Stadt Zürich baut Fernwärme massiv aus
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Alternative Energien:Stadt Zürich baut Fernwärme massiv aus

Das Potenzial der Fernwärme in der Schweiz ist noch lange nicht ausgeschöpft
Fernwärme wird immer beliebter

Der Krieg in der Ukraine und das Streben nach mehr Nachhaltigkeit und Energieeffizienz hat einen Trend verstärkt: Schweizer Hauseigentümer streben bei der Energieversorgung nach mehr Unabhängigkeit. Weg von fossilen Brennstoffen. Hin zu Fernwärme, zum Beispiel.
Publiziert: 11.04.2022 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2022 um 12:21 Uhr
Tobias Ochsenbein

Wladimir Putins (69) Angriffskrieg auf die Ukraine hat die angespannte Entwicklung bei den Energiepreisen weiter verschärft. Mögliche Energiesanktionen oder Gasimportverbote aus Russland treiben die Handelspreise von Rekord zu Rekord.

Der Krieg in der Ukraine zwingt darum auch die Schweiz, sich schneller und intensiver mit nachhaltigeren Energiefragen auseinanderzusetzen. Und auf Unabhängigkeit zu setzen. Das hat nicht nur Folgen für Energielieferanten, sondern ebenso für Verbraucherinnen und Verbraucher. Viele Eigentümer wollen darum weg von Gas und Öl – und auf eine andere Heizung umsteigen.

Wärmeversorgung von Gebäuden muss CO2-neutral werden

Diese Dringlichkeit wurde im März auch im Nationalrat als Reaktion auf den aktuellen Krieg hervorgehoben. «Wir müssen die erneuerbaren Energien mit aller Kraft ausbauen und auch die Energieverschwendung eindämmen», sagte Energieministerin Simonetta Sommaruga (61).

Die Stadt Zürich baut ihr Fernwärmenetz aus. Die Hauptwärmequelle dafür ist die Abwärme des Kehrichtheizkraftwerks Hagenholz im Norden der Stadt.
Foto: Philippe Rossier
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Denn: Die Wärmeversorgung von Gebäuden verursacht laut dem Bundesamt für Energie (BFE) heute noch rund ein Drittel der schweizweiten CO2-Emissionen. Sie muss in den nächsten Jahrzehnten vollständig CO2-neutral werden. Nur so kann die Schweiz ihr Klimaziel von netto null Emissionen bis 2050 erreichen.

Bei nachhaltiger Energieproduktion denken wir schnell an Wasser, Wind und Sonne. Bloss: Es dauert oft sehr lange, bis grosse Wind- und Wasserkraftanlagen neu gebaut werden können. Weil Natur- und Umweltschutzverbände Einsprachen erheben, oder der Denkmalschutz einschreitet. Bis zur Realisierung eines Projekts verstreichen oft Jahre.

Das zeigt etwa der Fall des seit über zehn Jahren geplanten Windparks auf dem Grenchenberg: Wegen eines brütenden Wanderfalkenpaars dürfen nur vier der sechs geplanten Windräder auf dem Grenchner Hausberg gebaut werden. Das hat im vergangenen Jahr das Bundesgericht entschieden.

Fernwärme auf dem Vormarsch

Immer attraktiver ist die Idee, Wärmeüberschüsse aus grossen Energie- und Kehrichtverbrennungsanlagen für die Beheizung und den Wärmebedarf in Siedlungen und Dienstleistungszentren zu nutzen. Bereits über 1000 Wärmeverbünde liefern schweizweit CO2-arme Heizenergie.

Die sogenannte Fernwärme wird in einer zentralen Anlage – zum Beispiel einem Heizkraftwerk, einer Abfall- oder Holzschnitzel-Verbrennungsanlage – erzeugt. Die Wärme wird den Kunden in Form von heissem Wasser über ein Rohrleitungsnetz zum Heizen und zur Warmwasser-Aufbereitung zugeleitet. Das abgekühlte Wasser fliesst dann wieder zum Heizwerk zurück, wo es erneut aufgeheizt wird. Das Ganze ist ein geschlossener Kreislauf.

Gebäude, die an die Fernwärme angeschlossen sind, benötigen keine fossilen Heizkessel oder Warmwasseraufbereitungen mit Heizöl oder Erdgas mehr. Und: Anders als etwa eine Wärmepumpe braucht der Anschluss für den Bezug von Fernwärme keinen Strom.

Fernwärmepotenzial noch nicht ausgeschöpft

Gemäss Gesamtenergiestatistik des BFE lieferten die grossen Fernwärmenetze in der Schweiz im Jahr 2020 rund sechs Terrawattstunden (TWh) Wärme. Das ist fast doppelt so viel wie noch 1995 (3,3 TWh). 80 Prozent davon stammen aus der Abwärme von Kehrichtverwertungsanlagen. Der Verband Fernwärme Schweiz weist für den gleichen Zeitraum sogar rund 8,4 TWh Wärme aus, die über sämtliche Typen von thermischen Netzen zu den Wärmenutzern transportiert wurden.

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Mit Fernwärme wird künftig in der Schweiz noch viel mehr Wärmeenergie zur Verfügung gestellt werden können. Verschiedenen Studien schätzen das Potenzial der CO2-freien Fernwärmeerzeugung auf 17 bis 22 TWh pro Jahr. Zum Vergleich: Kernkraftwerke erzeugten laut Bundesamt für Energie pro Jahr rund 25 TWh Energie, Wasserkraft rund 37 TWh, Fotovoltaik knapp 2 TWh und Windkraftwerke 0,13 TWh. Allerdings fällt davon jeweils nicht die ganze Energieleistung auf die Erzeugung von Wärme.

Stadt Zürich will künftig 25 Prozent des Siedlungsgebiets abdecken

Der Ausbau von Fernwärmenetzen wird derzeit schweizweit vorangepeitscht. Etwa in Zürich. Denn: Die Stadt hat sich zum Ziel gesetzt, die direkten Treibhausgasemissionen auf dem Stadtgebiet bis 2040 auf netto null zu reduzieren. Im November 2021 haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit fast 84 Prozent deutlich Ja gesagt zum Rahmenkredit von 330 Millionen Franken für den Ausbau der Fernwärme.

Die Hauptwärmequelle für die Fernwärme in der Stadt Zürich ist die CO2-neutrale Abwärme der Kehrichtverwertungsanlage Hagenholz. Hier werden zwei Drittel des für die Fernwärmeversorgung benötigten Heisswassers produziert. Anschliessend gelangt das Heisswasser über Rohrleitungen – das Netz ist insgesamt 160 Kilometer lang – zu den an die Fernwärme angeschlossenen Liegenschaften. Heute deckt Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) mit seiner Fernwärme den Wärmebedarf von rund 170'000 Wohnungen beziehungsweise rund 16 Prozent des Siedlungsgebiets ab. Künftig sollen es bis zu 25 Prozent sein.

«Mit dem Ausbau der Fernwärmeversorgung sollen 50'000 bis 60'000 zusätzliche Wohnungen mit Fernwärme versorgt werden», sagt Daniel Ponca (51), Projektleiter Fernwärme bei ERZ. Und: Im Vergleich zu einem reinen Erdöleinsatz lassen sich heute mit der Fernwärmeversorgung pro Jahr rund 200'000 Tonnen CO2 vermeiden. Durch den Ausbau der Fernwärme kommen bis 2040 nochmals 36'000 Tonnen CO2-Einsparungen pro Jahr hinzu.

Ponca sagt, dass die durch Abfallverbrennung erzeugte Leistung in der Stadt Zürich rund 20 Prozent der Energie entspricht, die das Kernkraftwerk Leibstadt erzeugt.

Halbe Milliarde Franken für Fernwärmenetz in Basel

Auch Basel-Stadt hat ambitionierte Ziele: In den nächsten 15 Jahren soll die Wärmeversorgung dort komplett umgebaut werden: Fast eine halbe Milliarde Franken sind für den Ausbau des Fernwärmenetzes vorgesehen. Pro Jahr sollen so rund 400 Fernwärmeanschlüsse und vier bis fünf Kilometer Netz verwirklicht werden. Mit diesem Ausbau kann die Anzahl der angeschlossenen Gebäude von 6000 auf 12’000 verdoppelt werden. Laut Berechnungen würden so ab 2035 70’000 Tonnen weniger CO2 ausgestossen werden.

Zudem sind grössere und kleinere Projekte auch in Bern, Frauenfeld TG, Winterthur ZH und anderen Städten und Gemeinden geplant. Denn: Die Versorgungssicherheit ist hoch, weil die Energiequellen lokal verfügbar sind.

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