«Ich wollte nicht mehr bewertet werden»
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Gault-Millau-Aussteiger:«Ich wollte nicht mehr bewertet werden»

Der Berner Spitzenkoch Beat Blum (60) rebelliert gegen den Gault-Millau-Kult und Chichi auf dem Teller
«Ich mag Schaum nur in der Badewanne»

Der Berner Gastronom Beat Blum (60) wurde einst mit Gault-Millau-Punkten überhäuft. Diese Ehre interessierte ihn nie sonderlich, er wehrte sich aber auch nicht dagegen. Bis ihm das Bewertungsrennen irgendwann zu viel wurde.
Publiziert: 21.11.2020 um 11:46 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2020 um 15:39 Uhr
Beat Blum (60) steht am Kochherd seines Restaurants Le Vivant.
Foto: Siggi Bucher
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Rachel Hämmerli

Das Kräftemessen unter Köchen ist eröffnet. Gault Millau hat diese Woche seinen viel beachteten Restaurantführer veröffentlicht. Köche landesweit vergleichen sich, nur Aussteiger Beat Blum (60) lässt das Ganze kalt. Seit sieben Jahren rebelliert er gegen die Punktwertung.

Einst gehörte der Berner Gastronom mit 17 Punkten und einem Michelin-Stern zur Crème de la Crème der Schweizer Gourmet-Szene. Zwölf Jahre lang kocht er im Restaurant Mühle in Fläsch GR auf Top-Niveau. Damals profitiert er vom Renommee von Gault Millau. «Ab dem 15. bis zum 17. Punkt verdiente man gut eine Viertelmillion mehr Umsatz im Jahr», sagt Blum.

Werbung hin oder her

Im Jahr 2000 eröffnet er das Berner Restaurant Wein&Sein und kocht dort mit 15 Punkten. Dann passiert etwas Unerwartetes. Aus wirtschaftlichen Gründen war das Restaurant nur abends geöffnet – das schien dem Gault Millau nicht zu schmecken. «Man schrieb, dass ich faul bin», sagt Blum. Wahrscheinlich stand ein Test-Esser am Mittag vor verschlossener Tür und goutierte es mit einer schlechten Bewertung.

Der leidenschaftliche Gastronom reagiert mit einer Provokation. Er eröffnet im Tessin ein Restaurant mit dem Namen «Senza Punti» (auf Deutsch: «ohne Punkte»). Mit dem Namen setzt Beat Blum zugleich ein Zeichen: «Ich will nicht mehr bewertet werden!»

Blum empfand die Punktewertung schon immer als zu beliebig. Die schlechte Bewertung war dann nur noch das Zünglein an der Waage. «Warum soll ein Kritiker mein Restaurant besser bewerten können als meine Gäste?», fragt Blum.

Gault Millau akzeptiert seine Entscheidung

Blums Spezialgericht war immer die Gastfreundschaft. Er versteht sich als Gastgeber – nicht bloss als Koch. «Wenn sich die Gäste bei mir zu Hause fühlen, ist das ein schöneres Kompliment, als wenn sie das Essen rühmen», sagt Blum. Und ein solches Gefühl könne man gar nicht mit Punkten messen.

Die Botschaft kommt beim Gastroführer an. «Gault Millau respektierte meine Entscheidung, ohne nachzufragen», sagt Blum. «Dafür bin ich dankbar.»

Der Gault Millau erscheint nur einmal im Jahr. In der Zwischenzeit testen Kritiker anonym in ausgewählten Restaurants das Essen und vergeben jeweils Punkte zwischen 12 und 20. Nach der Überzeugung der Gründer Henri Gault (†70) und Christian Millau (†88) kann nur Gott Vollkommenheit feststellen, deshalb erreichte noch nie ein Koch die Höchstpunktzahl 20.

Die Punkte dominieren

Diese Verherrlichung der begehrten Punkte nimmt mitunter aber auch absurde Züge an. «Manche Berufskollegen reden bei einem gemütlichen Abendessen nur noch darüber, wie sie den nächsten Punkt erhalten», sagt Beat Blum.

Von diesem Wettbewerb hält der Berner Gastronom nichts. Sein Eifer hat deswegen aber nicht gelitten. Im Frühling eröffnet Blum gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Yannick Wigley (27) das Restaurant Le Vivant in Bern. Die beiden Gastronomen halten den Qualitätsanspruch auch ohne Punkte hoch. Die Kalbsbäggli sind 36 Stunden gegart, und der biodynamische Wein wird in Gabriel-Gläsern serviert.

Blum hält die Speisekarte bewusst einfach: Von Pinzetten und Schäumchen, wie man sie aus Spitzenküchen kennt, hält er nichts und sagt: «Ich mag Schaum nur in der Badewanne.» Auch die Philosophie der beiden Gastronomen ist simpel: «Wir wollen ein Restaurant sein, in das wir auch selber gerne gehen würden.»

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