr bald die nötigen Unterlagen erhält und Klarheit schafft. Von den Behörden ist sie zutiefst enttäuscht: «Mit Kindeswohl hat das nichts zu tun, denen geht es nur ums Geld.»

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